Immer wieder glitzern sie magisch in der späten Wintersonne und ragen über die Dächer der alten Samt- und Seidenstadt. Wer Krefeld einmal aus der Vogelperspektive gesehen hat, weiß, dass vor allem im Stadtgebiet die Dichte der Kirchtürme besonders hoch ist. Nur wer sich genauer mit der Historie der Kirchen auseinandersetzt, erfährt auch, dass viele dieser Türme einen historischen Schatz beheimaten: Denn nur wenige hundert Meter voneinander entfernt gibt es in Krefeld noch heute einige bedeutsame Orgeln. Zum Abschluss des Orgeljahres 2021 werden hier einige dieser historischen Schätze abgebildet.
Orgelliebhaber verdanken es zwei Zufällen, dass die Walcker-Orgel in der Lutherkirche noch heute eines der letzten Instrumente ihrer Zeit in der Region ist. Denn als die Orgelbewegung, angeführt von Albert Schweitzer, in den 30er Jahren eine Rückbesinnung auf den Barock-Ton forderte und damit romantische Orgeln zurückbauen wollte, gab es in der Krefelder Lutherkirche weder einen festen Kantor noch Geld, um sich der Bewegung anzuschließen. Also überließ man die Walcker-Orgel, die 1904 in der Gemeinde eingeweiht wurde, ab jetzt einfach sich selbst. „Wir vermuten, dass es in Krefeld zur selben Zeit rund 15 ähnliche Instrumente gab, die aber alle der Orgelbewegung zum Opfer fielen“, erklärt Karlheinz Schüffler als Vorsitzender des Fördervereins. „Pneumatisch-romantische Orgeln trafen damals einfach nicht mehr den Zeitgeschmack.“ Dabei sind Ton und Spielart des Instruments außergewöhnlich: Beim System der Pneumatik wird der gesamte Mechanismus sowohl der Tastatur als auch der Registerschaltung durch Luftdruck geregelt. Das Öffnen und Schließen der Ventile im Spieltisch, in den Relais und in den Zwischenstationen erzeugt die Töne. So entsteht ein unverwechselbarer, romantischer Klangcharakter. „Viele Töne der Walcker-Orgel haben für mich einen Zauberklang“, schwärmt Schüffler, der selbst seit seiner Kindheit Orgel spielt. „Der Klang der Aeoline, einer sehr leisen Viola da Gamba, ist für mich zum Beispiel der bezauberndste, intimste Klang dieser Orgel überhaupt.“
Die pneumatische Orgel bringt aber nicht nur einen außergewöhnlichen Klang, sondern auch einen besonders intensiven Pflegebedarf mit sich. Die Luftleitungen sind mit Leder abgedichtet. Wird die Orgel zu sehr beheizt oder das Instrument nicht gepflegt, wird das Leder spröde und rissig. Das geschah in den 80er Jahren auch in Krefeld. Die Walcker-Orgel, die heute unter Denkmalschutz steht, verstummte für viele Jahre. Erst das Engagement von Schüffler und seinen Mitstreitern holte die Orgel im Jahr 2010 aus dem Dornröschenschlaf zurück. Der Förderverein sammelte Geld, um die Orgel aufwendig restaurieren zu lassen. Heute spielen unter der Initiative des Vereins Musiker aus der ganzen Welt auf dem Instrument.
Als Orgelbauer Jürgen Ahrend im Jahr 2013 beauftragt wurde, die Orgel in der alten Konventskirche zu restaurieren, musste der auf historische Instrumente spezialisierte Orgelbauer erstmal auf Spurensuche gehen: Damals war weder bekannt, wann die Orgel gebaut worden war, noch wer sie irgendwann einmal geschaffen hatte. Heute ist sich die Gemeinde fast zu 100 Prozent sicher: In der außergewöhnlichen Kirche steht eine Weidtmann-Orgel. Denn nur rund 20 Kilometer entfernt, in einer Kirche in Hoerstgen in der Nähe von Kamp-Lintfort, hatte man ein ähnliches Instrument aufgespürt, das im 17. Jahrhundert vom Orgelbauer gebaut wurde und ähnliche Charakteristika erkennen lässt. Außerdem wurde in einem heute nicht mehr auffindbaren Vertrag erwähnt, dass in Hüls 1683 eine Weidtmann-Orgel angeschafft wurde.
Aufwendig versuchte Ahrend anschließend, gemeinsam mit einem Restaurator das historische Instrument bestmöglich in den Urzustand zurückzubauen. „Das war sehr schwierig, denn mit den Jahrhunderten wurden immer wieder Anpassungen vorgenommen“, weiß Kantor Heinz-Peter Kortmann. „Das waren teilweise sehr skurrile Anpassungen. Man hatte zum Beispiel einfach ein Loch ins Gehäuse geschlagen, um den Blick auf den Altar freizumachen, oder das Notenbrett erweitert, weil DIN-A-4-Seiten damals nicht darauf passten.“
Heute sind diese Veränderungen bestmöglich zurückgenommen, und wenn das einzige Manual erklingt, fühlt sich der Zuhörer auf der geschichtsträchtigen Nonnenempore wie in eine andere Zeit versetzt. „Nicht nur die Orgel ist historisch, sondern auch ein großer Teil der Kapelle“, erklärt Kortmann und breitet die Arme im Raum aus. „Hier in den hölzernen Bänken haben früher die Schwestern des Klosters gebetet.“ Heute sind die alte Klosterkapelle und die hölzerne Empore beliebtes Ziel für Führungen des Heimatvereins, aber auch besondere Gebete und Musikabende finden hier im außergewöhnlichen Ambiente statt.
Nicht einmal 500 Meter von der Konventskirche entfernt treffen Orgelliebhaber auf eine ganz andere Welt. Die Metzler-Orgel aus dem Jahr 1999 in der benachbarten St.-Cyriakus-Kirche mit der historischen Weidtmann-Orgel zu vergleichen, wäre falsch, denn hier existieren zwei Orgeln nebeneinander, die in ihrem Charakter unterschiedlicher nicht sein könnten. Als die Gemeinde in den 90er Jahren die Kirche von Grund auf restaurierte, ließen die Verantwortlichen am hinteren Ende der Kirche mit Blick auf den Altar und die Bänke eine Empore einbauen. Sicher waren sie sich, dass hier, wenn das Geld irgendwann reichen sollte, eine neue Orgel eingebaut werden sollte.
Noch heute wird die Orgel als Herzensangelegenheit in jedem Manual deutlich: Denn die Metzler-Orgel hat 49 Register und lässt in ihrer Vielfalt keine Wünsche offen. „Die Register sind dabei sehr individuell und haben alle einen eigenen Charakter“, schwärmt Kantor Kortmann. „Auf beiden so außergewöhnlichen Instrumenten spielen zu dürfen, ist schon eine ganz besondere Ehre.“