Guter Ansatz, viele Fragen

Themenreihe „Menschenwürde“ greift Pro und Contra zum bedingungslosen Grundeinkommen auf

Jeden Monat ein fester Betrag für alle Bürger, ganz ohne Bedingungen: Lösung oder Gefahr? (c) www.pixabay.com
Jeden Monat ein fester Betrag für alle Bürger, ganz ohne Bedingungen: Lösung oder Gefahr?
Datum:
8. Okt. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2019 | Andrea Thomas

Über das „bedingungslose Grundeinkommen“ wird derzeit viel diskutiert: Sollen alle Bürger ein regelmäßiges monatliches Einkommen vom Staat beziehen, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht? Was macht das mit einem Menschen? Wo lägen die Vorteile, wo die Gefahren?

KAB und Betriebsseelsorge im Bistum Aachen, das Herzogenrather Nell-Breuning-Haus und die Gewerkschaften DGB und IG Metall hatten dazu zu einem Diskussionsabend unter der Überschrift „Chancen des Grundeinkommens“ eingeladen, bei dem diese Fragen aufgegriffen wurden. Die Veranstaltung war der Auftakt einer Reihe, die sich mit Themen beschäftigt, die die Würde des Menschen betreffen. Befürworter sehen im bedingungslosen Grundeinkommen die Lösung für eine solidarischere und gerechtere Gesellschaft, in der Menschen sich nicht nur über Erwerbsarbeit definieren und individuelle Freiräume entstehen. Für die Gegner ist das schlicht nicht bezahlbar, schwächt die Wirtschaft oder verursacht eher mehr Ungerechtigkeit.

So verschieden die Meinungen dazu, so verschieden sind auch die Grundeinkommensmodelle selbst, die kursieren. Neoliberale Modelle verfolgen vor allem ökonomische Ziele und sehen einen Rückbau/die Abschaffung des Sozialstaates vor, emanzipatorische Modelle wollen dagegen den Sozialstaat sichern und sehen das Grundeinkommen als Teil eines nötigen gesellschaftlichen Umwandlungsprozesses.  Zur Diskussion über Vor- und Nachteile eines Grundeinkommens für jeden Bürger hatten die Veranstalter mit Winfried Gather, dem ehemaligen Diözesansekretär der KAB im Bistum Köln, Achim Schyns, Geschäftsführer der IG Metall Aachen und dem Aachener Unternehmer Harald Hanbücken drei Vertreter unterschiedlicher Sichtweisen eingeladen. 

 

Achim Schyns

Vieles, was zur Zeit passiert, ist menschenunwürdig.

 

Winfried Gather steht für das Grundeinkommensmodell der KAB: Ab dem Tag der Geburt steht jedem ein garantiertes Grundeinkommen zu, unabhängig von Einkommen, Vermögen und Lebensweise, das nicht im Rahmen von Bedarfsgemeinschaften angerechnet wird. Es soll existenzsichernd sein und eine dem sozialen und kulturellen Standard entsprechende Lebensführung ermöglichen, die gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme gewährleistet. Es ist bedingungslos, ohne Kontrolle oder Zwangsmaßnahmen. Die fünf Säulen der Sozialversicherung (Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung) bleiben erhalten.  „Das ermöglicht keine großen Sprünge, Erwerbsarbeit soll sich weiterhin lohnen, das Grundeinkommen ist die Basis“, erläutert Winfried Gather. Dahinter stehe für die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung die Vision der Tätigkeitsgesellschaft, in der alle Formen von Arbeit (Erwerbsarbeit, Privatarbeit und gemeinwesenbezogene Arbeit) gleichermaßen anerkannt sind. „Wir wollen den Sozialstaat erhalten, aber bestimmte Stellschrauben verändern“, betont er – für eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft.

Es sei daher auch kein Widerspruch, dass jeder ein Grundeinkommen bekomme, denn jeder trage das auch durch vermehrte Steuern mit. „Der Millionär bekommt selbst ein Grundeinkommen, aber er finanziert auch 13 andere.“ Auch für Harald Hanbücken, Leiter eines mittelständischen Betriebs mit 30 Mitarbeitern, muss sich zukünftig etwas verändern. Mindestlöhne, die einen Menschen nicht ernähren, sind für ihn inakzeptabel; dass seine Mitarbeiter abgesichert sind und gut leben können, ist ihm wichtig. Ob allerdings das Grundeinkommen eine Lösung ist, daran zweifelt er. „Man darf wirtschaftliche Aspekte nicht außer Acht lassen.“ 

 

Bedarfsgerechte Lösungen gesucht

Folge eines Grundeinkommens seien vermutlich höhere Löhne für die, die arbeiten wollten, was zu höheren Lohnarbeitskosten führe, die über einen höheren Stundensatz an die Kunden weitergegeben würden. Bereits jetzt seien Fachkräfte schwer zu bekommen und zu halten. Auch hat er Bedenken, dass sich die Position der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt verschlechtere. Osteuropäische Kollegen könnten angestachelt werden, als Subunternehmer zu günstigeren Konditionen in den Markt zu drängen. „Wir hätten höhere Arbeitslosigkeit, mehr Schwarzarbeit und mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse“, mutmaßt er. Ein Grundeinkommen könne nur eine Basis sein, sonst funktioniere das für ihn nicht.

Auch innerhalb der Gewerkschaften sind die Meinungen zum Grundeinkommen eher skeptisch. Achim Schyns zählt einige der Bedenken auf: Wie soll das finanziert werden, über höhere Steuern? Ist eine pauschale Leistung gerecht, zum Beispiel gegenüber Alleinerziehenden, kranken und behinderten Menschen oder dem Wohnort (Stadt/Land)? Wie sieht das aus bei den Sozialversicherungen, in die unterschiedlich hoch eingezahlt wird, höhlen wir dadurch das System nicht aus? Sind dann zukünftig nur noch hochqualifizierte Frauen berufstätig, weil es sich aufgrund der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht lohnt? Was ist mit Abfindungen, bei Kündigung oder dem Mindestlohn?  „Da brauchen wir bedarfsgerechte Lösungen“, erklärt Achim Schyns, die auch die Unternehmen in die Pflicht nähmen. Ein Grundeinkommen dürfe sie nicht aus der Verantwortung entlassen, ihre Beschäftigten zum Beispiel über betriebliche Altersvorsorge mit abzusichern.

Er sieht im Grundeinkommen aber durchaus auch Chancen: für bessere Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Menschen, darin, mehr Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen und einen höheren Wert der Arbeit, auch der ehrenamtlichen Arbeit, oder auch in Bezug auf ökologische Fragen. „Vieles, was zurzeit passiert, ist menschenunwürdig. Der Mensch darf nicht Bettler sein.“ Daher sei eine Diskussion wichtig, sie müsse offen geführt werden zwischen Gewerkschaften, sozialen Unternehmern und Verbänden wie der KAB.  So wie an diesem Abend. Unstrittig war, dass „wir an das Thema ran müssen“, wie Winfried Gather erklärte. Alters- und Kinderarmut, soziale Ausgrenzung, all das betreffe Kirche, aber auch jeden einzelnen, der in diesem Land lebe: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Pro und Contra bedingungsloses Grundeinkommen

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