Hilfe für einen neuen Anfang

Was bedeutet die Solidaritätskollekte für Langzeitarbeitslose? Thomas Huber ist einer der Betroffenen

Thomas Huber gibt die Arbeit beim Volksverein wieder Halt und eine Perspektive. (c) Garnet Manecke
Thomas Huber gibt die Arbeit beim Volksverein wieder Halt und eine Perspektive.
Datum:
27. Apr. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 17/2023 | Garnet Manecke

Am 7. Mai ruft das Bistum Aachen in allen Gemeinden wieder zur Solidaritätskollekte auf. Das gespendete Geld kommt Langzeitarbeitslosen zugute. Unterstützt werden damit Projekte, Vereine und Initiativen, die sich um Menschen kümmern, die langzeitarbeitslos oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind. Ein solcher Mensch ist Thomas Huber. Der KirchenZeitung hat er erzählt, wie er in diese Situation gekommen ist und was die Hilfe beim Volksverein in Mönchengladbach für ihn bedeutet.

Ein leerer Kühlschrank ist für viele Langzeitarbeitslose harte Realität. (c) Garnet Manecke
Ein leerer Kühlschrank ist für viele Langzeitarbeitslose harte Realität.

Eigentlich ist heute ein guter Tag. Thomas Huber sitzt am Tisch und trinkt seinen Kaffee. Wenn man sein Alter schätzen müsste, dann würde man nicht auf 40 Jahre kommen. Seine Haltung, das langsame Reden, die Bewegungen: All dem fehlt die Leichtigkeit eines 40-Jährigen. „Ich fühle mich an manchen Tagen, als wäre ich 80 Jahre alt“, sagt er auch. 
Aber es ist nicht der Kummer, der ihn so drückt. Huber ist herzkrank: Zwei Herzklappenprothesen, eine Rekonstruktionsplastik und ein Herzschrittmacher sorgen dafür, dass in seinem Körper das Blut fließt. Das ist aber auch der Grund, warum er nicht so fit ist, wie er sich das wünschen würde. Dabei hatte er mal ein ganz normales Leben: Familie, zwei Kinder, einen Job mit einem regelmäßigen Einkommen, von dem er und seine Familie leben konnten. Das ist alles weg.

Heute lebt Huber allein und von der Grundsicherung. 500 Euro sind das insgesamt im Monat. Von den 500 Euro, die ihm das Jobcenter überweisen sollte, zieht das Amt 100 Euro ab: die Rate für die Mietkaution seiner Wohnung, die das Amt vorgestreckt hat. 100 Euro verdient er bei einer Arbeitsmaßnahme beim Volksverein: 14 Stunden arbeitet er beim Möbelservice. Damit hat der 40-Jährige pro Monat 500 Euro, von denen er Strom, Essen, Kleidung, Telekommunikation und Anschaffungen bezahlen muss.

„Kaum einer hier kommt auf den vollen Betrag der Grundsicherung“, sagt Matthias Merbecks, Geschäftsführer des Volksvereins in Mönchengladbach. Im April 1983 wurde der Volksverein gegründet. Weil damals viele Textilfabriken schlossen, schnellte die Zahl der Arbeitslosen in Mönchengladbach in die Höhe. Mit ihren Sorgen und Nöten blieben sie weitestgehend alleine. Ihnen eine Perspektive zu geben und ihnen zu helfen, war das Ziel der Gründerinnen und Gründer des Volksvereins. „Hilfe für Arbeitslose, die aufgrund ihrer langen Arbeitslosigkeit den geistigen und seelischen Belastungen ohne fremde Hilfe nicht mehr gewachsen sind“, heißt es dazu im Gesellschaftervertrag.

Im Volksverein sind das 208 Frauen und Männer, die hier in verschiedenen Maßnahmen beschäftigt und qualifiziert werden, darunter zwei Auszubildende zur Fachkraft Möbel-, Küchen- und Umzugsservice. Dazu kommen 24 Teilnehmende im Betreuten Wohnen und 27 Stammkräfte in der Verwaltung, als Anleitende in den verschiedenen Bereichen und im Sozialdienst.

Thomas Huber gehört zu den Menschen, die am eigenen 14-Stunden-Programm des Volksvereins teilnehmen. Perspektivisch möchte er wieder arbeitsfähig für den ersten Arbeitsmarkt werden. „Hier kann ich ausprobieren, was ich leisten kann“, sagt er. Das 14-Stunden-Programm bietet den Teilnehmenden einen Job über 14 Stunden im Monat, der in Umfang und Bezahlung so angelegt ist, dass den Teilnehmenden keine Bezüge gekürzt werden. Finanziert wird das Programm ausschließlich über Spenden.

Dass damit das Haushaltsbudget etwas aufgestockt wird, ist nur ein Aspekt des Programms. „Ich komme hier unter Leute“, sagt Huber. Zu seinen Kindern hat er keinen Kontakt, sein Freundeskreis in Mönchengladbach ist überschaubar., Familie hat er keine in der Stadt. Sein Bruder lebt in Oberbayern, wo auch Thomas Huber herstammt. „Einsamkeit ist ein riesiges Thema hier“, sagt Merbecks. „Es gibt viele, die kein soziales Umfeld haben.“
Seit der Scheidung vor fünf Jahren ging es bergab. Huber hatte mit Frau und zwei Kindern in Essen gelebt. In der Ruhrgebietsstadt hatte der gelernte Metallbauer mit Fachrichtung Konstruktionstechnik einen festen Job. „Ich habe längere Zeit als Industriemechaniker und Zerspanungstechniker gearbeitet“, sagt er. „Das wollte ich eigentlich bis zur Rente machen.“ Damals habe er im Jahr 60 000 bis 80 000 Euro brutto verdient. Die Scheidung sei nicht einfach gewesen. „Ich bekam Depressionen“, sagt Huber.

 

>>Zu Beginn hatte ich nur eine Isomatte auf dem Boden <<

Thomas Huber

 

Eine Zeit sah es so aus, als ob sich für ihn doch noch alles zum Guten wenden würde. Der 40-Jährige lernte eine andere Frau kennen und zog zu ihr nach Mönchengladbach. Aber auch diese Beziehung zerbrach: Huber musste die Wohnung verlassen und war ein Jahr obdachlos. Dann wurde er herzkrank, und damit schwand auch die letzte Hoffnung, schnell wieder auf die Beine zu kommen. „Am Anfang habe ich gedacht, ich komme nie wieder aus dem Bett und der Klinik, so schlecht ging es mir“, sagt Huber. „Bis hierher war es ein steiniger und schwieriger Weg.“

Inzwischen hat er wieder eine Wohnung. Aber auch da war der Anfang schwierig. „Zu Beginn hatte ich nichts als eine Isomatte auf dem Boden“, sagt Huber. Er habe zwar vom Amt 1000 Euro Starthilfe für die Einrichtung bekommen. „Aber davon habe ich einen Teil der Schulden und Unterhaltspflichten bezahlt“, sagt er. „Ich wollte ja nicht noch in den Knast kommen, weil ich bei den Zahlungen säumig bin.“ Heute schläft er wieder in einem Bett, aber jede Anschaffung für die Wohnung ist ein Kraftakt. Eine eigene Waschmaschine hat er nicht. Er wäscht seine Wäsche im Volksverein. „Etwa 25 Prozent unserer Leute haben keine Waschmaschine und waschen in der Badewanne“, sagt Merbecks. Eine finanzielle Zuwendung des Bistums hat der Volksverein deshalb für den Kauf einer Industriemaschine verwendet.

Seit Anfang April gibt es ein weiteres Angebot, das Thomas Huber Hoffnung macht: Im Aufenthaltsraum des Volksvereins steht ein Kühlschrank für das Food-sharing, das Teilen von Lebensmitteln. Zur Tafel kann er nicht gehen, die hat zur Zeit Aufnahmestopp.

Info

In den Gottesdiensten zum 7. Mai wird Geld für Menschen gesammelt, die arbeitslos sind. (c) Garnet Manecke
In den Gottesdiensten zum 7. Mai wird Geld für Menschen gesammelt, die arbeitslos sind.

Solidaritätskollekte. Sie findet jedes Jahr im ganzen Bistum statt. Hauptsammeltag für Spenden ist in diesem Jahr Sonntag, 7. Mai. 2023 ist das Motto „Anker sein – damit jeder Mensch von seiner Arbeit leben kann“. Neben den Kollekten in den Gottesdiensten in allen Gemeinden des Bistums Aachen können die Initiativen, Vereine und Projekte das ganze Jahr über mit einer Spende an den Solidaritätsfonds des Bistums unterstützt werden.
Verwendung. „Beratungsstellen, Treffpunkte oder Beschäftigungsinitiativen können zu Ankerpunkten für Menschen werden, die in schwierige Lebenslagen geraten sind. In unsicheren Zeiten bieten sie einen sicheren Hafen, in dem man ankern kann, um dann gestärkt wieder aufbrechen zu können in das (Arbeits-)Leben mit all seinen Herausforderungen“, heißt es dazu auf der Seite des Bistums. Mit den Geldern werden Qualifizierungs- und Arbeitsmaßnahmen sowie Beratung und kulturelle Angebote unterstützt.
Informationen sind unter www.bistum-aachen.de abrufbar.