Neues Jahr, neues Glück, alte Krisen: Selbst mit den besten Vorsätzen werden die Sorgen des alten Jahres mit in das neue genommen. Kriege und Konflikte, Rezession und politische Unsicherheiten sind auch nach Neujahr noch da. Wie behält man da Hoffnung und Zuversicht, wenn es auch im persönlichen Leben knirscht? Die KirchenZeitung hat Familientherapeutin Raphaela Kaets gefragt.
Es ist die dunkle Jahreszeit, auch wenn gerade die Tage wieder unmerklich länger werden. Jeden Tag bleibt es eine Minute länger hell. Wobei, oft verhindern Wolken in unterschiedlichen Grautönen, dass die Sonnenstrahlen durchkommen und neben dem Tag auch das Gemüt aufhellen. Kann man mit diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch Hoffnung haben? „Mein Eindruck ist, dass, wenn die Not sehr, sehr groß ist, man auch bereit ist, kleine Funken der Hoffnung anzunehmen“, sagt Raphaela Kaets, Familientherapeutin im Katholischen Beratungszentrum für Ehe-, Familien, Lebens- und Glaubensfragen in Mönchengladbach.
Hoffnung ist das Gefühl, von etwas wegkommen zu wollen, so die Definition. In schwierigen Zeiten hat sie auch eine Trostfunktion. Ihre Schwester ist die Zuversicht, die sich einstellt, wenn man sich auf eine Lösung hinbewegt. Sie gibt den Zuversichtlichen einen Energieschub, man sieht Lösungen, kann aktiv handeln und Dinge verändern. Die Hoffnung ist also die Grundlage der Zuversicht, der Anstoß, sich auf den Weg zu machen. „Die Hoffnung trägt Menschen“, sagt Kaets. „Es war schon immer so, um in schwierigen Zeiten nicht in Passivität zu verfallen.“
Dass es gerade für viele als schwierig empfunden wird, einen Hoffnungsschimmer zu sehen, liegt an den langen „guten“ Zeiten, die die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. „Noch nie haben wir so eine lange kriegsfreie Zeit gehabt“, sagt Kaets. Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hat das beendet. „Auch Corona hat Spuren hinterlassen, wir sind dünnhäutiger geworden“, sagt Kaets. Nun sei es wichtig, die Resilienz zu stärken.
Als Resilienz wird die Fähigkeit bezeichnet, mit Veränderungen, Problemen, Schicksalsschlägen und traumatischen Erlebnissen so umzugehen, dass man sein Leben nachher weiter gestalten kann. Aber wie schafft man es, diese Resilienz zu bekommen? Kaets rät zu Aktivitäten, die Zuversicht geben. Kraftorte aufsuchen, mit anderen oder alleine singen, der Geruch von Mandarinen oder dem frischen Kaffee morgens kann ebenfalls helfen, seine Resilienz zu stärken.
Dass heute die Menschen oft scheinbar empfindlicher auf Nachrichten reagieren, hängt aber auch von anderen Faktoren als den Geschehnissen selbst ab. „Krisen sind heute medial total präsent, das war vor 30 Jahren nicht so“, sagt Kaets. „Wir haben davon gehört, aber im Detail nicht alles gewusst.“ Heute ist durch Videos in sozialen Medien jeder gefühlt bei Überfällen, Attentaten oder Kriegen direkt am Ort des Geschehens – oder doch zumindest am Rand. Auch werden viele Ereignisse fast in Echtzeit gemeldet. Auch das war früher anders.
Selbst die Geiselnahme von Gladbeck im Sommer 1988, in dessen Verlauf drei Menschen starben, war trotz der heute umstrittenen Live-Berichterstattung durch Journalisten nicht so nah an den Fernsehzuschauern und Radiohörern. Nie zuvor waren Zuschauer und Zuhörer so nah an einem Verbrechen dran. Zum ersten Mal führten Journalisten Live-Interviews mit Geiselnehmern und Geiseln. Die Bilder von der 18-jährigen Silke Bischoff, der die Reporter Fragen gestellt haben, während sie von einem Geiselnehmer die Waffe an den Hals gehalten bekam, gingen um die Welt. Damals gab es noch kein Internet und keine Smartphones. Deshalb hatten die Menschen Pausen, wenn sie zum Beispiel an der Arbeitsstelle das Geschehen nicht im Radio oder im Fernsehen verfolgen konnten.
Zwar hat das Verbrechen dazu geführt, dass der Pressekodex geändert wurde und Journalisten heute keine Geiselnehmer mehr während der Geiselnahme interviewen sollten, doch jetzt sind durch Handykameras unabhängig von den Reportern Filmaufnahmen und Livestreams in Echtzeit möglich. Ortsungebunden ist jeder auf diese Weise direkt mittendrin.
„Dazu kommt die dunkle Jahreszeit, in der eine Kerze vielleicht nicht mehr reicht“, sagt Kaets. Was aber wieder mehr Licht ins Leben bringen kann: Den Fokus auf die guten Dinge im Leben zu richten. „Schlechte Nachrichten gehen direkt ins Langzeitgedächtnis, gute muss man sich bewusst machen“, sagt die Familientherapeutin. Sich jeden Tag notieren, was am Tag Gutes geschehen ist, kann da helfen. Auch Rituale machen das Leben leichter: einen Spaziergang im Park zu machen und die Natur zu spüren oder ein Lieblingslied zu hören.
Oder einmal die Frage umzudrehen: Wem gebe ich Hoffnung? „Vielleicht bin ich auch im Kleinen für andere gut?“, ist eine Anregung von Kaets. Wer andere unterstützt, erfährt oft Dankbarkeit, die einen Energieschub gibt.
Wer sich in guten Zeiten Erlebnisse schafft, an die man sich in schlechten erinnern kann, trainiert seinen Hoffnungsmuskel ebenfalls. Wer sich in Krisen gute Erinnerungen abrufen kann, schafft es oft etwas leichter durch Krisen.