Wie der typische Tag in der Bahnhofsmission aussieht? Da muss Sabine Lenzen schmunzeln. „Es gibt keinen typischen Tag. Kein Tag ist wie der andere. Es gibt ständig Überraschungen“, weiß die Leiterin der Bahnhofsmission Düren aus ihrer langjährigen Erfahrung zu berichten. Es gibt Erlebnisse zum Lachen und zum Weinen, oft wird gequatscht, manche Begegnung stimmt das Team aber auch nachdenklich.
Eigentlich gibt es nur eine Routine: Morgens, noch vor der regulären Öffnung, ist Sabine Lenzen bereits im Gastraum der Bahnhofsmission und setzt den ersten Kaffee auf. „Das ist jeden Tag gleich. Was dann nach 8.15 Uhr passiert, finden wir täglich neu heraus“, sagt sie. Reisende, die ihren Zug verpasst haben, Menschen, die eine Auskunft benötigen oder Wohnungslose, die bei Wind und Wetter froh über einen warmen Raum und einen heißen Kaffee sind – der Gastraum an Gleis 1 ist Haltestelle für viele Menschen, die unterwegs sind. Nicht nur für Bahnreisende.
„Wer in der Bahnhofsmission arbeitet, hat schnell einen Blick für Menschen“, sagt Sabine Lenzen. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Fenster des Gastraums schauen, haben sie den ganzen Bahnhof im Blick. Sitzt eine Person schon so lange am Gleis, dass unmöglich nur der Zug verpasst worden sein kann, weckt das beispielsweise die Aufmerksamkeit. „Ich schaue mir die Menschen genau an, schleiche mich wie ein Kater an, rede mit ihnen, biete Hilfe an, ein heißes Getränk zum Aufwärmen“, erklärt Sabine Lenzen einen Teil der Arbeit, der als Bahnsteigdienst bezeichnet wird. Dazu gehört auch die Unterstützung von Reisenden mit Handicap, die beispielsweise ein-, aus- oder umsteigen und Hilfe benötigen. Diese Ein- und Ausstiegshilfen sind jedoch meist im Vorfeld angekündigt. Hat es mit der Gesprächsaufnahme geklappt, wird immer auch eine Einladung in den Gastraum ausgesprochen.
Dieser im Oktober komplett umgestaltete und mit einer modernen Küche und neuen Möbel ausgestattete, einladende, offene und helle Raum ist der Dreh- und Angelpunkt der weiteren Arbeit. Schließlich versteht sich die Bahnhofsmission als erste Anlaufstelle für Menschen, die weitere Unterstützung benötigen. Kommt der Bahnverkehr zum Erliegen, springt das Team auch als Fahrplanauskunft ein und verteilt Kaffee auf dem Bahnsteig.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahnhofsmission sind für alle da, die auf dem Bahnhof unterwegs sind: Berufspendler, Schüler, Durchreisende und auch Menschen ohne festen Wohnsitz. Hier wird zugehört, beraten und informiert, und bei Bedarf werden Gäste an die zuständigen Ämter, Behörden, Beratungsstellen oder Fachdienste der sozialen Hilfe vermittelt. „Eine große Portion Empathie gehört schon dazu“, sagt Sabine Lenzen. Denn ein respektvoller Umgang mit allen Menschen ist für das Team selbstverständlich.
Die Tür mag für alle offenstehen, aber wer sich nicht an die Regeln hält, muss wieder gehen. „Das passiert aber nur ganz selten, hier herrscht ein vernünftiger Umgang auf Augenhöhe“, erklärt Sabine Lenzen. Im Gastraum sitzen oft auch Menschen, die ein Schicksalsschlag aus der Spur geworfen hat, die ein schweres Päckchen zu tragen haben. Die froh sind, wenn jemand zuhört. Egal, ob Nadelstreifen und Aktenkoffer oder verschlissene Funktionsjacke und Einkaufswagen.
„In der Adventszeit werden unsere Gäste sehr sensibel, sehr emotional“, schildert Sabine Lenzen ihre Beobachtungen. Sie erfährt durch ihre Arbeit, dass die Armut in der Bevölkerung zunimmt, dass es immer mehr einsame und alleinstehende Menschen gibt, die Nähe suchen. Gerade in der dunklen Jahreszeit und rund um Weihnachten werde vielen Menschen diese Einsamkeit besonders schmerzlich bewusst. „Wir sind als Verein wirklich froh, dass wir dieses Angebot aufrechterhalten können“, bedankte sich In-Via-Vorstandsfrau Liesel Koschorreck bei allen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch allen Spendern und Sponsoren, ohne die vieles nicht so wäre, wie es ist. Liesel Koschorreck: „Ich kann allen gar nicht genug Wertschätzung entgegenbringen.“ Wer Auskunft, Unterstützung, Unterschlupf und Ansprache suche, werde bei der Bahnhofsmission fündig. Ohne lange Suche.
Je mehr Ehrenamtler es gibt, desto weiter kann das Angebot ausgebaut werden. Das Team der Bahnhofsmission freut sich daher über Verstärkung. „Die Menschen, die zu uns kommen, kommen ganz gezielt“, sagt Sabine Lenzen, die beim In Via auch das Ehrenamt koordiniert. „Wir brauchen Leute, die Menschen mögen, die auch auf Menschen zugehen können“, sagt sie. Gesucht werden Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen, sei es beruflich oder familiär. Nach einem Erstgespräch wird geschaut, welches Ehrenamt am besten zur betreffenden Person passen könnte. Sabine Lenzen zeigt Interessierten meist auch das von In Via betriebene „Café Lichtblick“, das bedürftigen Menschen Frühstück und Mittagessen zu einem kleinen Kostbeitrag anbietet.
Idealerweise wird nach einem gründlichen Kennenlernen der Arbeit in der Bahnhofsmission und einer Einarbeitung einmal pro Woche eine Schicht übernommen. Für alle ehrenamtlich Tätigen bietet In Via Angebote und Schulungen an. Interessierte erhalten Informationen bei Sabine Lenzen unter 0 24 21/4 24 38 und per E-Mail an: lenzen@invia-dn.de.
Im März des vergangenen Jahres startete das „Frauencafé“, ein Angebot an jedem letzten Dienstag im Monat von 14 bis 15.30 Uhr. Pläne für die Zukunft gibt es einige. Sabine Lenzen kann sich gut vorstellen, als Bahnhofsmission auch eine Kinder-Lounge zu betreiben. Dort sollen beispielsweise Mütter eine ruhige, geschützte Möglichkeit haben, ihr Kind zu stillen, dort soll es einen Wickeltisch geben.
Für Schulkinder, die auf ihren Zug warten, könnte die Kinder-Lounge ebenfalls die erste Anlaufstelle am Bahnhof werden. Für das kommende Jahr plant die Leiterin, auch spirituelle Angebote im Gastraum zu unterbreiten und beispielsweise einmal im Monat zu einer Andacht einzuladen. Eine weitere Idee ist das Angebot eines Vorlesetages, sogar einer Autorenlesung an einem besonderen Ort. Die Anreise jedenfalls dürfte für Autoren selten so einfach gewesen sein: Die Bahnhofsmission an Gleis 1 ist wunderbar mit dem ÖPNV zu erreichen. Sofern die Züge fahren. Notfalls gibt es zur Überbrückung der Wartezeit einen heißen Kaffee.
Die Bahnhofsmission Düren ist ein Angebot des Vereins In Via Düren-Jülich. Im vergangenen Jahr hat die Bahnhofsmission an Gleis 1, die seit vielen Jahren Hilfe und Unterstützung für Reisende, Menschen in Not und Wohnungslose rund um den Dürener Bahnhof anbietet, rund 8000 Besucherinnen und Besucher gezählt. Geöffnet ist die Mission montags, dienstags, mittwochs und donnerstags von 8.15 bis 15.45 Uhr sowie freitags von 8.15 bis 13 Uhr. In der Vorweihnachtszeit stehen die Türen zudem jeden Sonntag von 10 bis 14 Uhr offen, auch Heiligabend ist von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Zum Team gehören neben den zwei hauptamtlich Beschäftigten 15 ehrenamtlich tätige Helferinnen und Helfer.
„Ist bei Ihnen alles in Ordnung? Gut. Dann kümmern wir uns um die anderen.“ Dieser Spruch macht deutlich, dass die Bahnhofsmission allen Unterstützung anbietet, die Unterstützung brauchen. Wer sich selbst keinen heißen Kaffee oder keine Brote machen oder leisten kann, der kommt eben gerne zu uns.
Die meisten Menschen haben lockere Sprüche auf der Lippe, und bei vielen braucht es lange, bis sie von sich erzählen: S. kommt gerne zum Frühstück und unterhält sich gerne. Seine zwei Jahre als Zeitsoldat bei der Fallschirmjägertruppe in Afghanistan haben ihn aus der Bahn geworfen. Eine eigene kleine Wohnung ist sein größter Wunsch.
P. ist eingefleischter FC-Fan und Musik-Kenner.
T. müsste eigentlich mal zum Zahnarzt. Und ob ihr Hund, den sie nicht in der Zwischenzeit irgendwo lassen möchte, das einzige Hindernis ist? I., 20 Jahre alt, kommt aus der Ukraine, spricht kein Deutsch, hat schon mehrere Städte mit Bekannten abgeklappert, aber sie wollten Geld dafür, dass er bei ihnen bleiben kann. Tja, welche Stadtverwaltung ist für ihn zuständig? Wo kann er bleiben? Schön, dass es den Google-Translator gibt! Und dass jemand von uns zwei Stunden Zeit hat, um mit den Behörden zu telefonieren…
J. kommt gerade vom Besuch bei ihrem Freund in der JVA Aachen zurück. Sie wirkt leicht durch den Wind.
Was nie genug da ist, sind Süßigkeiten, gerade in der kalten Jahreszeit. Und die meisten nehmen ihren Kaffee mit fünf Stück Zucker – mehr gibt’s nicht. Manchmal kommt jemand herein und lässt einen 20er-Schein da, einfach so. Und noch bevor man fragen kann, ist er wieder weg.
V. braucht mit ihrem Rollstuhl und ihrer Seheinschränkung Hilfe beim Einstieg. Nur blöd, dass der Aufzug am Bahnsteig an einem Tag nicht funktioniert. Aber sofort findet sich eine Gruppe junger Männer, die sie im Rollstuhl die Treppe hochtragen! Wow! Mal wieder was zum Staunen und Danken!
Pass auf dich auf!
heißt es hier zum Abschied -
man will sich ja gesund wiedersehen;
es kann so viel passieren…
Auf Dich sollst du auch aufpassen
spricht stumm der Mann auf dem Kreuz,
der alles im Blick hat, diesseits und jenseits
des Tresens…
Dich sollst du nicht verlieren,
wenn dir unterwegs
so vieles und so viele
begegnen…
Auf-geben ist keine Option,
auch nicht am Kreuz,
könnte man auch gut zu dem am Kreuz sagen:
Pass auf dich auf!
Wer sich selbst Gedanken machen möchte angesichts des Mannes auf dem Kreuz in der Bahnhofsmission, ist herzlich eingeladen!
Pfarrer Josef Wolff, Sympathisant