„Ich fühle mich sehr wohl hier“

Vor acht Jahren beschloss Katharina Kalla, Kinderdorfmutter in Schwalmtal zu werden. Auch für sie ist es ein Zuhause geworden.

Seit acht Jahren lebt Katharina Kalla im Bethanien-Kinderdorf als Kinderdorfmutter. Aktuell betreut sie sechs Kinder im Lindenhaus. (c) Kathrin Albrecht
Seit acht Jahren lebt Katharina Kalla im Bethanien-Kinderdorf als Kinderdorfmutter. Aktuell betreut sie sechs Kinder im Lindenhaus.
Datum:
19. Dez. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51-52/2024 | Kathrin Albrecht

Draußen ist einer dieser typischen grauen Dezember-Tage. Es ist nasskalt, nebelig, und es mag nicht richtig hell werden. Im Lindenhaus im Bethanien-Kinderdorf in Schwalmtal ist es warm und gemütlich. Katharina Kalla bewohnt es mit ihren sechs Kindern, die sie in Obhut hat. 

Sofort ins Auge fällt die große Krippe aus gehäkelten Figuren, die die Familie im Flur aufgebaut hat. Im großen Wohnraum gibt es weitere Krippen. Die Haba-Krippe aus Holz ist der Favorit der Kinder, erzählt Katharina Kalla, weil die Figuren bewegt werden können. An den Wänden hängen Fotos, die Katharina Kalla bei mehreren Aufenthalten in Afrika geschossen hat: Ein Löwe thront auf einem Felsen, eine Gruppe Gorillas, die sie in Uganda gesehen hat („von der Gruppe standen wir etwas sieben Meter weg“), ein Elefant. Auch die Giraffen stechen ins Auge. Der jüngste Zuwachs, „Giro“, ist eine fast lebensgroße Plüschgiraffe und stammt aus einem Kinderhospiz, der sie abgegeben hat. Als die Giraffe angeliefert wurde, gab es einige Aufregung, erzählt Katharina Kalla, „für einen Moment dachten die Kinder, die Giraffe sei echt.“   

Auch echte Tiere bevölkern das Lindenhaus: zwei Katzen, einige Hühner und einige afrikanische Achatschnecken. Die Tiere sind auch ein Hinweis auf das Leben, das Katharina Kalla hatte, bevor sie sich entschloss, Kinderdorfmutter zu werden. Die Kaarsterin studierte zunächst Tiermedizin in Hannover, ging dann nach Regensburg, arbeitete als Assistenzkraft am tiermedizinischen Institut. Tiermedizin zu studieren war schon ihr Herzenswunsch, „und der tierärztliche Beruf ist nach wie vor spannend“, sagt Katharina Kalla. Doch da war auch immer noch etwas anderes: „Die Idee, Kinderdorfmutter zu sein, trage ich schon länger mit mir.“ Als es dann einige Umbrüche in ihrem Leben gibt, entschließt sie sich, die Idee in die Tat umzusetzen. Im Bethanien-Kinderdorf merkt sie schnell: „Das passt. Das Konzept gefiel mir, ebenso die christlichen Werte, die hier vermittelt werden. Das ist auch für die Kinder enorm wichtig.“ Mit Anfang Dreißig beginnt sie eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin, hospitiert im Kinderdorf bei mehreren Familien.

Im Bethanien-Kinderdorf leben Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können. Gegründet wurde das Kinderdorf vor 60 Jahren von den Dominikanerinnen, die mit ihrem Konzept Maßstäbe setzten. Kinder erhalten hier die Möglichkeit, Bindungen einzugehen, Familie zu erleben. Geschwister werden nicht getrennt, sondern, wenn möglich, zusammen aufgenommen.

Das wichtigste für die Kinder ist Konstanz, das Wissen, jemand ist da

Seit acht Jahren lebt Katharina Kalla jetzt als Kinderdorfmutter in Schwalmtal. Eines ihrer sechs Kinder, die sie aktuell betreut, kam gleich zu Beginn in ihre Obhut. Dazu kamen ein jetzt siebenjähriges Mädchen und vier Geschwister aus Kamerun – eine quirlige Großfamilie. Das älteste Kind ist 10, die jüngsten sind vier Jahre alt. Zwei pädagogische Mitarbeiter, ein Student und eine Hauswirtschaftskraft unterstützen Katharina Kalla bei der Arbeit: „Wir sind wie eine Großfamilie.“

Ein wichtiger Baustein dabei sind auch Katharina Kallas Eltern, die für die Kinder wie Großeltern sind. „Das wichtigste für Kinder ist Konstanz, das Wissen, dass immer jemand da ist“, unterstreicht Katharina Kalla. Wenn sie von „ihren Kindern“ erzählt, leuchten ihre Augen, und es schwingt Stolz mit, „es ist superschön zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln.“ Denn in eine neue Umgebung zu kommen, ist für Kinder, egal, was sie vorher in ihren Familien erlebt haben, auch ein Trauma. Es brauche Zeit, bis man einen Zugang gefunden habe, sagt Katharina Kalla. Sie erinnert sich, dass eines ihrer Mädchen am Anfang so schüchtern war, dass sie kaum sprach. In diesem Jahr sang sie bei der Nikolausfeier.

Und dann sind da auch die Vorbehalte, mit denen die Kinder konfrontiert werden. Auch, wenn das Bethanien-Kinderdorf im Ort hohes Ansehen genießt, bemerkt Katharina Kalla, dass einige noch falsche Vorstellungen davon haben, wie das Leben im Kinderdorf aussieht. Sie bemerkt das, wenn Schulfreunde das erste Mal zum Spielen kommen und die Eltern, die sie bringen, erstaunt feststellen: „Das ist ja wie bei uns zu Hause.“ 

Auch Heiligabend und Weihnachten feiern sie gemeinsam

Die Kinder aus dem Kinderdorf bieten viel Angriffsfläche, auch, weil sie zum Teil auch aus anderen Kulturen kommen, eine andere Hautfarbe haben. Da brauchen sie viel positive Bestärkung, sagt Katharina Kalla.

Einmal hat sie es auch erlebt, dass ein Kind, das bei ihr in Obhut war, wieder zurück in die Familie ging. Auch, wenn das Ziel des Kinderdorfes ist, dass Kinder eine langfristige Perspektive im Dorf in ihren Familien entwickeln, kommt es vor, dass Kinder das Dorf wieder verlassen.

„Da ist diese Unsicherheit, die man als Kinderdorfmutter hat, dass das Kind eventuell doch nicht bei mir groß wird. Das schwingt immer mit und ist nicht leicht“, gesteht Katharina Kalla. 
Ihre Kinder empfinden die Familie im Lindenhaus als ihr Zuhause und fühlen sich wohl. Auch Heiligabend und Weihnachten verbringen sie gemeinsam.

Auch für Katharina Kalla ist das Kinderdorf ein Zuhause geworden. „Ich fühle mich sehr wohl hier und hoffe, dass ich das noch lange mache.“ Ihre Entscheidung bereut sie keinen Moment, auch, wenn ihr manchmal wenig Zeit für sich bleibt: „Ich finde das so erfüllend, dass ich das Gefühl habe, ich kann den Kindern etwas mitgeben.“