Die „Omas gegen rechts“ (OGR) sind seit den Berichten über das „Potsdamer Treffen“ und den Massendemonstrationen gegen Rechtsruck und AFD die derzeit wohl am schnellsten wachsende soziale Bewegung in Deutschland.
Gegründet 2017/2018, waren die OGR zwar oft in den Medien präsent, ihre lokalen Gruppen aber relativ klein. Heute gibt es nach eigenen Angaben in Deutschland rund 30000 Mitglieder in über 200 Ortsgruppen.
An diesem Wochenende wird das Netzwerk mit dem „Aachener Friedenspreis“ geehrt. Die KirchenZeitung sprach mit den beiden Gründerinnen der Aachener Ortsgruppe, Maria Kehren (64) und Verena Keppels (65).
Keppels: In unserer Gruppe gut.
Kehren: Wir haben zwei sehr aktive Opas. Häufig sind es auch Ehemänner von Omas, die einfach mitkommen. Fünf oder sechs, würde ich sagen. Aktive Omas haben wir etwa fünfzig.
Keppels: Euphorisch und voll Tatendrang. Es war unheimlich inspirierend.
Kehren: Voller Adrenalin. Und mit der Erkenntnis, dass wir eine wirklich starke Bewegung sind, die sehr viel bewegen kann. Mit tollen Ideen, deutschlandweit. Alleine der Austausch mit den unterschiedlichen Oma-Gruppen, dass wir das alles jetzt bündeln und uns intern viel besser vernetzen. Wir können nun alle auf die Erfahrungen anderer Gruppen zurückgreifen.
Keppels: Die Herausforderung verliert man dabei nicht aus dem Blick. Es ist unheimlich toll zu sehen, wie schnell sich Gruppen gebildet haben. Aber jetzt geht es darum, noch aktiver zu werden.
Kehren: Der Paul-Spiegel-Preis war für mich ein absolutes Highlight, weil wir halt auch einen großen Schwerpunkt auf Antisemitismus legen. Der Friedenspreis – als ich das gehört habe, hatte ich Tränen in den Augen. Es ist eine Auszeichnung, die einen nicht ermuntern sollte, sich auszuruhen, sondern weiterzumachen.
Keppels: Weil uns irgendwann bewusst wurde, dass diese Demonstrationen der Impfgegner unterwandert wurden von Rechtsextremen, und wir versucht haben aufzuklären: Mit rechts marschiert man nicht.
Kehren: Ich hab’ die „Querdenken“-Bewegung lange im Netz beobachtet und immer wieder festgestellt, dass dort nicht nur rechte, sondern auch verschwörungsideologische und antisemitische Inhalte immer mehr Fuß fassten. Deshalb sind wir dagegen auf die Straße gegangen.
Sie haben mit Reiki oder der Kunst zu tun, sahen bei diesen Protesten auf der Gegenseite frühere Mitstreiterinnen. Wie geht frau damit um?
Keppels: Erstmal hat es mich schon sehr schockiert. Ich habe versucht, im Bekannten- und Freundeskreis ins Gespräch zu kommen. Habe aber sehr schnell bemerkt: Wenn die Meinungen verhärtet waren, dann kommt man da fast gar nicht mehr ran. Es war sehr schnell von verschwörungsideologischen Erzählungen die Rede, woran dann so fest geglaubt wurde, dass sie nicht verstehen konnten, dass ich da nicht auch mitmache bei den Demonstrationen. Das war schon sehr anstrengend.
Kehren: Ich biete Reiki nur zusätzlich zu schulmedizinischen Therapien an. Ich habe aber ganz schnell gemerkt, dass da ganz verstrahlte, esoterische Menschen unterwegs sind. Und als solche dann während der Coronapandemie hier anriefen, ob ich die Impfung mit Reiki ausleiten oder Corona mit Reiki heilen könne, da habe ich mich komplett von dieser Bubble distanziert. Reiki biete ich weiter an – als Ergänzung zur Schulmedizin.
Keppels: Es ist keine demokratische Partei. Sie ist zwar demokratisch gewählt worden, aber an ihren Inhalten sieht man ja ganz deutlich, dass sie kein Interesse an Demokratie hat und sie auch zerstören will.
Kehren: Mittlerweile haben AFD-Anhänger ja keine Angst mehr davor, Nazisprüche zu bringen. Der Prozess gegen Björn Höcke hat das auch wieder gezeigt, er motiviert sein Publikum dazu, diesen SA-Spruch [„Alles für Deutschland“; siehe L’Amour Rechtsradikalismus…? in dieser Ausgabe] rauszuhauen. Es ist in meinen Augen eine menschenverachtende, demokratisch gewählte, aber absolut undemokratische Partei.
Keppels: Mittlerweile ja, ich persönlich.
Kehren: Ich schwanke noch. Es gibt gute Argumente dafür und gute Argumente dagegen, ich tendiere aber auch zu einem Verbot. Das diskutieren wir auch bei den Omas kontrovers. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber in dem einem Punkt: Dass wir etwas tun müssen. Und trotzdem können wir super miteinander arbeiten.
Kehren: Wir haben viele unterschiedliche Meinungen und erreichen dadurch auch eine ganz breite Öffentlichkeit. Die Oma, die CDU wählt, erreicht ganz andere Menschen, als die Oma aus der Friedensbewegung oder die, die im Hambacher Forst aktiv gewesen ist.
Keppels: Es ist auch nicht unsere Aufgabe, zu jeder politischen Entwicklung Stellung zu beziehen. Unsere Aufgabe ist es, rote Linien bewusst zu machen, wo es Hass, Hetze, Gewalt gibt.
Kehren: Demokratie lebt von ganz vielen unterschiedlichen Meinungen, und da müssen wir wieder hin, dass wir wieder ein vielfältigeres Meinungsbild haben und man auch andere Meinungen aushält, solang sie keine roten Linien überschreiten.
Bei einem Infostand fotografierte Sie einmal ein Mann, der auf X (vormals Twitter) mit Rechtsextremen vernetzt ist, ihm folgen derzeit rund 5200 User, oft solche aus dem extrem rechten Spektrum. Er postete zu dem Bild: „Habe heute morgen mal wieder die [OGR in Aachen] aufgemischt. Habe ihnen gesagt, dass sie entmündigt und unter ständiger Beobachtung ins Heim kommen, wenn die AFD regiert. Waren überhaupt nicht begeistert.“ Werden Sie oft angefeindet?
Keppels: Das kommt darauf an, in welchen Stadtvierteln wir sind. Es gibt Viertel, wo wir viel Zuspruch bekommen. Und dann gibt es Viertel, wo man Gegenwind bekommt. Da wird uns vorgeworfen, wir wären undemokratisch, bis hin zu Äußerungen, dass wir eben alte hässliche Frauen wären, die lieber stricken sollten…
Kehren: In den sozialen Medien wird man wesentlich mehr angefeindet. Im Osten ist es ganz anders. Da werden Omas auch regelrecht bedroht. Da heißt es: „Wir wissen, wo deine Enkel in die Schule gehen.“ So etwas haben wir hier in Aachen noch nicht.
Kehren: Da spreche ich für uns beide: Uns geht es nicht um uns, sondern um unsere Kinder, um die Enkel, um alle nachfolgenden Generationen. Wir können uns darauf fokussieren, den Kindern und Enkeln eine Welt zu hinterlassen, in der wir auch gelebt haben. Wir hatten eine Welt in Freiheit, ohne Krieg – und das wollen wir unseren Kindern und Enkeln auch weitergeben.