Warum tun wir uns in Deutschland mit dem Thema Einwanderung so schwer?
Michael Esser: Die Zerrissenheit dieser Diskussion verhindert zu sehen, dass es dieses gewisse „sowohl als auch“ gibt. Es gibt Sachen, die völlig schieflaufen. Aber es gibt eben auch Sachen, die gut gelingen, wo junge Zuwanderer Karriere machen und große wissenschaftliche Leistungen erbringen. Oftmals wird aber gar nicht mehr gesehen, dass es beides gibt. Wir sollten fördern, was gut läuft, verbessern, was besser laufen kann und mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen, was schadet.
Wieso lässt sich mit dem Thema Zuwanderung überhaupt noch Stimmung machen? Spätestens seit der Völkerwanderung in der Spätantike ist es doch Geschichte.
Esser: Ja – aber auch Gegenwart. Ich weiß die Antwort nicht. Die Frage, was ist deutsch, scheint seit Jahrhunderten eine Art Trauma zu sein. Ich verstehe nicht, warum manche Deutsche meinen, dass Deutsch-sein etwas Besseres ist. Wir sind seit Jahrzehnten auf eine gelingende Zuwanderung angewiesen. Es gab Zeiten, da ist diese Dimension besser erkannt worden. Es kommen ja schließlich nicht nur Arbeitskräfte, es kommen Menschen. Wenn wir vergessen, dass auch Geflüchtete vor allem Menschen sind, werden wir ihnen nicht gerecht. Natürlich gibt es auch eine illegale Zuwanderung, Missbrauch von Asyl- und Flüchtlingsrechten, dem muss man Grenzen setzen. Aber es ist auch unsere Aufgabe, jede Menge legale Migration zu ermöglichen, die unsere Wirtschaft braucht, die unsere Gesellschaft braucht. Eine Haltung, die Menschen ausgrenzt, ist schädlich für unsere Zukunft.
Bereits 2018 haben Sie sich mit Flüchtlingsintegration beschäftigt. Was reizt Sie an dem Thema?
Esser: Mich persönlich reizen folgende Fragen: Wieso kommen Menschen miteinander aus? Wieso vertragen sich die einen – und wieso andere nicht? Warum glauben einige, nur deshalb wer zu sein, wenn sie sich über andre erheben können? Warum reden sich andere hingegen klein und glauben, nicht mithalten zu können? Warum streiten sich Menschen? Und zwar so, dass kein Miteinander mehr möglich ist.
Das sind viele Fragen. Gibt es auf alle auch Antworten?
Esser: Nein. Ich kann mir vieles erklären, auch geschichtlich und soziologisch, aber oft fehlt mir das Verständnis. Der Zweite Weltkrieg macht mich fassungslos. Ich sehe, was Trump tut, aber ich verstehe es nicht. Ich verstehe diesen Hass in der Welt nicht und warum für manche Menschen das Niedermachen von anderen dazugehört, um sich selbst zu erheben. Dann sage ich mir, ich muss das nicht verstehen, ich muss nur vernünftig damit umgehen.