»Habt den Mut, etwas zu tun. Fangt einfach an«

Seine Aktion ist zum Selbstläufer geworden, sagt Peter Borsdorff im Interview mit der Kirchenzeitung.  Ans Aufhören denkt er nicht

Peter Borsdorff, auch bekannt als „Läufer mit der Sammelbüchse“, ist seit 30 Jahren für seine Aktion „Running for Kids“ unterwegs. (c) Stephan Johnen
Peter Borsdorff, auch bekannt als „Läufer mit der Sammelbüchse“, ist seit 30 Jahren für seine Aktion „Running for Kids“ unterwegs.
Datum:
21. Mai 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 18/2025 | Stephan Johnen

Mit einem Bollerwagen fing alles an. Am 14. Januar 1995 hatte der Dürener Langstreckenläufer Peter Borsdorff die Idee, mit einer selbst gebastelten Sammelbüchse an den Start zu gehen, um Spenden für einen Kindergarten seiner Heimatstadt zu sammeln. Aus der einmaligen Aktion wurde eine Lebensaufgabe. Mittlerweile hat der 81-Jährige mit seiner Aktion „Running for Kids“ über vier Millionen Euro für bedürftige und schwerkranke Kinder und Jugendliche gesammelt.

Herr Borsdorff, wacht man eines Morgens auf und denkt sich: Ich könnte mal für Kinder laufen und Spenden sammeln?

Peter Borsdorff: Die Geschichte fängt bei meinem Hausarzt an, der mir befohlen hat, mich einmal auf die Waage zu stellen. Ich war Anfang 40, habe geraucht, hatte Übergewicht. „Du musst laufen gehen“, riet er mir.


Landen solche Ratschläge nicht unberücksichtigt auf dem Stapel der guten Vorsätze?

Borsdorff: Die Erinnerung an meinen Vater, der vier Herzinfarkte hatte, mag geholfen haben. Am nächsten Tag stand ich mit Laufschuhen im Wald. Seit diesem Tag führe ich ein Lauftagebuch, notiere genau, wo, mit wem, wie lange, über welche Distanz, bei welchem Wetter und mit welchen Klamotten ich unterwegs war. 114.007 Kilometer sind zusammengekommen. Ich bin bis heute dankbar, dass ich vor 43 Jahren auf den Rat gehört habe. 


Sie erzielten schnell Erfolge, liefen Marathons. Wann wurde aus dem Sportler der Spendensammler?

 Schon vor dem Start von „Running for Kids“ wusste ich, dass ich den Zenit überschritten hatte. Frankfurt 1992 war mein letzter Marathon. Aber ich war weiterhin gut trainiert. In meinem Sportverein Dürener TV 1847 war ich Mit-Organisator von Volksläufen. Als ich mitbekommen habe, dass ein Kindergarten einen Bollerwagen anschaffen wollte, hatte ich am 14. Januar 1995 während eines verregneten Trainingslaufs die Idee, einmalig eine Sammelbüchse aufzustellen. Es kamen damals 1000 Mark zusammen; und schon war es mit der Einmaligkeit vorbei. Bis Ende des Jahre bin ich 44 weitere Wettkämpfe gelaufen – nicht auf gute Zeit, sondern mit einer Sammelbüchse unter dem Arm. 

Der mittlerweile 81-jährige Peter Borsdorff läuft selbst nicht mehr mit. Aber mit seiner Sammelbüchse ist er immer noch dabei. (c) privat
Der mittlerweile 81-jährige Peter Borsdorff läuft selbst nicht mehr mit. Aber mit seiner Sammelbüchse ist er immer noch dabei.

Sind Sie belächelt worden?

Borsdorff: Ich wurde mehr als belächelt. Man kannte mich als Leistungssportler – und plötzlich war ich mit einer Büchse unterwegs. Damit musste ich anfangs leben, aber je mehr ich lief und je mehr Spenden ich überreichen konnte, desto bekannter wurde die Aktion. Viele Anfragen kamen über Sportfreunde, ich war in vielen Orten unterwegs, in denen es Familien oder Einrichtungen gab, die Hilfe benötigten. So wurde die in „Running for Kids“ umbenannte Aktion immer bekannter. 


Warum haben Sie keinen Verein gegründet?

Borsdorff: Die ersten 100 Spenden habe ich zusammen mit der Leichtathletikabteilung des Dürener TV übergeben. Als Läufer wollte ich dies zusammen mit dem Vorstand tun. Ich hatte nie geplant, es alleine zu machen. Aber je mehr es wurde, desto mehr Abstimmungsarbeit war notwendig. Seit 2006 ging ich ja nicht mehr arbeiten und hatte Zeit. Also habe ich es nach den ersten 100 alleine fortgeführt. Seit jeher ist auf meiner Homepage jede Spende dokumentiert, alles ist öffentlich.

2005 ist Ihre Frau Doris gestorben, die Sie stets begleitet hat. Gab es einen Augenblick, wo sie die Laufschuhe an den Nagel hängen wollten?

Borsdorff: Meine Frau erhielt zehn Monate nach dem ersten Spendenlauf die Diagnose, dass sie Krebs hat. Sie hat die Aktion neun Jahre lang unterstützt und nie geklagt. Als ich Doris verloren habe, war das fürchterlich, ein Rückschlag. Aber auch eine Motivation. Drei Tage vor ihrem Tod habe ich ihr versprochen, dass ich weiter für die Kinder laufe. Sie war überzeugt, dass dies meine Mission ist. Heute unterstützt mich meine liebe Inge bei dieser Mission. 


Wie werden Sie darauf aufmerksam, dass Hilfe benötigt wird?

Borsdorff: Es passiert so gut wie nie, dass Familien bei mir anfragen. Als Sportler war ich seit 1995 auf fast allen Volksläufen in der Region unterwegs. Läufer sind eine Gemeinschaft, bei der jeder mitgenommen wird. Egal, ob er schnell oder langsam läuft. Und Sportler sind sehr hellhörig, was Familien angeht, wo Bedarf besteht, wo Hilfe notwendig ist. Viele Tipps habe ich auch immer von aufmerksamen Nachbarn bekommen oder von Lehrerinnen und Lehrerin.


Wie gehen Sie vor? Gibt es eine Prüfung des Anliegens?

Borsdorff: Ich habe immer Wert darauf gelegt, die Kinder und Familien zu treffen, mir erklären zu lassen, worum es geht. Wir prüfen, so gut wir das können, auch die Hintergründe. Erst dann starte ich eine Aktion, stecke ich mir ein Ziel und laufe beispielsweise für ein Kind, um eine bestimmte Therapie zu finanzieren, die nicht von der Krankenkasse übernommen wird, um die Familien bei den Reisekosten zu unterstützen oder Anschaffungen zu tätigen, die das Leben erleichtern. Viele Kinder konnten wir in all den Jahren auch mit kleineren Summen unterstützen. Ein paar Hundert Euro können schon helfen, eine Auszeit zu ermöglichen, einen schönen Tag abseits von Krankheit und Sorgen zu verbringen, etwas Unbeschwertes zu erleben.


Wie gehen Sie damit um, seit Jahrzehnten mit persönlichen Schicksalen anderer Menschen konfrontiert zu sein?

Borsdorff: Ich habe zehn Kinder mit zu Grabe getragen, für die ich unterwegs war. Das sind schlimme Tage gewesen. In meinem Büro stehen viele Erinnerungsstücke. Ich könnte zu jedem Stück eine Geschichte erzählen, die mal gut, mal weniger gut ausgegangen ist. Wie die Geschichte einer jungen Frau, die an einer schweren Lungenkrankheit litt. Sie war ein wunderbares Mädel mit einer lebensbejahenden Einstellung, die kämpfte. Ihr Traum war es, einmal ein Fotoshooting zu machen. Das haben wir ermöglicht. Es war der schönste Tag in ihrem Leben. Ein Jahr später haben wir ihr zum Geburtstag eine Feier in der Disco geschenkt, weil sie dort noch nie war. Ich habe hier ein Bild von dieser Feier. Danach hatte sie einen Termin in der Klinik, von dem sie nicht zurückgekommen ist. Noch heute habe ich Kontakt zur Familie. 


Sind Kinder mutiger als Erwachsene?

Borsdorff: Kinder sind mutig! Sie sind von Natur aus Kämpfer. Ich habe Kinder kennengelernt, die mit einer Selbstverständlichkeit alles mitgemacht haben. 2010 bin ich für eine Zwölfjährige gelaufen, die Leukämie hatte und über 100 Chemos erhalten hat. Wir haben ihr eine Woche Urlaub ermöglicht. Einige Jahre später ist mir eine junge Frau auf Inline-Skates um den Hals gefallen, die ich erst gar nicht erkannt habe. Aus dem Mädchen von damals ist eine Mutter geworden.


Welchen Unterschied kann es machen, auch mit vermeintlichen Kleinigkeiten zu helfen?

Borsdorff: Viele Spenden sind Mutmacher. Ich möchte Menschen in einer schwierigen und manchmal auch lebensbedrohlichen Situation eine Freude bereiten, sie zumindest kurzfristig von anderen Sorgen befreien.


Glauben Sie an Wunder?

Borsdorff: Ja. Das hängt damit zusammen, dass ich an unseren lieben Gott glaube. Ich habe manchen Fall erlebt, wo niemand geglaubt hat, dass sich die Situation verbessert. Und sie hat sich verbessert, es gab Heilung. Es gibt Wunder, das ist meine persönliche Sichtweise.

Manche Auszeichnungen, die Borsdorff für sein Engagement erhalten hat, seien wie Türöffner, sagt er. (c) Stephan Johnen
Manche Auszeichnungen, die Borsdorff für sein Engagement erhalten hat, seien wie Türöffner, sagt er.

Sie haben viele Verdienstorden erhalten. Brauchen Sie diese Anerkennung?

Borsdorff: Nein.


Hilft diese Anerkennung bei Ihrer Mission?

Borsdorff: Manche Auszeichnung ist wie ein Türöffner. Mit den Jahren ist auch die Höhe der Spenden gestiegen, die Aktion wurde zum Selbstläufer. In den Köpfen der Menschen stehen Orden auch für Glaubwürdigkeit. Meine größte Anerkennung war aber die Einladung zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten, wo Horst Köhler, mein Jahrgang, mir sagte: „Ich beneide Sie, dass Sie laufend für Kinder unterwegs sein können.“ Darüber bin ich froh, stolz und dankbar.

Denken Sie beizeiten auch einmal an den Ruhestand?

Borsdorff: Nie. Keine Sekunde. Ich könnte ja meine Aktion weitermachen, auch wenn ich nicht mehr vor die Tür gehen kann. Ich könnte alles vom Rechner aus steuern. Das möchte ich aber gar nicht! Ich habe vor langer Zeit beschlossen, jede Spende persönlich zu übergeben. Ich bin dankbar, dass ich dies über 30 Jahre lang machen konnte und hoffentlich noch lange machen kann. Ihr glaubt gar nicht, wie schön es ist, wenn man etwas bewirken kann.

Zur Person

Der Dürener Leichtathlet Peter Borsdorff, Jahrgang 1943, ist Initiator der Aktion „Running für Kids“ und hat seit 1995 mehr als vier Millionen Euro Spenden für Kinder und Jugendliche in Notlagen gesammelt. Die erste Million hat er am 9. Dezember 2014 geknackt, danach wurden die Abstände immer kürzer. Am 8. Mai 2025 betrug der Spendenstand 4.354.181,53 Euro. 
Der als „Läufer mit der Sammelbüchse“ bekannte Borsdorff ist Träger der Bundesverdienstmedaille, des LVR-Rheinlandtalers und des Bundesverdienstkreuzes am Bande. 2019 wurde er mit dem Europäischen Sozialpreis ausgezeichnet, 2023 erhielt er den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Der seit 1951 in Düren lebende Ingenieur ist Träger der Ehrenmedaille der Stadt Düren und wurde auch mit dem seltenen Ehrenring ausgezeichnet.