Kleider machen Leute. Sie sind nicht nur Textilien, die uns wärmen und schützen, sondern auch Ausdruck unserer Persönlichkeit, geben uns Selbstwertgefühl. Umso wichtiger zu hinterfragen, wie wir unsere Kleidung konsumieren und mit ihr umgehen.
Laut Studien ist der Modekonsum zwischen 2000 und 2015 um über 60 Prozent gestiegen. Weltweit werden mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke jährlich hergestellt. Deutsche Verbraucher kaufen pro Jahr im Durchschnitt 60 neue Kleidungsstücke, die sie allerdings nur noch halb so lange tragen wie noch vor 15 Jahren. „Fast Fashion“ heißt der Trend dahinter. Immer schneller produzieren Modemarken neue Trends. Günstige Kopien von Designer-Mode werden auf den Markt geworfen, massenhaft gekauft und wieder ausrangiert. Dazu kommt die mangelnde Qualität vieler dieser billig hergestellten Kleidungsstücke.
Die Trends von heute werden zum Müll von morgen. Zu einem hohen Preis für Klima, Ressourcen, Umwelt und die Menschen, die den größten Teil unserer Kleidung herstellen. Die Textilindustrie produziert jährlich mehr Treibhausgase als alle internationalen Flüge und Schifffahrt zusammen. Sie entstehen unter anderem bei der Produktion von Polyester, bei der Fertigung der Kleidung sowie beim Waschen und Trocknen und am Ende bei der Entsorgung. Bei der Herstellung und beim Waschen von Kunstfaserbekleidung gelangt zudem Microplastik in Meere und Flüsse. Der Einsatz von Chemikalien in der Textilindustrie ist zwar rückläufig, aber immer noch hoch, was unsere Gewässer zusätzlich belastet.
Doch nicht nur die Ökobilanz unserer Kleidung ist mies, auch die soziale. Die Produktionsbedingungen in den Kleiderfabriken in Asien und Mittelamerika sind trotz gewachsener öffentlicher Aufmerksamkeit nach wie vor katastrophal, wie unter anderem die „Christliche Initiative Romero“, die sich für ein gerechteres Wirtschaftssystem einsetzt, immer wieder anmahnt. Für bis zu 80 Stunden Arbeit in der Woche erhalten die Beschäftigten zumeist nicht einmal den Mindestlohn. Umdenken sei dringend angesagt, findet Nicole Meyr, Leiterin des „fairKauf“ in Aachen, Second-Hand-Geschäft des Caritasverbands Aachen-Stadt und Aachen-Land für Kleidung und Haushaltswaren. Sie hat sich intensiv mit der Thematik beschäftigt und je länger sie dazu recherchiert hat, desto schockierter war sie. Umso deutlicher ist für sie geworden, wie komplex das Thema ist und wie wenig uns als Verbraucher manche Zusammenhänge bewusst sind. Zum Beispiel, wie sehr sich eine so globale Thematik regional und lokal bemerkbar macht.
Auslöser war eine der Folgen von „Fast Fashion“, die gerne übersehen wird, wenn es um nachhaltigen Textilkonsum geht. Immer mehr produzierte und gekaufte Kleidung bedeutet auch immer mehr Altkleider. Dass Kleidung, „an der noch nix dran ist“, wie man in und um Aachen salopp sagt, in die Kleidersammlung gehört, hat sich inzwischen durchgesetzt. Ebenso, dass man nicht die Haussammlungen oder Container irgendeines dubiosen gewerblichen Sammlers nutzen sollte, sondern die einer gemeinnützigen Initiative, idealerweise einer mit dem Siegel von „fairWertung“.
Der Dachverband ist ein bundesweites Netzwerk von gemeinnützigen Organisationen, die sich für Transparenz und Nachhaltigkeit auf dem Textilmarkt einsetzen. Er hat einen „Verhaltenskodex für gemeinnützige Altkleidersammlungen“ entwickelt, nach dem rund 130 Organisationen, darunter auch viele kirchliche Einrichtungen, arbeiten. Über eine Million Tonnen würden jedes Jahr in die Sammlungen gemeinnütziger Organisationen gegeben, Tendenz steigend, heißt es in einer Meldung von „fairWertung“. Diese Kleiderflut stellt die Organisationen zunehmend vor Probleme. Ein immer größerer Anteil der Spenden kann nicht mehr als Second-Hand-Ware weiterverkauft werden. Doch es fehlt an ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten und marktfähigen Recyclingprodukten. Seit Beginn des Jahres sind daher nicht nur die Preise beim Ankauf von Altkleidern durch die Textilverwerter gesunken.
Es werde auch, erläutert Nicole Meyr, unterschieden in „Originalwaren-Sammlung“ aus den Kleidercontainern (und da noch einmal danach, ob der Container in einem „guten“ Viertel steht oder nicht) und in „Vorsortierte Ware“, wie sie die Second-Hand-Läden weitergeben. „Die Stiftung Bethel, bei der wir bislang unsere Kleiderspenden abgegeben haben, die wir nicht mehr weiterverkaufen können, kann keine Kleidung mehr annehmen, weil sie keine Textilverwerter mehr zum Ankauf findet“, schildert Nicole Meyr, wie das dann ganz konkret für Läden wie das „fairKauf“ aussieht. Schon immer haben sie die Spenden, die bei ihnen abgegeben werden, nachgeschaut und vorsortiert, nach Art, Größe und Saison, aber auch danach, was noch intakt ist und von guter Qualität, sich also im Laden verkaufen lässt. „Nun können wir im Prinzip nur noch solche Kleiderspenden annehmen. Aussortierte Waren müssen wir sonst kostenpflichtig entsorgen.“ So paradox es sei: Was eigentlich eine gute Sache im Sinne der Nachhaltigkeit sei, könne so schnell existenzgefährdend für die gemeinnützigen Kleiderläden werden.
Nur zu sagen, „sorry, aber das können wir nicht mehr annehmen“ ist Nicole Meyr zu wenig. Sie möchte ihre Kunden gerne sensibilisieren, zu Hause selbst zu sortieren, in Kleidung für den Second-Hand-Verkauf (guter Zustand, hohe Qualität, modisch), für den Container (mit deutlichen Tragespuren, von niedriger Qualität) und die Restmülltonne („Lumpen“, kaputt, verdreckt). Sie möchte aber auch zum Nachdenken anregen. „Mode soll und darf auch weiterhin Spaß machen“, sagt sie, „aber wir müssen unsere Konsumgewohnheiten kritisch betrachten und uns umorientieren“. Weniger Neues kaufen, Sachen auch mal etwas länger tragen, wenn, dann auch mal in Qualität investieren oder Second-Hand. Längst seien Läden wie der Aachener Caritasladen nicht mehr nur Anlaufstelle für sozial schwache Menschen. „Bei uns mischen sich die Einkommensklassen immer öfter, worin auch gesamtgesellschaftlich eine Chance liegt. Das schafft Gemeinsamkeiten.“ Dinge könnten so auch eine neue Wertigkeit bekommen: Seinen individuellen Kleidungsstil entdecken und eigene Trends kreieren, statt nur auf der neuesten Modewelle mitzusurfen.