Hausdurchsuchung kommt bestimmt

Die Zeiten, in denen der Staat falsche Rücksicht auf die Kirche nahm, gehen zu Ende

Generalstaatsanwältin a.D. Elisabeth Auchter-Mainz und Kirchenrechtler Thomas Schüller in angeregtem Gespräch. (c) Thomas Hohenschue
Generalstaatsanwältin a.D. Elisabeth Auchter-Mainz und Kirchenrechtler Thomas Schüller in angeregtem Gespräch.
Datum:
28. Sep. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 39/2022 | Thomas Hohenschue

Die Zeiten, in denen der Staat falsche Rücksicht auf die Kirche nahm, gehen zu Ende – und das ist gut so. Quintessenz eines Abends im Aachener Justizzentrum mit Elisabeth Auchter-Mainz und Thomas Schüller.

Sowohl die staatliche Justiz als auch die kirchliche Justiz haben in früheren Jahrzehnten keine Glanzrolle bei dieser Herkulesaufgabe gespielt. Im Gegenteil haben sie ihren Beitrag zur beklagenswerten Verschleppung der Aufarbeitung geleistet. Diese ernüchternde Erkenntnis blieb von einem angeregten Austausch im Aachener Justizzentrum. Dem Gespräch stellten sich dort die Opferschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Generalstaatsanwältin a.D. Elisabeth Auchter-Mainz, und der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Er vertritt seit 30 Jahren Opfer und sagt: „Es sind viel mehr Menschen betroffen, als gemeinhin bekannt, zum Beispiel Alleinstehende im pastoralen Dienst.“
Engagement in der Aufklärung durch die Kirche gewürdigt

Allem, was Polizei, Staatsanwaltschaft oder Amtsgerichten zur Anzeige gebracht werde, gehe der Staat in einem geregelten Verfahren systematisch nach. Strafanzeige erstatten kann jeder, betonte Elisabeth Auchter-Mainz. Selbst Vorgänge, die länger zurückliegen, interessierten für die juristische Aufarbeitung, betonte die Opferschutzbeauftragte. Dass in vielen Fällen die Ermittlungen eingestellt werden und es nicht zu einem Hauptverfahren vor Gericht kommt, habe auch mit der Komplexität und Sensibilität auf dem Gebiet sexueller Übergriffe und Gewalt zu tun. Und trotzdem appellierte Elisabeth Auchter-Mainz, alle Handlungen und Verhaltensweisen von Klerikern und anderen kirchlichen Mitarbeitern zur Anzeige zu bringen, die Menschen in seelische Bedrängnis und Nöte stürzen. Es brauche hier keine Rücksichtnahme.

 

>>Bei deutschen Bischöfen
drückt Rom zu stark die Augen zu. <<

Thomas Schüller

 

Andererseits hätten in der Vergangenheit einige Staatsanwaltschaften selbst falsche Rücksicht genommen. Zum Beispiel habe es trotz eindeutiger Hinweise auf Vertuschungen von Straftaten bislang keine einzige Hausdurchsuchung in Bischöflichen Ordinariaten gegeben. Der Staat setze in den letzten Jahren bei seinen Ermittlungen und Verfahren auf freiwillige Herausgabe von Akten. Vielfach hat das auch gut funktioniert, erst recht, seitdem es eine kirchliche Selbstverpflichtung dazu gibt. So kann man heute in der Regel davon ausgehen, dass neue Fälle zeitnah und systematisch gemeldet, also ohne Ansehen der beschuldigten Person der juristischen Untersuchung durch den Staat übergeben werden. Überhaupt schraube Rom stetig an den binnenkirchlichen Vorgaben für Verfolgung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche, wie Thomas Schüller würdigte. Doch bleibe der schale Beigeschmack in der Beobachtung, dass der Staat angesichts der Aufdeckung durch Missbrauchsgutachten in deutschen Bistümern merkwürdig untätig scheint in der Frage, warum die Kirche in der Frage ihrer Verantwortung für fortgesetzten sexuellen Missbrauch mancherorts mit Samthandschuhen angefasst werde.

Schlüssig erklären lässt sich das kaum, wie auch bei der Aachener Veranstaltung zu spüren war. Immer wieder kam zur Sprache: Es werde nicht den Opfern geglaubt, sondern dem Täter. Sowohl die Generalstaatsanwältin a.D. als auch der Kirchenrechtsprofessor gehen davon aus, dass diese Zeiten zu Ende gehen und dass man in nächster Zeit die erste Hausdurchsuchung erleben werde. Das stärke auch die Nachrangigkeit der kirchlichen Aufarbeitung, wie sie im Miteinander der beiden Rechtssysteme von Staat und Kirche vorgesehen ist. Im Kern bestraft der Staat bei einer gerichtlichen Verurteilung die Taten, die Glaubenskongregation in Rom kümmert sich um disziplinarische Konsequenzen bis hin zur Entlassung aus dem Klerikerstand. Thomas Schüller würdigt das beobachtbare Engagement, aber die Kirche könne gleichwohl noch zulegen, was die Geschwindigkeit und die Tragweite ihrer Aufarbeitung beträfe. Insbesondere bei deutschen Bischöfen drücke Rom zu stark die Augen zu, kritisierte Schüller.

Die Herausforderung ist gigantisch, nicht nur mit Blick auf die Weltkirche. In manchen Regionen gebe es noch gar kein Bewusstsein für die Problematik, griffen Strukturen des Machtmissbrauchs und seiner Vertuschung ungebremst. Thomas Schüller treibt gleichzeitig auch die Breite und Tiefe des Dunkelfelds in der deutschen Kirche um. Und dann steht das Thema eines mangelhaften Verhältnisses von Nähe und Distanz im Raum. Betroffene eines übergriffigen Verhaltens von Vorgesetzten und Kollegen erlebten großes Leid und litten außerdem an denselben verdrängenden, leugnenden und vertuschenden Mechanismen in der Kirche wie andere Betroffene sexualisierter Gewalt. Hier gelte es, die Debatte nachzuschärfen.