Gott umgibt uns mit Geistkraft wie die Atemluft

Das Pfingstwort von Gabriele Löser-Widua

Thunderstorm_with_lead_gust_front_-_NOAA (c) gemeinfrei, Quelle: http://www.photolib.noaa.gov/nssl/nssl0045.htm
Thunderstorm_with_lead_gust_front_-_NOAA
Datum:
31. Mai 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 21/023

Liebe Leserin, lieber Leser,

der „Klassiker“ der biblischen Texte zum Pfingstfest ist und bleibt die Erzählung aus der Apostelgeschichte, die sich mit ihren starken Bildern vielen Gläubigen tief eingeprägt hat. Mit Sturmesbrausen und Feuer, die der Erfüllung der Versammelten mit Heiligem Geist vorausgehen, enthält sie die Charakteristika einer göttlichen Offenbarung. Die Phänomene erinnern nicht zufällig an die Offenbarung Gottes am Sinai.

Sturm und Feuer drücken die Unkontrollierbarkeit und Unverfügbarkeit des Gottesgeistes aus. Das ist in der Tat für mich ein begeisternder Gedanke, steht doch damit der Heilige Geist gegen alle Versuche, ihn „dingfest“ zu machen, und vorherzusagen, in wem und auf welche Weise Gottes Geist wirkt. Auch allen Versuchen, Menschen in eine Über- oder Unterordnung zu bringen, sei es in Gesellschaft noch in der Kirche selber, erteilt die Pfingsterzählung eine Absage.

Und dennoch: Das Überwältigende und Ekstatische an dem Pfingstereignis, wie es die Apostelgeschichte erzählt, ist mir bei aller Faszination zugleich auch fremd. Als Frau einer Generation, in der das Katholischsein zumindest im Rheinland „normal“ und das Hineinwachsen in den Glauben eher unspektakulär war, kann ich nicht mit überwältigenden und eks-tatischen Glaubenserfahrungen aufwarten.

Da finde ich es tröstlich, dass das Evangelium, in dem der auferstandene Jesus den Jüngern erscheint, ganz anders vom Heiligen Geist spricht. Ihnen, die sich voller Furcht eingeschlossen haben, spricht er als erstes seinen Frieden zu. Und dann haucht er sie an: „Empfangt den Heiligen Geist!“ Das Anhauchen erinnert an die Erschaffung des Menschen in Gen 2,7. Gott haucht den Menschen an, und erst dadurch wird er lebendig.
Heiliger Geist als Hauch, als Atem Gottes. Im Hebräischen ist es die „ruach“ (Wind, Atem, Lebenskraft, Geist), die den Menschen belebt.

Gabriele Löser-Widua ist Pastoralreferentin, Geistliche Begleiterin und Exerzitienseelsorgerin in der Fachstelle für Exerzitienarbeit im Bistum Aachen. (c) Bistum Aachen
Gabriele Löser-Widua ist Pastoralreferentin, Geistliche Begleiterin und Exerzitienseelsorgerin in der Fachstelle für Exerzitienarbeit im Bistum Aachen.

Gott umgibt uns mit seiner Geistkraft wie die Atemluft, oder wie der Jesuit 
Alfred Delp 1944 formulierte: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt uns dies gleichsam entgegen.“  

Pfingsten heißt für mich:
Gott ist mir nicht nur das Gegenüber, bei dem ich mein Leben zur Sprache bringen kann, das ich auch um Hilfe bitten darf in meinen alltäglichen Sorgen und Nöten, nicht nur der Begleiter an meiner Seite – all das auch, aber auch noch Heilige Geistkraft, Lebenskraft in uns, die uns am Leben und lebendig hält – oft unscheinbar, verborgen und uns nicht immer bewusst – von Tag zu Tag. Mit diesem Gottesbild konnte ich auch während meiner Tätigkeit als Psychiatrieseelsorgerin verantwortlich den Menschen begegnen, die aufgrund von Gewalterfahrungen in der Kindheit mit dem „Vatergott“ (und manchmal auch „Muttergott“) abgeschlossen hatten.

Gott als „Heilige Geistkraft“ bietet Anhaltspunkte, Gott auch weiblich zu denken, ohne auf das mitunter belastete Elternbild zurückzugreifen. Ist doch die „ruach“ im Hebräischen überwiegend weiblich. Bei der Übersetzung ins Griechische wurde die „ruach“ als „Pneuma“ grammatikalisch zum Neutrum, später im Lateinischen zum maskulinen Spiritus sanctus. Dort klingt aber noch etwas von der gleichzeitigen Bedeutung des Atems mit, von der dann bei der deutschen Übersetzung „Heiliger Geist“ nichts mehr zu hören ist.

Die Heilige Geistkraft als Atem Gottes gedacht kann auch die persönliche Spiritualität erweitern. Mit jedem Atemzug atme ich dann auch Gott, ich atme Gottes Lebenskraft ein, ich atme aus, ich bete. Gerade in Phasen, in denen das Gespräch mit Gott per Du schwierig ist, kann diese Form des Unterwegsseins mit Gott, des „immerwährenden Betens“, eine große Hilfe sein. Nicht zufällig binden viele Meditierende ihr Gebet an den Atem, um gegenwärtig zu bleiben wie zum Beispiel im Herzensgebet oder in anderen Formen der Meditation.

Wie lebensnotwendig der Atem für uns Menschen ist, haben wir schmerzlich in der Coronapandemie erleben müssen, und auch wie sehr wir die Atemluft teilen, so dass wir uns kaum vor unserem Ausatmen (den Aerosolen) schützen konnten. Wenn wir einander so „beatmen“, sind wir mehr und tiefer miteinander verbunden, als uns oft bewusst ist. Um so wichtiger ist es, dass wir uns nicht gegenseitig die Luft „verpesten“ im übertragenen wie wörtlichen Sinne. Das gilt dann im Übrigen auch für die anderen Lebewesen, mit denen wir unsere Atmosphäre teilen.

Vielmehr gibt Jesus denen, die zu ihm gehören, den Auftrag, den zugesprochenen Frieden weiterzugeben, miteinander eine Atmosphäre zu schaffen, in der Menschen aufleben, durch- und aufatmen können. Oder – etwas bescheidener formuliert – doch zumindest dem Wirken des Heiligen Geistes „nicht im Wege zu stehen“.

Dass Ihnen der Geist Gottes so begegnen möge, wie Sie es gerade brauchen und annehmen können, ob feurig und stürmisch oder eher sanft beatmend, ob als Heiliger Geist oder Heilige Geistkraft – das wünscht Ihnen nicht nur zu Pfingsten

Gabriele Löser-Widua