Digitalisiertem Lernen haftete noch bis vor Kurzem etwas Exotisches an. Als es in der Coronapandemie darum ging, Schülerinnen und Schüler auf Distanz zu unterrichten, wurde der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung schonungslos aufgedeckt. Anlass genug auch für Schulen in kirchlicher Trägerschaft, ihre bisherigen Strategien zu überprüfen.
Schülerinnen und Schüler sollen grundsätzlich in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt, sachgerecht, kreativ und sozial verantwortlich zu handeln – an Schulen in katholischer Trägerschaft spielt dabei die ethische Dimension eine besondere Rolle. Der Umgang mit modernen Medien gehört dabei inzwischen zum Schulalltag. „Im Umgang mit Medien erwerben die Schülerinnen und Schüler daher nicht nur die notwendige Sachkompetenz, sondern auch eine differenzierte Kritik-, Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit, die insgesamt zu einer ausgeprägten Medien- und Gestaltungskompetenz führt“, so wird es im Leitbild der Bischöflichen Schulen im Bistum Aachen formuliert. Das sind hehre Ziele. Wie sieht es aber mit der praktischen Umsetzung aus?
In der Realität hatte anfangs jede Schule ihren eigenen Weg eingeschlagen, um ihren Schülern Medienkompetenz zu vermitteln. Inzwischen pflegen mehrere Schulen einen regen Austausch, damit die einen von den Erfahrungen der anderen profitieren können. Zu einem Schulnetzwerk unter Begleitung der gemeinnützigen GmbH „learning lab“ hatten sich beispielsweise über einen Zeitraum von einem Jahr Lehrerinnen und Lehrer der Bischöflichen Liebfrauenschule Eschweiler, des Heilig-Geist-Gymnasiums Broich, des
Bischöflichen Gymnasiums St. Ursula in Geilenkirchen und der Bischöflichen St.-Angela-Schule (Realschule und Gymnasium) in Düren zusammengeschlossen. Mehr als vierzig Lehrpersonen opferten ihre Freizeit, um „ihre“ Schulen auf ihrem digitalem Weg voranzubringen.
Den passgenauen didaktischen Rahmen muss jede Schule allerdings für sich selbst entwickeln, denn noch gibt es unterschiedliche Voraussetzungen, was die technische Infrastruktur oder die Ausstattung mit Endgeräten angeht. Und was genauso schwer wiegt: Auch der Wissensstand der Lehrkräfte ist unterschiedlich. Im Klartext bedeutet das, dass manche Lehrerinnen oder Lehrer erst selbst die notwendige Sachkompetenz erwerben müssen, um sie anschließend an Schülerinnen und Schüler vermitteln zu können.
Die Aussage der gemeinnützigen GmbH „learning lab“ ist eindeutig: „Der digitale Wandel ist mehr als die Ausstattung von Schulen mit digitaler Technik. Er betrifft alle Bereiche der Schulentwicklung.“ Richard Heinen, seit 2012 Geschäftsführer von „learning lab“, befasst sich seit Langem mit den Fragen um den digitalen Wandel im schulischen Lernen und anderen Bildungsbereichen. Er unterstützte die Lehrerinnen und Lehrer der oben genannten Schulen darin, den Herausforderungen durch neue Technologien zu begegnen und das passende Medienkonzept zu entwickeln.
Im August 2022 fanden sich interessierte Lehrerinnen und Lehrer im Bischöflichen Gymnasium St. Ursula in Geilenkirchen zu einem ersten Austausch über das Lernen in einer digitalen Welt zusammen. In der Folge wurden verschiedene Arbeitsschwerpunkte mit dem besonderen Blick auf die digitale Bildung entwickelt: erzieherische Aspekte, neue Prüfungsformate, Medienkonzept, selbstgesteuertes Lernen, Fachunterricht, offene Raumkonzepte sowie Technik, Ausstattung und Support.
Im August 2023 trafen sich die Vertreter verschiedener Professioneller Lerngemeinschaften (PLG) zu einem abschließenden Informationstreffen und berichteten über eigene Erfahrungen vom Einsatz digitaler Medien.
Es stellte sich heraus, dass das Heilig-Geist-Gymnasium (HGG) in Würselen-Broich eine Vorreiterrolle im Kreis der vier weiterführenden Schulen einnimmt. Mit schuleigenen Windows-Tablets lernen die Schülerinnen und Schüler in den Klassen 5 und 6 die Grundlagen der einheitlichen schulischen Arbeitsumgebung und ein vollwertiges Betriebssystem kennen. So werden sie fit gemacht für den Einsatz eigener Geräte im Unterricht ab Klasse 7.
Die Bischöfliche Liebfrauenschule (BLS) Eschweiler sieht die Nutzung eigener Endgeräte – unter Beachtung eines neuen Regelwerks – ab der 8. Klasse vor. Darüber hinaus sollen weitere Recherchen zur Administration von privaten Endgeräten betrieben werden.
Im Geilenkirchener St.-Ursula-Gymnasium gab es bereits eine Pilotklasse, die über anderthalb Schuljahre (Klasse 5 und 6) hinweg I-Pads im Unterricht nutzte. Sehr aufschlussreich ist der Erfahrungs- und Reflexionsbericht der betreffenden Lehrkräfte, der auf der Webseite der Schule eingesehen werden kann. Hier werden wertvolle Informationen anschaulich bis ins kleinste Detail – so im Abschnitt „Tagebuch der ersten Tage“ – weitergegeben. Daraus lassen sich Grundregeln für die Nutzung digitaler Medien ableiten.
Auch die St.-Angela-Schule in Düren sammelte erste Erfahrungen mit I-Pad-Klassen sowohl an der Realschule als auch am Gymnasium. Besonders positiv hervorgehoben wurde von Eltern und Schülerinnen bei der Nutzung von I-Pads die Förderung von Selbstständigkeit und Selbststeuerung der Lernprozesse. Insgesamt wird ein konstruktiver und produktiver Mix aus analogem und digitalem Arbeiten von ihnen befürwortet.
Zu den Zielsetzungen einer der PLG gehörte die Formulierung von Standards, um selbstgesteuertes Lernen planbar und organisierbar, aber auch messbar und bewertbar zu machen. Denn eine allgemein gültige Definition für „selbstgesteuertes Lernen“ gibt es bisher nicht. Grob gesagt, haben Schülerinnen und Schüler bei dieser Form des Lernens einen Gestaltungsspielraum, was beispielsweise die Wahl von Lernorten, Lernzeiten, Lernquellen angeht. Dadurch übernehmen sie Verantwortung für den eigenen Lernprozess. Diese Erfahrung ist ihnen auch in ihrem zukünftigen beruflichen Umfeld von Nutzen. Die Rolle der Lehrperson verändert sich in diesem Zusammenhang vom reinen Wissensvermittler zur Lernbegleitung.
Zum Stichwort „Bewertung“ wurde von der PLG „Prüfungsformen“ als neues Prüfungsformat das Portfolio unter die Lupe genommen, das laut Schulministerium eine Klassenarbeit ersetzen kann. Nach einer Definition von Paulson (Paulson, F. L., Paulson, P. R, and Meyer, c. A. [1991]: What Makes a Portfolio?, Educational Leadership, S. 60) ist ein Portfolio eine zielgerichtete Sammlung von Arbeiten, welche die individuellen Bemühungen, Fortschritte und Leistungen der oder des Lernenden auf einem oder mehreren Gebieten zeigt. Konkret wurde über eine Unterrichtsreihe im Fach Deutsch berichtet. Jeder Schülerin und jedem Schüler wurde ein Tier zugelost, wozu Fragen beantwortet werden mussten; weiter sollten ein Buch über das betreffende Tier vorgestellt und eine eigene Stellungnahme zu diesem Tier abgegeben werden.
Rückblickend stellten die Lehrerinnen und Lehrer fest, dass die Erstellung eines Portfolios anregend für die Jugendlichen sein kann, da es ihnen mehr Selbstverantwortung auferlegt und zutraut. Allerdings wurde in einer Jahrgangsstufe 8 auch die Erfahrung gemacht, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler gering war, wenn das Portfolio kein Ersatz für eine Klassenarbeit war.
Neben der reinen Wissensvermittlung eröffnet ein Portfolio unter anderem die Möglichkeit, Erfahrungen mit dem Problem einer sinnvollen Internetrecherche zu sammeln. Deutlich motivierend wirkten sich die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten aus, die der Einbezug digitaler Techniken bietet. Außerdem zeigte sich, dass sowohl Sachthemen als auch literarische Themen gut geeignet sind für ein Portfolio.
Insgesamt bewerten die Lehrerinnen und Lehrer den Einsatz von digitalen Geräten
positiv. Insbesondere organisatorisch und methodisch seien sie ein großer Gewinn. So könnten etwa Arbeitsergebnisse zeitsparender und einfacher für die ganze Klasse sichtbar gemacht werden und seien aufgrund digitaler Archivierung leichter und länger abrufbar. Tatsache ist aber auch, dass alle Abläufe nur in dem Maße funktionieren, wie Schüler und Lehrer mit den Geräten umgehen können. Das HGG bietet bereits ein sogenanntes BYOD-Konzept an. „Bring your own device“ (BYOD) ist die Bezeichnung dafür, private mobile Endgeräte wie Laptops, Tablets oder Smartphones in die Netzwerke von Schulen und anderen Institutionen zu integrieren.
Im schuleigenen Lernangebot in der Klasse 7 bieten erfahrene und kompetente Lehrkräfte Hilfestellung bei der Integration des Gerätes in die schulische Arbeitsumgebung und schulen systematisch die Arbeitsroutinen für die schulische Zusammenarbeit. Im Zuge der praktischen Anwendung digitaler Medien kristallisierte sich ein Fragen- und Aufgabenkatalog heraus, dessen Abarbeitung eine zusätzliche und bisher nicht dagewesene Herausforderung an Pädagoginnen und Pädagogen stellt. Zahlreiche Aufgaben wurden bei der Abschlussveranstaltung von der PLG Support aufgelistet. In aufwendiger Fleißarbeit hatten die Mitglieder der Arbeitsgruppe eine Tabelle erstellt, die die Möglichkeiten der teilnehmenden Schulen nebeneinander auflistete. Welche Netzwerkstruktur und Geräte sind vorhanden? In der Regel gibt es getrennte WLAN-Netze für Schüler, Lehrer und Gäste. Der Zugang ist unterschiedlich geregelt.
Bei Fragen, die sich rund um die Nutzerverwaltung, Geräteverwaltung und den Support ergeben, reichen die Antworten von beauftragter Lehrkraft oder Medienbeauftragtem bis zu diversen externen Dienstleistern. Ebenso ist die Ausstattung mit Endgeräten – beispielsweise Laptops, Schüler- und Lehrer-I-Pads, digitale Tafeln, Beamer – an den vier Schulen höchst verschieden. Infolgedessen sind auch die Nutzerverwaltung, Gerätewartung und der Support der Endgeräte nicht einheitlich geregelt. Vergleichbares gilt für die verwendeten Online-Dienste.
Fortbildungen im Bereich Support beziehungsweise Technik werden für Nutzerinnen und Nutzer aus der Lehrerschaft schulintern geregelt. Für Medienbeauftragte gibt es ein Angebot seitens der Deutschen Bischofskonferenz; Schülerinnen und Schüler haben ausschließlich innerhalb des Unterrichts die Möglichkeit, sich fortzubilden. Großer Wunsch ist, dass der Support Experten übertragen wird. Allerdings sind Informatiker am Arbeitsmarkt sehr gefragt.
Hohe Aufmerksamkeit wurde auch dem Datenschutz gewidmet. Adressen zu anonymisieren und Formulare geschützt zu versenden, bedeute einen zusätzlichen Zeitaufwand, der bisher beim analogen Arbeiten nicht erforderlich gewesen sei. Darüber hinaus sei es schwierig, Prozesse zu entwickeln, wenn man das Ziel nicht kenne. Hier werden Vorgaben vom Schulministerium erwartet.
Auch die Nutzung von Apps und ihre Anwendungen im Unterricht wurden diskutiert. Anlass zu Kritik war, dass manche App nicht kostenlos nutzbar ist.
Rückblickend kann festgestellt werden, dass der Zusammenschluss der vier Schulen zu einem gemeinsamen Schulnetzwerk eine Hilfe dabei ist, neue Formen des Lehrens und Lernens zu entwickeln. Dieser Prozess wird eine dauerhafte Aufgabe bleiben, denn auch in Zukunft gilt es, unterschiedliche Voraussetzungen, Kompetenzen und Interessen unter einen Hut zu bringen. „Lernen in einer digitalen Welt“ bedeutet eben nicht nur, Glasfaserkabel zu verlegen und Computer zu verteilen.
Mehr Information zum Thema finden Sie hier: www.learninglab.de, www.st-ursula-gk.de,
www.hgg-broich.de, www.angela-dueren.de, www.bls-eschweiler.de.