Hinschauen und begleiten

Bischöfliches Pius-Gymnasium Aachen unterstützt Schüler bei Bedarf mit breitem Bündel an Maßnahmen

Schulstoff pauken für Prüfungen: für die meisten eine Herausforderung, an der sie wachsen. Bei einigen Schülerinnen und Schülern gestaltet sie sich allerdings größer als bei anderen, nicht aus intellektuellen Gründen, sondern aus sozialen und emotionalen. (c) www.pixabay.com
Schulstoff pauken für Prüfungen: für die meisten eine Herausforderung, an der sie wachsen. Bei einigen Schülerinnen und Schülern gestaltet sie sich allerdings größer als bei anderen, nicht aus intellektuellen Gründen, sondern aus sozialen und emotionalen.
Datum:
21. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 43/2020 | Thomas Hohenschue

Wir sind alle verschieden. Wir haben alle Stärken und Schwächen. Wir haben unterschiedliche Bedingungen, in denen wir leben, arbeiten und lernen. Wenn man das einmal nachvollzogen hat, ist es möglich, das Gegenüber besser zu verstehen. Das gilt auch und gerade dann, wenn es Probleme gibt. Sperriges und herausforderndes Verhalten kann Hintergründe haben, die auszuleuchten sich lohnt, will man dem Menschen, um den es geht, gerecht werden.

estalten gut vernetzt das Lerncoaching am Pius-Gymnasium Aachen: Ulrich Brassel, Almut Straukamp-Korte, Thomas Gielen und Georg Schöpping  (v. r.). (c) Thomas Hohenschue
estalten gut vernetzt das Lerncoaching am Pius-Gymnasium Aachen: Ulrich Brassel, Almut Straukamp-Korte, Thomas Gielen und Georg Schöpping (v. r.).

Mit dieser Philosophie hat das Bischöfliche Pius-Gymnasium in Aachen ein breit gefächertes Bündel von Unterstützungsangeboten für seine Schülerinnen und Schüler geschnürt. Angefangen bei Kontaktschülern und Vertrauenslehrern, die für persönliche Gespräche zur Verfügung stehen, über Schulungen von Konzentration, Kooperation und Rhetorik bis hin zu einem differenzierten Präventionsprogramm gegen körperliche und seelische Gefährdungen reicht das Spektrum. Das Gymnasium sieht dies als selbstverständlichen Teil seines Bildungsauftrags, um die Schülerinnen und Schüler erfolgreich zum Ziel des Abiturs zu führen, sagt Schulleiter Ulrich Brassel. So früh wie möglich mit Schwierigkeiten umzugehen, die sich bei den Mädchen und Jungen auftun, gehört einfach dazu.

Als jüngster Baustein dieses breit aufgesetzten schulischen Engagements ist vor zwei Jahren das Lerncoaching dazugekommen. Eine speziell ausgebildete Lehrkraft begleitet Schülerinnen und Schüler eine Zeit lang bei ihrer schulischen Laufbahn, um sie in ihren Stärken zu stärken und Schwierigkeiten gemeinsam aus dem Weg zu räumen. So jemand wie Vertrauenslehrer Thomas Gielen, der nicht nur Englisch und Sport unterrichtet, sondern auch an der Bischöflichen Marienschule in Aachen eine sonderpädagogische Ausbildung draufgesattelt hat und seine Kenntnisse und Erfahrung nun im Bischöflichen Pius-Gymnasium beim Lerncoaching einbringt.

Ausgangspunkt für diese Form der Begleitung waren die Erfahrungen in der 2016 eingerichteten Klasse für geflüchtete Kinder und Jugendliche, berichtet Almut Straukamp-Korte. Die Deutsch- und Religionslehrerin begleitet ebenfalls Schülerinnen und Schüler, und sie koordiniert das Lerncoaching, vertritt es engagiert in der erweiterten Schulkonferenz. Damals nahmen sie, das Kollegium und der Schulleiter deutlicher als bis dahin wahr, wie genau man bei den Schülerinnen und Schülern hinschauen muss. Denn in der Flüchtlingsklasse galt: 18 Kinder, 18 verschiedene Prägungen, 18 unterschiedliche Voraussetzungen, 18 Lerntempi. Aus dieser Arbeit mit der multinationalen Gruppe hat die ganze Schule gelernt.


Gespräche münden in eine Art Vertrag 

Beratend begleitet wurden Almut Straukamp-Korte und ihre Mitstreiter von Georg Schöpping. Der Leiter der Marienschule bringt seine Werthaltung und seinen Erfahrungsschatz in die stetig wachsende fruchtbare Kooperation mit dem Pius-Gymnasium ein. In seiner Schule, die Kinder und Jugendliche mit sozialem und emotionalem Förderbedarf begleitet, zählt Tag für Tag der präzise Blick auf die individuelle Situation eines Schülers. Fast immer lässt sich Verhalten, das dem eigenen schulischen Erfolg und oft genug dem der Mitschüler entgegensteht, durch persönliche Zuwendung und Beratung bis hin zu Lernbegleitung im Unterricht verbessern. Diesen Ansatz verfolgt auch das Lerncoaching am Pius-Gymnasium.

Der Ablauf geht in der Regel so: Klassenlehrer signalisieren, dass sich mit Blick auf die Lernbedingungen Einzelner oder einer Gruppe Schwierigkeiten abzeichnen, die sich nicht in üblicher Weise bewältigen lassen. Im Einvernehmen mit den Eltern nehmen die Lerncoaches Kontakt mit dem betreffenden Mädchen oder Jungen auf. Im vertraulichen Gespräch loten sie aus, wie sich die Situation aus Sicht der Schülerin oder des Schülers darstellt, wie sie sich selbst darin sehen und was sie eventuell bereit sind, selbst zur Verbesserung der Lage beizutragen. Das Gespräch mündet in eine Art Vertrag, in dem sich alle verpflichten, ihren Beitrag zum Gelingen zu leisten. Eltern und Klassenlehrer werden bei Bedarf hinzugezogen, damit das Ganze nachhaltig ist.


Die Stärken zählen, nicht die Defizite 

Ganz entscheidend: Die Begleitung orientiert sich nicht an Defiziten, sondern an den Stärken der Schüler. Der Weg zurück zum Ziel, das Abitur zu schaffen, wird in handhabbare Schritte gegliedert. Zu einer guten Arbeitsorganisation zu finden, zum stabilen Lernumfeld, zum gruppentauglichen Sozialverhalten, braucht Zeit und einen langen Atem, je nachdem, wie sich die individuelle Situation gestaltet. Genau zu schauen, nicht vorschnell zu urteilen, nicht einfach etwas zu entscheiden oder gar Schüler auszugrenzen: Das ist das Selbstverständnis, mit dem die Beteiligten – Lerncoaches, Schulleitung, beratender Begleiter – in multiprofessioneller Vernetzung an das Thema herangehen.

Zum Selbstverständnis gehört auch, sich einzugestehen und darauf zu achten, dass es Grenzen gibt. Weder übernehmen Lehrer die Aufgaben des Elternhauses noch können sie Psychotherapie oder Suchthilfe leisten. Da arbeitet die Schule vertrauensvoll mit Institutionen zusammen. Die Gesellschaft sollte hier mehr investieren, auch Schulsozialarbeiter als Lotsen an den Schulen stärken, meinen die Beteiligten. Sie selbst tun, was sie können, und leisten ihren Beitrag.