Hoffnung und Mut am Lebensende

Das Aachener Hospiz Haus Hörn ermöglicht Menschen einen Abschied in Würde

War zehn Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv: Leiterin Anne Storcks arbeitet seit 2019 in Haus Hörn. (c) Dagmar Meyer-Roeger
War zehn Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv: Leiterin Anne Storcks arbeitet seit 2019 in Haus Hörn.
Datum:
18. Dez. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 33/2025 | Gerd Felder

Hell, licht, offen, wohnlich – so präsentiert sich das Hospiz Haus Hörn, wenn man es betritt. Der Blick fällt durch einen Flur mit lindgrünen Wänden auf eine Fensterwand, die einen schönen Blick ins Freie erlaubt. In der Ecke sind Gesellschaftsspiele aufgebaut, ein gemütliches Sofa lädt zusammen mit bequemen Sesseln zum Verweilen ein. Der erste Eindruck: Hier wird nicht nur gestorben, sondern auch intensiv gelebt. Nicht Dunkel und Verzweiflung herrschen hier, sondern Hoffnung und Mut – und zwar sowohl bei denen, die hier wohnen, also den „Gästen“, wie bei denen, die hier arbeiten. 

Am Tag zuvor ist ein „Gast“, wie hier die Patienten heißen, gestorben. „Freundliche Menschen, die liebe- und verständnisvolle Zuneigung zeigen, fingen einen auf – alles unaufdringlich, überaus geduldig“, heißt es in einem Dankesbrief, den er noch kurz vor seinem Tod verfasst hat. „Endlich kann ich gehen! Ich zolle meine größte Hochachtung und tiefe Dankbarkeit den pflegenden Menschen dieser Einrichtung.“ Diese Worte machen deutlich: Wer zu Hause oder im Krankenhaus nicht mehr umfassend versorgt werden kann, findet hier eine Heimat, in der ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben bis zum Tod möglich ist.

Die Zimmer sind hell, licht und wohnlich. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Die Zimmer sind hell, licht und wohnlich.

Der Eindruck wird durch die Zimmer der Gäste, samt und sonders helle, freundlich gestaltete Einzelzimmer, die hier und da durch persönliche Gegenstände wie Bilder, kleine Möbelstücke oder Lampen geprägt werden, verstärkt. Die Bäder, über die alle Zimmer verfügen, sind selbstverständlich barrierefrei. Sieht man sich weiter um, so stößt man auf ein geräumiges, mediterran gestaltetes Badezimmer mit hydraulischer Badewanne. Einige Schritte weiter erreicht man eine Tür, die nach draußen in den weitläufigen Garten und eine kleine Parkanlage führt, in der Gäste und Besucher sich ebenfalls ergehen können.

Hospiz-Leiterin Anne Storcks arbeitet seit Juli 2019 im Haus Hörn. 1976 in Bottrop geboren, war sie nach ihrem Studium der Mathematik und Katholischer Theologie in Freiburg zehn Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Im Jahr 2002 kam sie zu einem Praktikum bei Misereor nach Aachen, arbeitete danach bei verschiedenen Organisationen und war schließlich als selbstständiger Coach und Supervisorin Mitgesellschafterin bei einer Unternehmensberatung. Im Rahmen einer logotherapeutischen Ausbildung nach Viktor Frankl stieß sie auf die Hospizarbeit. Eine Fernsehdokumentation zum Thema berührte sie so sehr, dass sie sich auf die Stelle der Hospiz-Leiterin beim Haus Hörn bewarb, sobald sie ausgeschrieben war, und den Zuschlag erhielt.

„Vorher hatte ich noch nie ein Hospiz von innen gesehen“, bekennt sie. „Das war am Anfang für mich ein völlig fremdes Feld.“ Wenige Monate später brach die Corona-Pandemie aus, und auf Anne Storcks und ihr Team kamen besondere Herausforderungen zu. „Wir haben Schutzkleidung getragen, uns jeden Tag testen lassen und versucht, die Besuchsregelungen so sozialverträglich wie möglich zu gestalten“, hebt Storcks hervor. „Bei uns ist niemand einsam gestorben.“ Längst hat sie sich nach sechseinhalb Jahren eine gewisse Routine zugelegt und macht ihre Arbeit gerne. „Kein Wunder, denn ich habe ein tolles Team, und alle sind mit Herzblut bei der Sache“, freut sie sich. „Wir bekommen viele positive Rückmeldungen von Gästen und Angehörigen, die sich bei uns bedanken.“

Schwester Judith Maria (c) Dagmar Meyer-Roeger
Schwester Judith Maria

Schwester Judith Maria begleitet die Gäste zusammen mit ihren Angehörigen in der letzten Phase. „Oft fällt von unseren Gästen, sobald sie hier sind, ein großer Ballast ab, vor allem, wenn sie eine Odyssee in verschiedenen Krankenhäusern hinter sich haben“, berichtet die Seelsorgerin. „Die Angehörigen sind anfangs häufig viel mehr durcheinander, weil sie nicht verkraften, dass ihre Liebsten im Hospiz sind und hier wahrscheinlich nicht mehr lebend herauskommen. Das ist für sie ganz schlimm.“

Schwester Judith Maria verabredet sich dann mit den Angehörigen und begleitet sie, solange sie Hilfe nötig haben. Im Laufe der Zeit lassen sie sich auf die Situation ein, vor allem weil ihre Liebsten auch Phasen haben, in denen es ihnen besser geht. Bei den Gästen selbst geht es vor allem darum, sie in und durch die Angst zu begleiten, dass und wie er oder sie stirbt. „Sie gehen den Weg, den wir alle gehen, und sie dabei zu begleiten, ist unglaublich schön und wertvoll.“

Trifft das Klischee zu, dass gläubige Menschen leichter sterben als nicht-gläubige? „Nicht unbedingt“, weiß Schwester Judith. „Aber für gläubige Hospizgäste ist es oft tröstlich, zu wissen, dass ihr Leben nicht im Tod endet. Viele sterben bewusst in die Liebe Gottes hinein.“ Wobei die gläubige Christin und Ordensschwester niemandem ihre christliche Überzeugung aufdrängt, sondern Juden, Muslime, Zeugen Jehovas, Agnostiker und Atheisten genauso begleitet wie gläubige Christen. Niemand brauche zu fürchten, dass er missioniert oder zum Beten gezwungen werde, fügt sie hinzu.

Andachtsraum: Der Raum der Stille lädt dazu ein, zur Ruhe zu kommen. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Andachtsraum: Der Raum der Stille lädt dazu ein, zur Ruhe zu kommen.

Genau diese Offenheit für die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen der Gäste und Besucher spiegelt sich auch im „Raum der Stille“ des Hospizes wider: ein schlichter, schnörkelloser Andachtsraum, der dazu einlädt, zur Ruhe zu kommen und zu meditieren, in dem aber kein Kreuz an der Wand hängt. „Ganz viele Gäste sagen am Ende: Können wir noch mal beten?“, spricht die Seelsorgerin aus ihrer großen Erfahrung. „Man kann außerdem über Gott sprechen, ohne ihn explizit zu erwähnen. Und viele hoffen auch auf ein Weiterleben nach dem Tod und auf ein Wiedersehen mit Menschen, die ihnen im Leben wichtig waren.“

Im Team sind alle mit Herzblut bei der Sache. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Im Team sind alle mit Herzblut bei der Sache.

Im Hospiz „Haus Hörn“ ist der Pflege-Schlüssel weitaus besser als in einem Krankenhaus oder Heim: Vier Pflegekräfte kümmern sich im Frühdienst um zwölf Gäste, beim Spätdienst sind es drei. Eine der Pflegerinnen ist Sabine Lanfermann. Wie alle Pflegekräfte hier verfügt sie über qualifizierte Weiterbildungen in Palliative Care, basaler Stimulation und naturheilkundlicher Pflege. „Schmerz hat viele Dimensionen, aber wir sind ganz nah an den Gästen dran“, versichert sie. „Sie erzählen uns oft von ihrer Erkrankung und manchmal sogar ihre ganze Lebensgeschichte. Wir müssen auch mit dem Belastenden, was häufig dahintersteht, umzugehen lernen und eine vertrauensvolle Basis zu ihnen aufbauen.“

Wobei an dieser Stelle auch wieder das Thema Hoffnung und Mut ins Spiel kommt: Gäste, Pflegekräfte und nicht zu vergessen 20 Ehrenamtliche tauschen viel Ermutigendes miteinander aus, essen Kuchen miteinander und lachen sogar sehr oft. Viele der Patienten sind über 70 Jahre alt, doch es gibt natürlich auch immer wieder Jüngere. In diesem Sommer ist ein 33-jähriger hier gestorben, vor einigen Jahren hatte eine 34-jährige hier die letzten Wochen ihres Lebens verbracht und sogar noch geheiratet.

Besserer Pflegeschlüssel: Vier Pflegekräfte kümmern sich um zwölf Gäste. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Besserer Pflegeschlüssel: Vier Pflegekräfte kümmern sich um zwölf Gäste.

Nach Auskunft von Sabine Lanfermann leiden 98 Prozent der Menschen, die im Hospiz Haus Hörn ihre letzte Zuflucht finden, an Krebs oder neurologischen Erkrankungen. Laut interner Statistik liegt der Durchschnittsaufenthalt bei 30 bis 40 Tagen, aber es gibt vereinzelt auch Gäste, die hier mehrere Monate gelebt haben. Völlig ungewöhnlich ist, dass sich im letzten Jahr zehn Personen wieder so gut erholt hatten, dass sie das Hospiz verlassen konnten. „In der Regel freuen sie sich natürlich darüber, aber es kommt auch vor, dass jemand sich schon total auf den eigenen Tod eingestellt hat und sich mit der Entscheidung schwertut, wie er oder sie weiterleben will“, berichtet Anne Storcks.

 

Und wie geht die Gesellschaft heute mit Sterben und Tod um? Hat sich da etwas positiv verändert? „Wenn ich meinen Beruf nenne, sagt niemand: Oje, wie schrecklich!“, antwortet Sabine Lanfermann. „Aber nach wie vor ist es für viele schwierig, mit dem Tod umzugehen. Das wird immer noch verdrängt.“ Immer wieder erlebe sie es, dass Leute überrascht seien, wenn sie das Hospiz beträten, weil sie es sich dunkel und etwas gruselig vorgestellt hätten und es dann zu ihrer Überraschung als hell und freundlich erlebten. Und Hospiz-Leiterin Storcks ergänzt: „Bei mir heißt es stets anerkennend: ,Ah ja, interessant, eine schwere Arbeit´. Ich glaube, das Problem für die meisten Menschen ist, dass sie vom Thema Sterben und Tod so unmittelbar persönlich berührt sind.“

Vor diesem Hintergrund sei es das erklärte Ziel des Hospizes Haus Hörn, dazu beizutragen, dass sich an der Einstellung der Gesellschaft zu dem sensiblen Thema etwas ändert. Deshalb versuche man, an verschiedenen Orten präsent zu sein und Flagge zu zeigen. Dem dienen die guten Kontakte zu Schulen, die Kooperation mit den Aachener Kinos „Apollo“ und „Cineplex“ und nicht zuletzt auch das jährlich veranstaltete Sommerfest. „Wir versuchen, ein offenes Haus und zugleich ein Schutzraum für unsere Gäste zu sein“, erläutert die Hospiz-Leiterin. „Und wir wollen jedem Gast das Gefühl geben, dass er auf seinem Weg nicht allein ist, sondern Hilfe bekommt, getragen wird und so sein darf, wie er sein möchte. Dadurch wollen wir Hoffnung und Mut verbreiten.“

1986 gegründet

Haus Hörn wurde 1986 als erstes stationäres Hospiz in Deutschland gegründet. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Haus Hörn wurde 1986 als erstes stationäres Hospiz in Deutschland gegründet.

Das Hospiz Haus Hörn wurde 1986 von katholischen Priester Paul Türks gegen zum Teil erhebliche Widerstände als erstes stationäres Hospiz Deutschlands gegründet. Träger war damals wie heute das Oratorium des Philipp Neri. Pionierin neben Pfarrer Türks war die damalige Pflegedienstleiterin Clementine Louven, die heute noch hochbetagt in Aachen lebt.