In offenen Schubladen denken

Mit ihren Porträts regt Meike Hahnraths dazu an, eigene Vorurteile zu hinterfragen

Das Projekt ist auch online abrufbar. (c) Meike Hahnrats
Das Projekt ist auch online abrufbar.
Datum:
28. Aug. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 35/2018 | Garnet Manecke

Mit ihrem Projekt „Schubladen“ macht Meike Hahnraths viele Menschen glücklich: ihre Models, die Ausstellungsbesucher, jene, die zum ersten Mal von diesem Projekt hören, und schließlich sich selbst. Wer es nicht glaubt, sollte ab 5. September unbedingt die interaktive Ausstellung „Schubladen“ in der Citykirche Mönchengladbach besuchen. 

Die Frau mit Hut (c) Meike Hahnrats
Die Frau mit Hut

Schublade auf: normal Schublade zu: fatal (Meike Hahnraths)

Das war ja klar. Beim Quiz kann man nur „versagen“. „Das war ziemlich schlecht geschätzt! Weniger als 20 % Ihrer Antworten waren richtig. Versuchen Sie es doch noch einmal!“ wird am Ende beschieden. Aber wie sieht eine Frau, die Gast in einem Frauenhaus war, denn eigentlich aus? In der Vorstellung der Quizzerin irgendwie gezeichnet. Auf keine der Porträtierten trifft das zu. Und jemand, der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet? Wie sieht eine Psychologieprofessorin aus? Ein Chemielehrer? Ein Politiker? Eine Mattenweberin? Wenn die Leser dieser Zeilen nun genaue Bilder im Kopf haben: Das ist normal. Nur, ob die Bilder so stimmen, das ist nicht gesichert. Im Gegenteil ist es sogar höchst unwahrscheinlich. Das zeigt Meike Hahnraths’ Projekt „Schubladen“ auf beeindruckende Weise. Denn niemand auf den Fotos hat einen offensichtlichen optischen Makel oder ein besonderes Kennzeichen. Männer und Frauen jeden Alters schauen in die Kamera. Sie sind cool, lässig, elegant, sportlich, fröhlich, träumerisch oder romantisch.

Genau das war das Ziel von Meike Hahnraths. „Man findet in jedem Menschen eine innere Unversehrtheit“, ist die Künstlerin überzeugt. Das gilt für Frauen im Frauenhaus genauso wie für Menschen mit einer Behinderung. Aber vom Gegenüber wird oft nur die Behinderung gesehen und nicht der Mensch. Diese Sichtweise wollte Hahnraths in ihren Porträts brechen. Man kann keinen Unterschied erkennen zwischen denen, die eine Behinderung haben, und jenen, die von der Gesellschaft als „normal“ empfunden werden. Seit sie ihr Schubladen-Projekt 2015 begann, hat Hahnraths 170 Frauen und Männer fotografiert. Eine war Ellen Weitz vom Katechetischen Institut. „Eine Kollegin aus meinem Jazz-Chor hat mir von dem Projekt erzählt, und ich wollte sofort mitmachen“, erzählt Weitz. Die Brillenträgerin wurde von Hahnraths in schwarzer Lederjacke und ohne Brille fotografiert. „Die Brille auszuziehen ist mir schwer gefallen, weil ich dann kaum noch etwas sehe“, berichtet Weitz. Aber von Anfang an habe sie Vertrauen zu der Fotografin gehabt.

 

Ein offenes, interaktives Geschehen: Fremde kommen ins Gespräch

Dieses unbedingte Vertrauen herzustellen, ist für Hahnraths die Basis, um die innere Stärke der Porträtierten sichtbar zu machen. Sie müssen nicht nur das Vertrauen haben, sich stylen zu lassen und neu zu sehen, sondern sich auch vor der Kamera wohl fühlen. Eine halbe Stunde habe sie jeweils Zeit, um bei ihren Models dieses Vertrauen zu gewinnen, sagt Hahnraths. Das erfordert Konzentration und Offenheit. Eine Offenheit, die sich anschließend auf den Bildern in den Gesichtern der Fotografierten widerspiegelt. Ellen Weitz hat die Idee hinter dem Projekt und die Art von Meike Hahnraths so gut gefallen, dass sie die Ausstellung unbedingt in Mönchengladbach zeigen wollte. Bei diesem Vorhaben fand sie in Lucia Traut vom Katholischen Forum schnell eine Verbündete. Und auch die Verantwortlichen der Citykirche waren schnell von dem Projekt überzeugt.

Dass die Ausstellung interaktiv ist, ist von der Künstlerin selbst so vorgesehen. Schon in früheren Ausstellungen hat sie den Besuchern die Frage gestellt, was für eine Person ihnen da wohl gerade entgegenblickt. „Ich will Interaktion, aber für jeden“, sagt Hahnraths. „Die Interaktion vor den Bildern finde ich so schön. Fremde Menschen kommen ins Gespräch miteinander.“ Obwohl sie von Anfang an von ihrem Projekt überzeugt war, hat die Mönchengladbacherin nicht mit diesem Erfolg gerechnet. Mittlerweile erreichen sie sogar Anfragen aus Finnland. Auch die Orte, an denen ihre Bilder bisher gezeigt wurden, sind so unterschiedlich wie die Menschen: In Euskirchen hingen sie in einem Schloss, in Köln in einer modernen Halle. Im Oldenburger Land wurde sogar eine ganze Stadt für vier Wochen zur Galerie: Jedes Geschäft zeigte ein kleinformatiges Proträt, die großformatigen wurden im Rathaus, im Bahnhof, in einem Unternehmen und in einer Bank präsentiert.

Für die Ausstellung in der Citykirche haben die Organisatorinnen ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt. Neben Führungen und einem Workshop mit Meike Hahnraths wird es rund um das Thema „Schubladen“ verschiedene Veranstaltungen geben. Mit Rainer Schmidt haben die Veranstalterinnen einen Kabarettisten gewinnen können, der zum Thema Schubladen sicher einiges zu sagen hat. Der Mönchengladbacher Salon ist zu Gast, es gibt Vorträge über den psychologischen Nutzen und die Nachteile von Vorurteilen sowie zu Argumenten gegen Stammtischparolen und ein interkulturelles Werkstattgespräch. Auch die Vorurteile in der Bibel werden thematisiert: als Vortrag, aber auch als Textbeiträge, die die Ausstellung begleiten. Die Ausstellung in der Citykirche am Alten Markt in Mönchengladbach ist vom 5. September bis 30. Oktober geöffnet.

 

Das vollständige Programm kann unter www.citykirche-mg.de heruntergeladen werden. Weitere Informationen über Hintergründe und das Quiz sind unter www.schubladen.online abrufbar.