Heiligabend im Einsatz

Was bedeutet es, nach Hause zu kommen? Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte.

Dieses Jahr feiert Daniel S. Weihnachten zu Hause im Kreis der Familie. Anfang kommenden Jahres tritt er seinen Dienst in Jordanien an. Es ist sein zweiter Einsatz. (c) Stephan Johnen
Dieses Jahr feiert Daniel S. Weihnachten zu Hause im Kreis der Familie. Anfang kommenden Jahres tritt er seinen Dienst in Jordanien an. Es ist sein zweiter Einsatz.
Datum:
19. Dez. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51-52/2024 | Stephan Johnen

Tannenbaum, Festessen und Geschenke – alles war vorhanden. Und dennoch verlief der Heiligabend 2022 anders als sonst: Vater Daniel S. war mehr als 4000 Kilometer von seiner Familie entfernt, als seine Frau und die beiden Kinder die Geschenke auspackten. Über Facetime verfolgte der Stabsunteroffizier von Camp Sonic in der jordanischen Wüste aus, wie seine Liebsten sich freuten – und ein wenig betrübt waren zugleich. 

Gerne wäre der Heeressoldat aus Mönchengladbach an diesen Tagen nach Hause gekommen, doch sein Einsatz dauerte noch bis Ende Februar. „Es war traurig, dass ich nicht dabei sein konnte“, sagt er rückblickend. Ein Gefühl, mit dem der Soldat besonders über die Weihnachtstage nicht alleine war, schließlich waren weltweit deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.

Aber er wurde auch nicht alleingelassen. Die Truppenversorgung hatte ein kleines Festessen aufgefahren, es gab Deko und Glühwein – zwar nur in kleinen Portionen, da die unbedingte Einsatzbereitschaft aufrecht erhalten werden muss, aber immerhin ein Schlückchen Tradition. Zusammen mit amerikanischen und jordanischen Soldaten wurde gefeiert, wie es der Dienstplan zuließ. Mit Hilfe seiner Schwägerin, die vor Ort alles regelte, hatte der Stabsunteroffizier generalstabsmäßig geplant, wer welche Geschenke erhalten soll. Und selbstverständlich wurde auch die Weihnachtspost aus Deutschland pünktlich zugestellt, zuzüglich eines riesigen Pakets seiner Stammeinheit aus der Aachener Lützow-Kaserne. Die Kameradschaft sorgte dafür, dass die Trennung von den Familien erträglicher wurde. Und auch die moderne Kommunikationstechnik ist ein Segen, um den Kontakt nach Hause zu halten. „Es war ein Ritual: Jeden Abend vor dem Schlafengehen der Kinder haben wir uns über Facetime unterhalten, erzählt, was los war“, berichtet Daniel S.

„Im Einsatz entsteht eine eigene, kleine Familie“, sagt Pastoralreferentin Maike Seelhorst vom Katholischen Militärpfarramt Aachen. Die Militärseelsorgerin war selbst zwei Mal in Jordanien und hatte einen Einsatz auf der Fregatte Hamburg. Natürlich sei es belastend, die Familien in der Heimat zu wissen, ohne selbst etwas tun zu können. Besonders an Weihnachten, dem Fest der Familie schlechthin. Doch wie geht man damit um, dieser Mischung aus Einsatz und Abwesenheit? „Sport hilft, es funktioniert sehr gut, körperlich alles herauszulassen“, sagt die Seelsorgerin. In jedem Einsatz entstehe aufs Neue Kameradschaft. Die Soldatinnen und Soldaten leben und arbeiten sehr eng zusammen, es wird drei Mal am Tag zusammen gegessen, Sport gemacht, zusammen gespielt, es entstehen ganz unterschiedliche Rituale. 

Begleitung

(c) Stephan Johnen

„Für uns Seelsorger liegt der Fokus im Einsatz viel stärker auf Begleitung, auf Seelsorge“, berichtet Maike Seelhorst. Da viele der sonst üblichen Zerstreuungsmöglichkeiten im Einsatz wegfallen, richtet sich die Konzentration gewollt oder ungewollt  mehr auf die eigenen Lebensthemen. Die Bandbreite reicht von Geburten bis zu Sterbefällen, aber auch Beziehungsthemen und Ärger mit den Chefs – oder die Chefs wenden sich an die Seelsorgerin, weil sie mit ihrem Latein am Ende sind. „Ganz oft wird nach Rat gefragt, aus einer menschlichen Perspektive. Wir Seelsorger sind nicht Teil der militärischen Hierarchie, aber dennoch voll eingegliedert“, sagt die 34-Jährige, die betont: „Jeder Einsatz bedeutet Belastung.“ Für sie war schnell klar, dass sie nach Studium und Assistenzzeit in die Militärseelsorge gehen möchte, deren Aufgaben sie auf einem Katholikentag kennengelernt hat. „Ich fand Kirche schon immer dort am interessantesten, wo sie aus ihren eigenen Türen herausgeht und versucht, das, was sie predigt, auch in der Begleitung von Menschen umzusetzen.“

Die eigene Haustür beziehungsweise das Kasernentor wollte auch Daniel S. verlassen. Der Stabsunteroffizier hatte sich freiwillig für den Einsatz in Jordanien gemeldet. „Ich bin Berufssoldat im Fernmeldedienst, war im 15. Dienstjahr und wollte immer mal in den Einsatz gehen“, sagt er. Aus Überzeugung. Vor Ort war der heute 32-Jährige, der am 25. Dezember 2022 auch seinen Geburtstag während des Einsatzes feierte, für die Truppenversorgung mit zuständig. „Am Anfang war es sehr aufregend, dort anzukommen.Du weißt nicht genau, was auf dich zukommt“, sagt er. Er fühlte sich gut aufgenommen und eingearbeitet.

Das deutsche Camp Sonic ist ein eigenständiges Lager im Großlager bei Al-Azraq, das sich die Deutschen mit den USA und der jordanischen Armee teilen. Alle zwei Wochen ging es für Versorgungsfahrten nach Amman, in die Hauptstadt. Auf Wunsch der Jordanier in zivilen Fahrzeugen. „Jordanien ist friedlich, aber fast an jeder Kreuzung stand Militär oder Polizei“, blickt der Soldat auf seine Eindrücke zurück. Auffallend auch die starken Kontraste zwischen Arm und Reich – auf engem Raum. Angst hatte er keine. Den Dienst mit der für den Schutz des Lagers zuständigen „Force Protection“ hätte der Fernmelder aber dennoch nicht tauschen wollen. „Die sind immer im Einsatz“, sagt er.

Wie es ist, am Ende des Einsatzes nach Hause zu kommen, fühlte sich übrigens für den Soldaten ganz anders an als erwartet. Er hatte sich zu Weihnachten extra eine Pflanze schicken lassen, weil er den „Geruch von Wald und Wiese vermisste“, ebenso den Geschmack von Graubrot und Schweinefleisch. Heimweh – das sei zu erwarten gewesen, die Intensität und Ausprägung jedoch habe ihn überrascht. Doch die Zeit in Jordanien selbst verflog nahezu: „Du weißt, was du zu tun hast, befolgst den Dienstplan, arbeitest die Aufgaben ab, nach dem Dienst kommt der Sport. Jeden Tags aufs Neue“, sagt Daniel S. Im Prinzip war egal welcher Wochentag ist. „Ich war nur wenige Monate aus dem Alltag raus, musste mich aber wirklich erst wieder einfinden“, beschreibt er die erste Phase des Nach-Hause-Kommens. „Ich war wirklich komplett raus aus dem System.“ Alles wurde in Jordanien vorgegeben oder übernommen. „Meine einzige Entscheidung war, wann ich meine Haare schneiden gehe“, sagt er augenzwinkernd.

Militärseelsorgerin Maike Seelhorst war schon zweimal in Jordanien und einmal auf der Fregatte Hamburg im Einsatz. (c) Bundeswehr / Kevin Kügele
Militärseelsorgerin Maike Seelhorst war schon zweimal in Jordanien und einmal auf der Fregatte Hamburg im Einsatz.

Eine Situation, die auch Maike Seelhorst kennt. Nach einem Einsatz wollte sie im heimischen Supermarkt Joghurt kaufen gehen. „Vor lauter Überforderung habe ich nichts mitgebracht“, sagt sie und muss lachen. Vor gefühlt 100 Sorten Joghurt im Supermarktregal kapitulierte sie. Ein Überfluss, den sie in den vergangenen Monaten nicht hatte – und so auch nicht vermisst hat. „Man muss sich daran gewöhnen, dass auf einmal tausend Einflüsse von außen kommen“, beschreibt Daniel S. das Wiederankommen, verbunden mit einem bewussteren Leben. Ein bis zwei Wochen habe er schon dafür gebraucht. Nicht ohne Grund werden Soldatinnen und Soldaten, die aus dem Einsatz nach Hause kommen, auch besonders begleitet.

„Ich bin aus Überzeugung in den Einsatz gegangen. Weil ich daran glaube, dass ich etwas Gutes mache“, sagt Daniel S. rückblickend. Aus diesem Grund hat er sich auch ein zweites Mal freiwillig gemeldet. Anfang kommenden Jahres geht es erneut nach Jordanien, für viereinhalb Monate. Mit dem Einverständnis seiner Familie. Weihnachten wird er dieses Jahr zu Hause feiern, ebenso wie seinen 33. Geburtstag.