Ihre Radikalisierung ist vielen nicht bewusst

Auch unter Christen gibt es Rechtspopulisten und Anti-Demokraten. Was bedeutet das für die Kirchen?

Der Austausch im Nell-Breuning-Haus fand in Präsenz und online statt. (c) Thomas Hohenschue
Der Austausch im Nell-Breuning-Haus fand in Präsenz und online statt.
Datum:
22. Juni 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 25/2022 | Andrea Thomas

Stürmische Zeiten für Demokratien. Auch in Ländern, die als gefestigte Demokratien gelten, finden antidemokratisches und rechtes Gedankengut vermehrt Anhänger. Der Frage, wie verbreitet dies innerhalb der Kirchen ist und welchen Einfluss das hat, ist eine Diskussion im Nell-Breuning-Haus nachgegangen.

Andreas Püttmann (c) Andrea Thomas
Andreas Püttmann

Unter den Menschen, die mit antidemokratischen und rechtsradikalen Kräften sympathisieren, beruft sich eine Gruppe ganz explizit auf christliche Werte. Gut vernetzt, personell wie medial, nutzen sie diese für ihre Argumentation und untermauern damit eine Haltung, die über eine christlich-konservative weit hinausgeht und mit christlicher Nächstenliebe wenig zu tun hat.

Viele gesellschaftliche und politische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte stoßen bei dieser Gruppe auf radikale Ablehnung und aktiven Widerstand, skizzierte der Bonner Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Seien es heutige Lebensentwürfe mit Familienformen und Lebenspartnerschaften, jenseits vom klassischen Vater-Mutter-Kind, die Überwindung überkommener Geschlechterrollen und -klischees, die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung oder die Toleranz gegenüber anderen Konfessionen, Religionen und Kulturen. Wer diesen „rechten Wut-Katholizismus“, wie Püttmann ihn nennt, kritisiere, werde aufs Übelste in Internet und Medien verunglimpft. Sich selbst stelle diese Gruppe dagegen gerne als verleumdete Opfer dar, bis hin zur Verwendung des Begriffs „Christenverfolgung“.

 >>Es ist eine Minderheit, die aber sehr lautstark ist. <<

  Thomas Sternberg

 

Theologin Sonja Strube verfolgt die Szene und deren Äußerungen seit Längerem im Netz. Die hier verwendeten Positionen und die Sprache zeigten deutlich die Verachtung für und den Hass auf demokratische Institutionen und Errungenschaften. Man müsse das klar als antidemokratisch benennen. Sie beobachtet auch eine zunehmende Radikalisierung, die jedoch vielen in und außerhalb von Kirche über die Jahre hinweg bei sich selbst gar nicht bewusst sei. Festzustellen sei auch, dass sich in der Szene oft größer gemacht werde, als man sei. „Sie stellen sich dar als Graswurzelbewegung, sind aber eher ein Kunstrasen weniger Leute.“ Die neue intellektuelle Rechte, so ihre Beobachtung, greife immer öfter auf christliche Autoren und Schlagworte bis hin zu lehramtlichen Texten zurück, um sich so mit einem vermeintlich christlichen Fundament in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren.

Es handele sich bei rechten Katholiken um eine Minderheit, die aber sehr lautstark sei und auch über ihre eigenen Medien hinaus präsent, was dazu geführt habe, dass man sie in der Vergangenheit zu wichtig genommen habe, erklärte der langjährige Vorsitzende des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg. Inzwischen wandele sich der Umgang damit, zum Beispiel in Ordinariaten und Bischofshäusern. Sein Eindruck sei, dass es da in den letzten Jahren und angesichts der sehr schwierigen Situation von Kirche zu erheblichen Veränderungen gekommen sei. Wenn wir über Rechtskatholiken redeten, dann über eine radikale Sondergruppe. Entsprechende Seiten im Internet würden inzwischen in ihrer klaren rechtsradikalen Ausrichtung auch als solche wahrgenommen. Schwieriger sei die Grenze bei Medien zu ziehen, die als konservativ gelten, immer wieder aber auch den rechten Rand bedienten.

Als bedauerlich empfindet er, dass manche Themen, wie der Schutz des ungeborenen Lebens, von fundamentalistischen Christen vereinnahmt würden, was den Diskurs und die Positionierung für Christen erschwere. Der evangelische Theologe Arnulf von Scheliha sieht in der Annäherung neurechter Publizisten an christliche Themen den Versuch, „ein geistiges Vakuum“ zu füllen, um „etwas für den intellektuellen Anspruch zu haben“. Begegnen könne man dem mit einem breiteren theologischen und intellektuellen Diskurs.