Ihrer Trauer Raum geben

Nach zehn Jahren blickt das Kindertrauerprojekt „diesseits“ positiv auf seine Entwicklung zurück

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Datum:
11. Mai 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2021 | Andrea Thomas

Was macht eine gute Begleitung von trauernden Kindern und Jugendlichen aus? 
Dieser und anderen Fragen sind eine Evaluationsstudie sowie ein Symposium der Katholischen Fachhochschule Aachen über die Entwicklung des Aachener Trauerprojektes „diesseits“ für junge Menschen nachgegangen. Anlass war dessen zehnjähriges Bestehen im vergangenen Jahr.

Trauer Aachen (c) Andrea Thomas
Trauer Aachen

Auf den Weg gebracht haben das Projekt 2010 Maria Pirch, Gemeindereferentin in „Franziska von Aachen“ und bis heute Leiterin von „diesseits“, und Adelheid Schönhofer-Iyassu, die das Projekt bis zu deren Ausstieg 2016 für die Malteser Aachen betreute. Beide hatten in ihrer Arbeit die Erfahrung gemacht, dass Kinder und Jugendliche anders mit dem Verlust einer nahestehenden Bezugsperson umgehen und auch, dass sie in einer Trauersituation in der Familie leicht übersehen werden. Gemeinsam mit interessierten Ehrenamtlichen überlegten sie, wie sie einen Raum für die Trauer von Kindern und Jugendlichen in der Stadt Aachen (und darüber hinaus) schaffen könnten.

Dieser „Raum“ bestand zu Beginn in einer monatlichen offenen Trauergruppe für Kinder vom Grundschulalter bis zwölf Jahre. Später kamen eine Gruppe für Jugendliche sowie begleitende Angebote für die Eltern hinzu. Mit den gesammelten Erfahrungen wurde deutlich, dass dieses Format nicht optimal war. Um mehr Verbindlichkeit und Vertrautheit in der Gruppe zu erreichen, wurde das Konzept 2013 angepasst und ein geschlossenes Gruppenangebot mit festem Teilnehmerkreis entwickelt. So wuchs und entwickelte sich „diesseits“ über die Jahre weiter. Tiergestützte Angebote wie therapeutisches Reiten, die sich besonders an jüngere Kinder richten, kamen hinzu, die Möglichkeit zu Einzelgesprächen, offene Treffen für ehemalige Teilnehmer sowie mit „diesseits 20plus“ ein Angebot für junge Erwachsene.

Seit 2019 sind die Trauergruppen für Kinder wieder offen, aber mit einem Konzept, das eine gewisse Verbindlichkeit schafft. Ein Nachteil der festen Gruppen waren Wartezeiten, wo ein Kind zeitnah Hilfe brauchte.

Diese Flexibilität und Bereitschaft, Arbeitsweise und Konzept stetig weiterzuentwickeln, bewerteten auch die beiden Professoren der KatHo, Johannes Jungbauer und Rainer Krockauer, in ihrer Studie als positiv und als ein wichtiges Merkmal von „diesseits“. Nach Auswertung der Gespräche – mit Kindern, die an einer der Trauergruppen teilgenommen haben, jungen Erwachsenen aus dem Angebot „diesseits 20plus“ sowie haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen – bewerten sie das Projekt als „einen wichtigen und wegweisenden Beitrag zur Unterstützung trauernder junger Menschen“. Zu den Stärken des Konzepts zählen sie den niedrigschwelligen Zugang, die Kostenfreiheit, aber vor allem die „konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der teilnehmenden jungen Menschen“. Positiv wurde auch die tragende Rolle der Ehrenamtlichen hervorgehoben.
Die befragten Kinder und die jungen Erwachsenen bewerteten ihre Erfahrungen mit „diesseits“ übereinstimmend als hilfreich. Besonders den Austausch mit anderen im gleichen Alter, die Ähnliches erlebt haben, empfanden sie als tröstlich. In der Gruppe hätten sie unbefangen über den Verstorbenen reden können, hätten einen Raum für ihre Trauer gefunden und sich aufgefangen gefühlt. Auch für Kinder, die schwer belastet seien und denen es schwerfalle, über ihre Trauer zu reden, sei die Gruppe hilfreich, weil sie zu nichts gedrängt würden, was nicht ihren Bedürfnissen entspreche, fassten Jungbauer und Krockauer zusammen.

Positiv fanden die Kinder außerdem, dass es nicht immer nur um Trauer ging, sondern sie auch schöne Dinge gemeinsam unternommen und Spaß miteinander gehabt hätten. Für die jungen Erwachsenen war besonders das intensive Reden und Zuhören wertvoll, sowie in ihrem Alltag, der das oft nicht zulasse, einen Ort für ihre Trauer zu haben. 
Obwohl „diesseits“ ein kirchlich getragenes Angebot ist, spielen Glaube und Kirche eine eher unterschwellige Rolle, was nicht bedeutet, dass es in den Gesprächen nicht auch um spirituelle Fragen geht, jedoch mit Fingerspitzengefühl, wie die Teilnehmer dankbar festellten.

Thema sei Trauer, nicht Religion, so die Studie. Kirche stellt vielmehr ihre Ressourcen zur Verfügung: die Räume, in denen „diesseits“ stattfindet, ihre Kompetenz in der Seelsorge, getragen von den Haupt- und Ehrenamtlichen, die Werte wie Mitgefühl, Nächstenliebe und Würde leben und in ihre Arbeit einfließen lassen.  Für das Team sind die Ergebnisse eine Bestärkung in ihrer Arbeit und darin, die Bedürfnisse der jungen Menschen auch zukünftig an erste Stelle zu setzen. Wichtig bleiben weiter eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen, eine Vernetzung mit anderen Akteuren in der Trauerbegleitung, die Ausbildung von Multiplikatoren sowie ein Ausbau des Internetangebotes, um Jugendliche und junge Erwachsene noch besser und zielgerichteter erreichen zu können.

Infos: www.diesseits-aachen.de