Ein sehr eingeschränktes Bild, wie Laura (Name geändert), selbst Autistin, sagt und das sie gerne ändern möchte. „Wir haben nicht alle eine Inselbegabung oder können gut mit Zahlen umgehen. Es gibt viele Formen von Autismus“, sagt sie. Man sehe Menschen das ja nicht an und halte sie daher oft für seltsam, unfreundlich oder unsozial. Was sie nicht seien, im Gegenteil. Sie seien nur anders, nähmen Dinge anders war und seien oft einfach überfordert inmitten vieler Menschen und von dem, was für die Menschen um sie herum als „normales“ Verhalten gelte. In Deutschland gibt es unter 10000 Menschen geschätzt fünf bis 15 mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Die bekanntesten Formen sind frühkindlicher Autismus und das Asperger Syndrom. Menschen mit ASS sind sich häufig nicht über allgemeine Regeln im Klaren, sie haben Schwierigkeiten, wenn zu viele Reize und Informationen auf sie einströmen, und bei der Kommunikation mit anderen. Veränderungen in ihrem Umfeld oder abweichende Abläufe verunsichern sie. Häufig haben diese Menschen besondere Interessen, mit denen sie sich lange und sehr ausführlich beschäftigen und sich so Spezialwissen aneignen. Gesprächspartner können diesem sehr tiefgreifenden Wissen oft nicht ausreichend folgen, was eine Unterhaltung für beide Seiten schwierig macht. Häufig eignen sich Autisten besondere Verhaltensweisen an, mit denen sie Gefühle oder Unterstützungsbedarf ausdrücken, die aber für Menschen ohne ASS nicht immer verständlich sind.
Bei Laura wurde erst mit 24 Jahren festgestellt, dass sie eine Autismus-Spektrum-Störung hat. Aufgefallen ist ihr und ihrer Familie in der Pubertät, dass sie irgendwie anders ist als ihre Mitschüler. Sie war keine schlechte Schülerin, aber viele Dinge überforderten sie, sie ermüdete schneller als andere und war extrem schüchtern. Doch an Autismus dachte keiner, in erster Linie sie selbst nicht. Sie versuchte an sich zu arbeiten, zu sein wie die anderen. Nach dem Abitur begann sie ein Studium, das sie jedoch abbrach, ebenso wie eine Ausbildung. In der Theorie war sie gut, in der Praxis weniger. „Da habe ich gedacht, dass da noch etwas anderes sein muss als meine Schüchternheit“, erinnert sie sich. Über eine Bekannte kam sie zu einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit ASS – und begegnete hier Menschen, die in vielem tickten wie sie und, was noch wichtiger war, die sie verstanden. Ein Test am Aachener Uniklinikum brachte schließlich Gewissheit.
Für Laura selbst hat die Diagnose viele Dinge leichter gemacht, zu wissen und zu akzeptieren: „Ich bin, wie ich bin.“ Danach habe sie sich endlich fallen lassen können, müsse sich nicht verstellen oder etwas beweisen. Zu den Dingen, die für sie besonders anstrengend sind, gehört „wie andere zu sein oder wie man es erwartet“. Sie hat eine andere Wahrnehmung. Es fällt ihr schwer, sich in andere hineinzuversetzen und umgekehrt. Dinge zu abstrahieren, verunsichert sie. Wie viele Autisten fühle sie sich von Unbekanntem schnell überfordert, brauche Zeit, sich darauf einzustellen. „Auch ist es nicht unhöflich gemeint, wenn Menschen mit Autismus jemand nicht in die Augen schauen oder die Hand schütteln.“ Bei sozialen Kontakten verhielten sie sich mitunter falsch. „Wir wollen Kontakt, aber wissen oft nicht richtig, wie wir das anstellen sollen. Auf jemanden zuzugehen, ist belastend und stressig.“
Eine wichtige Kraftquelle ist für die junge Frau ihr Glaube. „Meine Familie ist religiös und kirchlich engagiert. Mir hilft der Glaube durchs Leben und stützt mich“, sagt sie. Auch dabei, sich auf Dinge einzulassen, die ihr schwerfallen. Oder bei denen sie erst noch herausbekommen muss, wie sie für sich damit am besten zurechtkommt. Laura lebt ihr Leben weitgehend selbstständig. Von zu Hause ist sie ausgezogen, hat eine eigene kleine Wohnung im Haus ihrer Tante. So sei sie für sich, habe aber bei Bedarf einen vertrauten Menschen in der Nähe. Außerdem hat sie über das Berufsbildungswerk Neuwied eine Ausbildung zur Zierpflanzengärtnerin gemacht, ein Bereich, in dem sie auch gerne weiterhin arbeiten möchte. „Ich brauche feste Abläufe, sonst fühle ich mich nicht so wohl. Daher ist es nicht leicht, eine Stelle zu finden.“ Es sind oft nur kleine Dinge, die für sie als Autistin aber einen großen Unterschied machen. So geht sie regelmäßig zum Sport, weil er ihr gut tut. Aber ein normales Fitnessstudio, das ginge gar nicht, sagt sie. An ihrem Wohnort hat sie eines gefunden, wo nicht so viel los ist und sie ihre vertraute Runde machen kann.
Seit Kurzem geht sie außerdem zum Reiten. Was ein echtes Abenteuer für sie ist, wie sie verrät. „Ich hatte Angst vor Pferden, aber das Reiten hat mich auch gereizt.“ Also nahm sie ihren Mut zusammen, und die Reittherapeutin sei auch sehr nett gewesen und habe sie und das Pferd erst einmal miteinander bekannt gemacht. Inzwischen klappt es ganz gut. Ähnlich war es mit ihrer ersten Fahrt nach Taizé. Ihre Begeisterung für die Lieder und Gebete war größer als die Abneigung gegen das Fremde. Ist aus „fremd“ einmal „vertraut“ geworden, geht auch für Menschen mit ASS vieles. Es komme immer auf das „Wie“ an und darauf, wie Menschen auf sie zu- und mit ihnen umgingen. 2016 hat Laura sich einen großen Wunschtraum erfüllt. Als gläubige Katholikin habe sie schon immer mal zum Weltjugendtag gewollt. Doch mit tausenden Wildfremden in einer Turnhalle oder auf freiem Feld campieren? Für sie völlig undenkbar. Aber dann kam der WJT nach Krakau, wo sie schon einmal als Jugendliche zu einem Austausch war. „Ich hatte immer noch Kontakt zu meiner Gastfamilie von damals und so ließ sich der Weltjugendtag autistenfreundlich gestalten“, berichtet sie und strahlt in Erinnerung. Was sie sich von anderen wünscht? „Dass man bei Autismus auch an Menschen wie mich denkt. Nicht immer direkt negativ reagiert, sondern offener. Dass man mich anspricht und fragt: ,Warum stehst du hier ganz alleine?‘ oder ,Was ist mit dir los?‘. Dann kann ich das ja erklären“, sagt sie. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung seien anders, aber eigentlich auch ganz normale Menschen, wenn man sich auf sie einlässt.