Gott übersteht auch das Schlimmste mit uns

Ulrich Lüke über Jesu Tod am Kreuz und Auferstehung.

(c) Jonas Allert/unsplash.com
Datum:
11. Apr. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 15/2025 | Kathrin Albrecht

Ulrich Lüke war bis 2017 Professor für Systematische Theologie an der RWTH und Pfarrer im Bistum Aachen. Heute ist er Krankenhausseelsorger am St. Franziskus- Hospital in Münster.

Sieht Gott letztinstanzlich als rettenden Richter und richtenden Retter: Professor Ulrich Lüke. (c) privat
Sieht Gott letztinstanzlich als rettenden Richter und richtenden Retter: Professor Ulrich Lüke.

Herr Lüke, warum muss Jesus sterben?

Lüke: Vordergründig betrachtet hatte er sich gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern einige „verbale Entgleisungen“ geleistet. Als Heuchler, als Betrüger, als Beutelschneider hatte er sie bezeichnet. Er hatte die Händler eigenmächtig aus dem Tempel vertrieben. Er hatte der zwanghaften Gesetzesbefolgung eine Gesinnungsethik, die goldene Regel und das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe gegenübergestellt. Er hatte existentiellen Ernst in die Gottesbeziehung des Menschen gebracht.


Warum ist das Kreuz dabei so wichtig?

Lüke: Das Kreuz war das übliche Werkzeug der Römer zur Durchführung der Todesstrafe. Man denke etwa an den Spartakus- Aufstand. Die Kreuzigung war von perfider Grausamkeit und dehnte das Hinrichtungsgeschehen auf viele Stunden aus. Überdies hatte es durch seine Brutalität wohl auch eine erhebliche Abschreckungswirkung. Symbolisch gesehen durchkreuzt das Kreuz unsere Lebensentwürfe. Auf dem Boden liegend verbindet es aber alle Himmelrichtungen und aufgerichtet verbindet es Himmel und Erde mit dem unfassbar menschlichen und dem menschlich unfassbaren Gott.

 

Wir sprechen vom Sühneopfer Jesu. Was ist damit gemeint?

Lüke: Der Gedanke der Sühne für die Schuld der Menschen ist nur eine Deutungsversion des Todes Jesu. Da durchbricht einer das Augeum- Auge-Zahn-um-Zahn, um Frieden zwischen den Menschen und auf Gott hin möglich zu machen. Als Sündenbock lässt er sich fremde Schuld anlasten und zum Opferlamm machen, um Schuld auszuräumen und einen Neuanfang unter uns Menschen zu ermöglichen. Im Übrigen opferte Gott, wenn er, wie wir glauben, in Jesus selbst Mensch geworden ist, nicht irgendeinen unschuldigen Dritten, sondern sich selbst, um anderen Frieden zu ermöglichen.

 

Äußert sich in dem Opfer, das Jesus bringt, nicht auch eine gewisse Machtlosigkeit Gottes?

Lüke: Ja, Gott, der Unendliche, begibt sich in den Horizont unseres endlichen Begreifens, damit wir überhaupt eine Ahnung von Gott bekommen können. Gott macht sich greifbar und angreifbar als Mensch; seine Allmacht wird zu menschlicher Ohnmacht. Gott entmachtet sich in Jesus, setzt sich den Menschen aus, setzt sich und seine Menschlichkeit als Mensch ein, setzt sich selbst aufs Spiel zu unserem Heil.

 

Was sagen Sie Menschen, die sich mit dieser Deutung schwertun?

Lüke: Der Kreuzestod Jesu ist Ausdruck einer bis ins Letzte gehenden Solidarität Gottes mit allen Geschundenen, Leidenden, Entrechteten oder Sterbenden. Der macht sich keinen schlanken Fuß und fährt im Slalom an Leid, Not und Tod vorbei. Der menschliche Gott durchsteht auch das Schlimmste mit uns Menschen, und er hilft uns so, es mit Menschlichkeit zu überstehen und auch zu bestehen.

 

Die Botschaft der Auferstehung ist „Gott setzt den zu Unrecht Gekreuzigten
ins Recht“. Was ist damit gemeint?

Lüke: Die Auferstehung ist auch der Akt einer letzten ausgleichenden Gerechtigkeit, damit nicht das unschuldige Opfer und sein brutaler Mörder unter demselben gleichmacherischen Rasen unterschieds- und konsequenzlos entsorgt werden. Das wäre ja die Perpetuierung des Unrechts. Der Gott des Lebens ist letztinstanzlich der rettende Richter und der richtende Retter.

 

Wenn Sie als Seelsorger mit todkranken Menschen über die Osterbotschaft sprechen, fühlen sie sich getröstet? Was ist deren Vorstellung vom Leben nach dem Tod?

Lüke: Manchmal geht von der vertrauensvollen Gelassenheit eines Sterbenden mehr Trost aus als von dem, was – umgekehrt – ich ihm geben kann. Ich glaube, wir haben hier unter den limitierenden Bedingungen von Raum und Zeit nur eine vage Ahnung von dem, was jenseits des Todes kommt. Ich vergleiche unsere Situation manchmal mit Embryonen im Mutterleib, die ja auch schon – vom Entwicklungsstand abhängig – Licht durch die Bauchdecke, die mütterliche Stimme, taktile Reize von außen, Wohlgefühl und Stress wahrnehmen können, also eine vage Ahnung von dem haben, was jenseits des Horizonts ihrer Welt ist. Und das, was ihnen, wenn sie darüber Auskunft geben könnten, wie der dramatische Abbruch ihrer Existenz vorkommen müsste, die Geburt als Verlust dieser Geborgenheit, ist in Wirklichkeit der Übergang in eine weitere, reichhaltigere Dimension von Leben.

Nicht als Exitus, sondern als Exodus, also Durchgang zum Leben in einer neuen Dimension, erscheint mir das Sterben. Ich selbst bin als Krankenhauspfarrer allenfalls Hebamme bei diesem Durchgang zur Lebensfülle, auf die ich für die Sterbenden und für mich selbst hoffe.

 

Welche Rolle spielt es, dass Frauen die ersten Zeuginnen am Grab sind?

Lüke: Dass die Frauen die ersten Zeuginnen sind, denen man zuerst auch nicht glauben will. Das wertet sie in der antiken und jüdisch-patriarchalen Gesellschaft auf. Maria von Magdala gehörte zu diesen ersten Frauen. Mit ihren tränenblinden Augen hat sie den Auferstandenen nicht gleich erkannt, aber er spricht sie mit Namen an. Und dass Maria von Magdala auch durch Papst Franziskus den Titel „apostola apostolorum“, die Apostolin der Apostel, erhalten hat, müsste in dieser patriarchalen Kirche, in der sich Bischöfe als Nachfolger der Apostel verstehen, auch die (heils-)logische Konsequenz haben, dass auch Frauen nicht nur Priester, sondern sogar Bischöfe werden können.

Gott offenbart sich scheinbar bevorzugt den Kleinen, die gesellschaftlich wenig Geltung haben, zuerst: Bei seiner Geburt sind die Hirten auf dem Feld und bei seiner Auferstehung die Frauen die ersten Zeugen. Auch wir dürfen uns beim Namen rufen und ansprechen lassen vom Auferstandenen. Und wenn man uns hier die Augen im Tod zudrückt, dann werden sie uns dort längst auf- und übergegangen sein angesichts der Lebensfülle, die Gott uns erschließt.