Hätte Einhard nur ein einziges Wort gesagt!

Karls Thron oder Karlsthron? – Dieser Frage geht Historiker Harald Müller in seiner jüngsten Publikation nach

Sollte ein Königsthron nicht etwas mehr Prunk zeigen? Stattdessen zeichnen das Objekt im Aachener Dom grob zugehauener Marmor, schlecht verarbeitete Klammern und schlichte Hölzer aus. (c) Sailko/CC BY 3.0 (via wikimedia commons)
Sollte ein Königsthron nicht etwas mehr Prunk zeigen? Stattdessen zeichnen das Objekt im Aachener Dom grob zugehauener Marmor, schlecht verarbeitete Klammern und schlichte Hölzer aus.
Datum:
19. Jan. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 03/2022 | Ruth Schlotterhose

Ohne Karl den Großen wäre Aachen nahezu bedeutungslos. Die Stadt hat ihre Vergangenheit untrennbar mit der Karls des Großen verbunden. Hier befand sich seine Pfalz, hier werden die Reliquien verehrt, die er zusammentrug. Hier wird jedes Jahr der Karlspreis verliehen. In Aachen stehen Karls Kirche und Karls Thron. – Ist das wirklich so?

Wie eine Bombe schlug Mitte der 70er Jahre die Nachricht ein, dass die Thronhölzer aus der Zeit um 935 stammen. Also hatte Karl der Große hier nie gesessen! Alles Lug und Trug!? So einfach ist das nun auch wieder nicht, erklärt Harald Müller. Der Professor für Mittlere Geschichte an der RWTH Aachen lässt uns in seiner jüngsten Veröffentlichung sozusagen an einem Spaziergang durch seine Gedanken teilhaben.

Beinahe wie ein Krimi liest sich das Büchlein, das den Weg durch die Forschungen rund um den Thron im Obergeschoss des Aachener Doms aufzeigt. Handelt es sich nun um Karls Thron oder nicht? Mal ist der Leser geneigt, die Frage zu bejahen, mal tendiert die Leserin stärker zu einem Nein. Zuletzt entfährt dem Autoren der Stoßseufzer: „Hätte Einhard nur ein einziges klärendes Wort über Karls Thron in der Kirche gesagt!“ Darin wird der Konflikt deutlich zwischen dem, was geschrieben steht, und dem, was sich als Brauchtum entwickelt hat.

Die Krux ist ja, dass es aus der damaligen Zeit keine überlieferten Zeugnisse gibt, die eine zweifelsfreie Einordnung des Karlsthrons erlauben. Einhard erwähnt in seiner „Vita caroli magni“ einen Thron mit keiner Silbe. Allerdings fangen bei der Sprache der mittelalterlichen Quellen schon die Schwierigkeiten an. Im Lateinischen sind die verwendeten Begriffe sedes, solium und thronus mehrdeutig. Wer immer also die „Quellen zum Sprechen“ bringen möchte, muss hier für alle Möglichkeiten offen sein.

Der Karlsthron sorgt in erster Linie  für Verwirrung

Harald Müller (c) Werner Maleczek/CC BY-SA 3.0 (via wikimedia commons)
Harald Müller

Harald Müller zieht an dieser Stelle einen anschaulichen Vergleich: Folterknechte pressen aus ihren Opfern das heraus, was sie hören wollen. So darf ein Historiker keinesfalls vorgehen und etwa ausschließlich nach der Bestätigung einer Hypothese suchen. Man fühlt sich an ein Zitat von Sokrates erinnert: „Ich aber, der ich nicht weiß, glaube auch nicht, zu wissen.“ Weil nun Einhard die Nachwelt in dieser Hinsicht im Dunkeln stehen lässt, bleibt nur die Suche nach Indizien.

War „unser“ Thron nun Teil der von Karl erbauten Kirche oder nicht? Hinweise lassen sich finden in historischen Schriften und Bildern, in Material, Form, Ort der Aufstellung und im Nutzen. Ergo müssen bei der Suche nach einer Antwort Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen gehört werden: aus der Kunst- und Baugeschichte, Archäologie, aus den Naturwissenschaften oder der Theologie, um nur einige zu nennen. 
Angesichts der Fülle von Veröffentlichungen in Bezug auf den Thron im 
Aachener Dom besteht vermutlich fortwährend eine latente Gefahr des „Zu-wissen-Glaubens“.

Bei seinem Streifzug durch die Ergebnisse früherer Forschungen scheut sich Professor Müller auch nicht, den Finger auf die eine oder andere Schwachstelle zu legen. Zwar kommt es Harald Müller auf „das mittelalterliche Wort und seine Dynamiken“ an. Dennoch widmet er auch dem „Thron im Bild“ ein kurzes Kapitel. Unter anderem nimmt er die Throne der Könige am Karlsschrein in Augenschein: Offensichtlich hat der Aachener Thron für die abgebildeten Formen nicht Modell gestanden, selbst Karl der Große ist nur auf einem geschmückten Sitz dargestellt.

Forschungsergebnisse  liegen in Hülle und Fülle vor

Trotz seiner vergleichsweise geringen Seitenanzahl vermittelt das Büchlein eine unglaubliche Wissensmenge. Der Leser fühlt sich beinahe auf Augenhöhe mit den Experten, die ihre Erkenntnisse in monate- oder jahrelanger Forschung gewonnen haben. Ein Blick auf das Verzeichnis am Ende des Büchleins lässt erkennen, aus welcher Quellen- und Literaturfülle Harald Müller seine Gedanken schöpft.

1962 in Stolberg geboren, begann er später sein Studium an der RWTH Aachen unter anderem in den Fächern Mittlere und Neuere Geschichte. In Berlin 
habilitierte er sich an der Humboldt-Universität und kehrte nach einer ersten Professur in Mainz nach Aachen zurück. Als Vorsitzender des Aachener Geschichtsvereins (seit 2015) ist Harald Müller vermutlich bestens darüber informiert, wie leidenschaftlich die Aachener „ihren“ Karl den Großen verehren. 
Unbestreitbar ist der Karlsthron ja ein einzigartiges Objekt. Das bedeutet, dass man keine Vergleichsmöglichkeiten hat, was wiederum seine Erforschung so unglaublich mühsam macht. Hatte dieses Möbel nun etwas mit Karl dem Großen zu tun oder nicht? Bis heute zu gibt der Thron im Aachener Dom Rätsel auf, wie Harald Müller anmerkt.  
 „Stellen wir die richtigen Fragen?“, heißt es folgerichtig im weiteren Verlauf des Büchleins.

Daher richtet der Autor sein Augenmerk von da an nicht mehr erstrangig auf den Königsthron als Objekt. Stattdessen durchforstet er die Quellen nach Motiven, wie der Thron „zum Karls-thron als Symbol des Reiches und des Ursprungs der königlichen Macht“ werden konnte. Hatte er gar eine religiöse Funktion? Nicht ganz abwegig, wenn man bedenkt, dass der Marmor von der Grabeskirche in Jerusalem stammen soll. Das wiederum ist aber bisher auch keine gesicherte Erkenntnis. Würde man nicht erwarten, dass ein solch bedeutsames Ereignis, wie der Transport des Marmors von Jerusalem nach Aachen darstellt, schriftlich festgehalten wird? Schließlich wird ja auch der Elefant erwähnt, der über die Alpen nach Aachen kam. Und Reliquien von solch unschätzbarem Wert wie der genannte Marmor sollten unerwähnt bleiben? Bei einer derartigen Fragestellung wird vorausgesetzt, dass auch schon unsere Ahnen überwiegend bemerkenswerte Ereignisse für die Nachwelt festgehalten haben. Andererseits sind Begriffe wie „Bedeutung“ oder „Wertschätzung“ zur Einordnung historischer Fakten nicht sehr brauchbar. Was für Christen unglaublich wertvoll war, hätten Andersgläubige vielleicht nicht einmal wahrgenommen.

Harald Müller gelingt es in seinem Büchlein, die Schwierigkeiten der Forschungen um den Karlsthron auch für Nicht-Wissenschaftler verständlich und erfrischend lebendig darzustellen. Leserinnen und Leser können sich gleichsam selbst als Forschende fühlen.
Eine Antwort auf die Frage „Karls Thron oder Karlsthron?“ gibt Professor Müller übrigens nicht, aber der Titel seines Essays: „KarlsThron“ ist doch sehr aussagekräftig!

Info

(c) Anton-Hiersemann-Verlag

Harald Müller: KarlsThron. 
Monument und Mythos, 
Zeitenspiegel Essay Bd. 3, 
161 S., fadengeheftete Klappenbroschur, 
Anton-Hiersemann-Verlag, Stuttgart 2021, 
Preis: 28,– EuroBitte bearbeiten Sie diesen Inhalts-Abschnitt.