„Ich bin keine Quotenfrau“

Die RWTH-Professorin Verena Nitsch setzt sich für bunte Vielfalt in Forschung, Technik und Ingenieurswissenschaften ein. Es geht ihr nicht um die Erfüllung von Quoten, sondern um Themen und exzellente Forschung. Angesichts der Kahlschläge von Donald Trump fordert sie dazu auf, weiterhin „Mut zu haben, auf diese Themen aufmerksam zu machen“ und sich für eine gerechtere Welt einzusetzen.

Wir haben einen sehr langen Weg hinter uns. Aber es liegt noch viel Weg vor uns
Wir haben einen sehr langen Weg hinter uns. Aber es liegt noch viel Weg vor uns", sagt die Universitätsprofessorin Dr.-Ing. Verena Nitsch von der RWTH.
Datum:
13. Feb. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 07/2025 | Stephan Johnen

Donald Trump war schon immer ein Freund markiger Worte. Kaum im Amt, lässt der neue Präsident der USA den Worten Taten folgen. Wie angekündigt, hat er flächendeckend Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion streichen lassen und die Mitarbeiter von Behörden in Urlaub, also in eine ungewisse Zukunft geschickt. 

Wer sich im Netz über Diversitäts- und Gleichberechtigungsprogramme informieren möchte, findet abgeschaltete Seiten vor. Der Präsident gibt die Richtung vor, viele (große) Unternehmen folgen ihm bereits. War es das mit der Gleichberechtigung, und ein neues Zeitalter der Diskriminierung bricht an?

„Vor einem halben Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass so etwas passieren wird. Und die Schnelligkeit, in der es geschieht, überrascht mich doch“, sagt Professorin Dr.-Ing. Verena Nitsch von der RWTH Aachen. „Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es so viele Chancen wie zu diesem Zeitpunkt gegeben“, bilanziert die Wissenschaftlerin. Seien es Frauen in Führungspositionen oder Programme zur Förderung und Gleichstellung von Minderheiten in Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. „Wir haben einen sehr langen Weg hinter uns. Aber es liegt noch viel mehr Weg vor uns“, sagt die Universitätsprofessorin, für die es keine rationalen Gründe gibt, die Förderung von Vielfalt nun zurückzudrehen oder gar zu streichen. 

„Es ist immer gut begründet, Vielfalt zu fördern. Es gibt auch wirtschaftliche Gründe: Wenn wir angesichts des Fachkräftemangels und globalen Wettbewerbs die besten Talente gewinnen wollen und offene Stellen gut besetzen wollen, können wir uns das als Gesellschaft gar nicht leisten. Diese Gründe sind ja nicht verschwunden, nur weil Donald Trump gewählt wurde oder womöglich in Deutschland andere Parteien übernehmen“, sagt Verena Nitsch. War Trumps erste Amtszeit noch von „alternativen Fakten“ geprägt, hat sich der Politikstil gleich zu Beginn der zweiten Amtszeit merklich verändert. „Donald Trump hat alternative Fakten hinter sich gelassen. Er braucht offenbar gar keine Fakten mehr“, befürchtet die Wissenschaftlerin, die einräumt: „Das bereitet mir schon schlaflose Nächte.“

Verena Nitsch ist eine von wenigen Professorinnen in der höchsten Besoldungsstufe der RWTH Aachen. Der Frauenanteil in dieser Gruppe liegt bei rund 16 Prozent. „Wir haben noch Luft nach oben“, sagt sie und muss lächeln. Von 2007 bis 2023 sei der Anteil der Frauen unter den Dozentinnen und Dozenten immerhin um gut 470 Prozent gestiegen. „Das zeigt aber, wie extrem wenige Frauen es vorher in der Forschung gab“, erklärt die Professorin, die die Kampagne „Not A Token Women“ der Universität unterstützt, in der die Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft thematisiert wird und Frauen ermutigt werden sollen, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben – gerade auch in den naturwissenschaftlichen und technischen Fachgebieten. „Ich bin keine Quotenfrau“, stellt die Professorin klar. Nicht nur für ihr Fachgebiet gelte: „Es geht nicht um die Erfüllung von Quoten, sondern um Themen, es geht um exzellente Forschung.“

„Es gibt weder an der RWTH noch in Deutschland einen Grund dafür, warum wir von unserem Weg abweichen sollten“, ist Verena Nitsch überzeugt, dass die Radikalität eines Donald Trump keine Echokammer finden dürfte. Zumindest aktuell. „Viele Menschen unternehmen viele Anstrengungen für Vielfalt und Gleichberechtigung, unabhängig davon, welche Partei in die Regierung kommt“, sagt sie. Dennoch dürfe nicht leichtfertig mit den Rechten und Freiheiten, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erkämpft worden sind, umgegangen werden. „Jedes Recht kann einem auch wieder genommen werden. Sind Rechte und Freiheiten in Gefahr, wird man noch einmal extra aktiviert und setzt sich engagiert ein, um diese Rechte zu verteidigen, sich politisch zu engagieren und für einen offenen Diskurs zu stehen“, sagt die Professorin. „So ein Diskurs ist in der Wissenschaft Praxis. Es wäre schön, wenn es auch woanders so wäre.“

Den Begriff der „Gleichstellung“ findet sie schwierig. „Ich bevorzuge den Begriff Chancengerechtigkeit“, sagt sie: „Auch wir versuchen jeden Tag, Barrieren für Gruppen abzubauen, für die diese Chancen nicht existieren.“ Übrigens betreffe dieser Einsatz für Chancengerechtigkeit längst nicht ausschließlich Frauen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beispielsweise sei auch für Männer eine Herausforderung. In vielen Branchen und auch im Erziehungswesen seien mit Ausnahme der weiterführenden Schulen Männer absolut unterrepräsentiert – so wie Frauen oft in technischen Berufen und in der Forschung. „Dieses Thema hat eine hohe Relevanz. Ich möchte gerne in der Zeit, die ich auf diesem Planeten verweile, die Gesellschaft etwas gerechter gestalten“, erklärt sie ihren Einsatz für Chancengleichheit über ihre Tätigkeit als Professorin und Institutsleiterin hinaus.

Befürchtungen oder gar Angst, dass es in naher Zukunft Entwicklungen wie in den USA gibt, hat sie nicht. Verena Nitsch setzt trotz des Erstarkens der (Rechts-)Populisten viel Hoffnung in die deutsche Zivilgesellschaft und Institutionen wie Universitäten. „Wir haben andere Strukturen, eine andere Diskussionskultur. Wir streiten viel zu gerne über kleinste Details. Das kann man heute auch durchaus einmal positiv sehen, denn das könnte uns auch vor Alleingängen bremsen“, sagt sie. Auch angesichts zu erwartender Einsparungen bei den Ausgaben der öffentlichen Hand dürfe „Vielfalt“ nicht als vermeintliches Luxusthema abgestempelt werden. „Ich hoffe, dass wir weiterhin den Mut haben, auf diese Themen aufmerksam zu machen. Für Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft ist es sinnvoll, Vielfalt zu fördern“, sagt Verena Nitsch. Die Professorin erlebe im Umgang mit Studentinnen und Studenten täglich, „wie viele tolle Menschen es auf der Welt gibt“. Junge Menschen, die trotz des Leistungsdrucks und voller Terminkalender engagiert sind, ihre verbleibende Zeit einsetzen möchten, damit es andere besser haben, die anderen zu helfen. Verena Nitsch: „Das motiviert schon!“ 

Zur Person

Professorin Dr.-Ing. Verena Nitsch ist seit 2018 Lehrstuhlinhaberin und Direktorin des Instituts für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen. Die 42-Jährige engagiert sich darüber hinaus als Vorsitzende der Kommission für Chancengerechtigkeit und Diversität und als Vorsitzende der fakultätsübergreifenden Ethikkommission der RWTH. Sie beteiligt sich zudem an der Kampagne „Not A Token Woman“ (Keine Quotenfrau), mit der die Universität bewusst die Problematik der Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft thematisiert.