Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren

Generaloberin Schwester Marianne: Glauben und Vertrauen geben Kraft, sich auf den Weg zu machen

Herrad von Landsberg – Hortus Deliciarum (c) Dnalor_01/CC-BY-SA 3.0 (via wikimedia commons)
Herrad von Landsberg – Hortus Deliciarum
Datum:
21. Dez. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51-52/2022

Liebe Leserinnen und Leser, 

der Advent, am Beginn des neuen Kirchenjahres, gehört für uns als Gemeinschaft mit zu den intensivsten Zeiten, in denen wir uns auf das kommende Fest vorbereiten. Wir bemühen uns, unseren Alltag bewusster zu leben, Ablenkungen und Zerstreuung zu meiden. Gerne beschäftigen wir uns mit der Heiligen Schrift, den Lesungen in der vorweihnachtlichen Zeit. Wir singen Lieder, die von der Sehnsucht der Menschen und der ganzen Schöpfung nach Erlösung erzählen, nach dem, der kommen wird, die Welt zu verändern, zu heilen.

Auch begegnen wir auf dem Weg hin zum Weihnachtsfest biblischen Gestalten, die durch ihr Leben ihren Glauben bezeugen an den, der uns verheißen ist. Das ist der Täufer Johannes, der die Menschen zur Umkehr ermahnt. Die heilige Barbara, die aufgrund ihres Glaubens ihr Leben lassen muss. Der heilige Nikolaus gehört zu den Menschen, die, so erzählen es Legenden, Menschen in der Not helfen. Die heilige Lucia mit ihrem Kranz brennender Kerzen auf dem Kopf fügt sich in die Reihe der legendenumwobenen Heiligen ein. Gerade die Adventszeit ist verbunden mit viel wunderbarem Brauchtum, welches der Schlüssel ist zu unseren Erinnerungen an die Kindheit, an Plätzchenduft und gebrannte Mandeln.

Schwester Marianne Liebl OSE (c) https://elisabethinnen.de
Schwester Marianne Liebl OSE

Wir lassen uns berühren von der Begegnung der jungen Maria mit ihrer Cousine Elisabet und letztlich von der Verkündigung des Engels an die Hirten.
Mit den Hirten möchte ich mich nun noch etwas mehr beschäftigen.

Im Lukasevangelium (Lk 2,8–16.20) lesen wir: 
„In jener Gegend lagerten Hirten auf 
freiem Feld und hielten Nachtwache 
bei ihrer Herde. 
Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. 
Der Engel sagte zu ihnen: 
Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem
ganzen Volk zuteil werden soll: 
Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. 
Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 
Und plötzlich war bei dem Engel ein 
großes himmlisches Heer, 
das Gott lobte und sprach: 
Ehre sei Gott in der Höhe 
und Friede auf Erden 
den Menschen seines Wohlgefallens. 
Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat!
So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.
[…] Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.“

Versuchen wir, uns in sie hineinzuversetzen – nein – schlüpfen wir für einige Augenblicke in ihre Rolle, wir, die Menschen von heute.
Es ist Nacht. Dunkelheit und Stille umgeben die Hirten, die einfachen Menschen am Rande der Gesellschaft. Kaum jemand will wirklich etwas mit ihnen zu tun haben. Sie sind ungebildet, haben kaum das Nötigste zum Leben. Die Rastlosigkeit und der Lärm des Tages überdecken nicht mehr das Wesentliche, das, worauf es eigentlich ankommt. Horchen wir mit ihnen auf das Leise, Unaufdringliche. Denn die Dunkelheit birgt auch Gefahren. Wölfe, die auf Beute aus sind, aber auch die Gefahr der Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit – die Gedanken hinein in eine Zukunft ohne Perspektive. Wir begegnen ihnen täglich. Sie kommen, um eine warme Mahlzeit zu erhalten, ihre Wäsche zu waschen, sich zu pflegen. Sie suchen Menschen, die etwas Zeit für sie haben, ihnen helfen, ihre behördlichen Angelegenheiten zu regeln.

Da gibt es verschiedene Hirten, die, sich wärmend, rund um das Feuer sitzen. Es sind alte; sie erzählen aus früheren Zeiten, die sie längst hinter sich gelassen haben. Aber sie sind zufrieden. Andere wiederum sind enttäuscht vom Leben, das ihnen nicht das bereitet hat, was sie erhofften, haben aber nicht mehr die Kraft, etwas in ihrem Leben oder gar an den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu verändern, deren Glaube zerstört wurde, die vieles einfach nicht mehr verstehen. Zu uns kommen sie täglich, Menschen, die in dieser so schnelllebigen Zeit, in der oft der Halt einer Familie fehlt, in der auch die Kirche nicht immer Glaube und Vertrauen fördert, einen Ort der Beständigkeit suchen. Sie finden bei uns Menschen, die zu Hause sind, bei denen man einfach mal anrufen kann oder an der Klosterpforte klingelt.

Und es gibt auch diejenigen, die nicht aufgeben, die hoffen und aktiv verändern und mitgestalten wollen. Sie halten uns wach und aufmerksam, damit wir gemeinsam die Nöte der Zeit sehen und handeln. So verschieden sie auch sind – sie erfüllen treu ihren Auftrag – sie sind Hirten und „sie hielten Nachtwache bei ihrer Herde“.

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern […]
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“

In dieser in einem Adventslied (GL 220) besungenen Nacht verändert sich wesentlich etwas für diese Menschen. Es ist nicht nur allein das Warten auf den anbrechenden Tag. Sie dürfen aufschauen auf den Morgenstern, der Angst und Pein, Schuld und Versagen tilgt. Sie glauben der Verheißung der Engel. Der Glaube lässt sie aufbrechen; aufbrechen, sich auf den Weg machen. Sie verlassen das Dunkel in und um sich herum und treten ein in die lichtvolle Verheißung, den zu schauen, der ihnen Heil und Rettung bringt.

„Von Gottes Angesichte kam euch der Retter her […] Er lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.“

Glauben und Vertrauen – sie geben die Kraft, sich auf den Weg zu machen, der doch noch nicht wirklich zu erkennen ist; sein Haupt hoffnungsvoll zu erheben, weil kein geringerer als Gott selbst mir seine Boten sendet, dass sie mir die Richtung weisen. Und, ich bleibe in der Gesellschaft der Hirten, die, so einfältig und gläubig, ja, in adventlicher, erwartungsvoller Haltung, loslaufen. Loslaufen mit nichts als sich selber. Das genügt. Ich bin nicht allein, ich habe meine Mitschwestern. Die laufen auch mit. Gemeinsam werden wir schon den Weg zur Krippe finden. Daran glaube ich ganz fest. Wir haben uns mit den Hirten, der Botschaft des Engels folgend, auf den Weg hin zur Krippe gemacht. Wir waren im Advent in der Liebe unterwegs, gemeinsam, als Gemeinschaft und mit anderen, die denselben Weg genommen haben wie wir, unterwegs aber auch zu den anderen, um möglichst viele mitzunehmen – hin zur Krippe.

Doch, so mussten wir feststellen, ist der Weg nicht immer ganz leicht. Nicht immer ist er klar zu erkennen, nicht immer ohne Schwierigkeiten und Hindernisse. Oder wir verlaufen uns, nehmen eine falsche Richtung, verirren uns. Vielleicht haben wir gar vergessen, dass wir auf dem Weg sind oder wissen nicht mehr, wohin wir aufgebrochen sind. Da helfen mir die, die auch der Verheißung gefolgt sind. Denn nicht mir alleine galt die Botschaft des Engels, es ist von einer Gruppe Hirten die Rede – und denen haben wir uns angeschlossen, und wir wollen ja gemeinsam den Weg zur Krippe gehen. Wir gehen den Weg der Liebe hin zur Liebe, die, wie der Engel uns erzählte, armselig in einem Stall zu finden ist.

„Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“
Das Zeichen der überwältigenden Botschaft, das die ganze Welt verändert und mit Freude erfüllen soll, ist scheinbar klein und unscheinbar. Geboren in einem Stall, in einer Futterkrippe liegend, aus der sonst die Tiere fressen. In diesem Kind kommt Gott uns ganz nahe. Im Stall zu Betlehem angekommen, knien wir anbetend nieder vor dem göttlichen Kind, mit der Sehnsucht eines ganzen Lebens in unserem Herzen. Indem wir auf das Kind schauen, werden wir verwandelt. In ihm wird nicht nur unsere Gegenwart verwandelt, sondern es eröffnet sich eine neue Zukunft.

In dieser Heiligen Nacht dürfen wir mit den Hirten die Freude empfangen, das Licht, das uns wie sie erfüllt. Und wie die Hirten tragen wir das Licht der göttlichen Freude hinein in die Welt, hin zu den Menschen, die voll Hoffnung an unsere Tür klopfen.

„Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten.“


Den Frieden und die Lebendigkeit der Freude über das, was uns im Licht der Heiligen Nacht geschenkt wird, wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.

 

Schwester Marianne Liebl OSE; Generaloberin der Elisabethinnen