Gott liebt und segnet alle

Am Beispiel der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zeigt sich Reformbedarf der Sexualmoral

Gleichgeschlechtliche Liebe steht genauso unter dem Segen Gottes wie heterosexuelle. Dies besagen die meisten Reaktionen auf eine anderslautende römische Note. So betont das Pastoralteam der Aachener Pfarrei Franziska von Aachen auf ihrer Website, man stehe weiterhin an der Seite aller Menschen. (c) Andrea Bellucci/unsplash
Gleichgeschlechtliche Liebe steht genauso unter dem Segen Gottes wie heterosexuelle. Dies besagen die meisten Reaktionen auf eine anderslautende römische Note. So betont das Pastoralteam der Aachener Pfarrei Franziska von Aachen auf ihrer Website, man stehe weiterhin an der Seite aller Menschen.
Datum:
23. März 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2021 | Thomas Hohenschue

Für die meisten Menschen in Deutschland ist die katholische Sexualmoral kein Maßstab mehr, um sich sittlich in Fragen der Sexualität zu orientieren. Und doch hat das römische Verbot der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften tiefe Wunden sichtbar gemacht, die das rigide, starre Recht in Gesellschaft und Gemeinschaft geschlagen hat. Die Empörung ebbt kaum ab, viele erklären ihre Bereitschaft auszutreten, Seelsorger und Bischöfe widersprechen öffentlich, üben pastoralen Ungehorsam.

Eine Situation, die auch im Bistum Aachen eingetreten ist. Vielerorts hängen Pfarreien regenbogene Fahnen an ihre Kirchen, tragen Priester regenbogene Stolas, setzen Gläubige und Seelsorger Zeichen der Solidarität. Unzählige Menschen äußern in den sozialen Medien ihr Erschrecken und Entsetzen, ihren Zorn und auch Ekel über die unbarmherzige Haltung der römischen Kirche in Fragen von Partnerschaft und Sexualität. Die Empörung ist umso größer, als immer offensichtlicher wird, dass die überkommene Sexualmoral keinesfalls die Kirche davor schützte, selbst sündig zu werden. Im Gegenteil sagen Wissenschaftler, dass die verdruckste und verquere Lehre selbst ein Faktor ist, der sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche maßgeblich förderte. Dass sich nun diese der fortgesetzten Verbrechen und ihrer Vertuschung überführte Institution anmaßt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften weiterhin als Ort der Sünde zu markieren, lässt bei den meisten Menschen das Fass überlaufen.

Der Tragweite des Geschehens angemessen, beeilten sich etliche Bischöfe und andere Repräsentanten des kirchlichen Lebens in Deutschland, Position zu beziehen. Am schnellsten waren die, welche die römische Note begrüßten, kaum eine Handvoll waren es. Seitdem aber hören die Protestmeldungen, Ein- und Widersprüche nicht mehr auf. Credo: Was wir da aus Rom vernehmen, ist nicht unser Verständnis von Liebe und Partnerschaft. Wir wertschätzen alle Form von Paarbeziehungen und missachten keine Form verantworteter Sexualität.

Beispielhaft der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen. Dessen Vorstand teilte bundesweit zitiert mit: „Gott liebt und segnet alle Menschen. Wenn Menschen ihre von Liebe und Verantwortung getragene Partnerschaft unter Gottes Segen stellen wollen, kann die Kirche den Segen nicht verweigern.“ Und er ergänzte: „Wir halten es für eine unabdingbare bischöfliche Pflicht, mit einer Zurückweisung der lehramtlichen Note Schaden von den Menschen abzuwenden und die Selbstbeschädigung des kirchlichen Lehramtes aufzuhalten.“

Zu den entschiedensten Fürsprechern einer Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral gehört auf bischöflicher Seite der Aachener Bischof Helmut Dieser. Er engagiert sich mit Birgit Mock in der Leitung des Synodalforums „Leben in gelingenden Beziehungen“, in dem es genau um eine solche Reform geht. Helmut Dieser begreift dieses Ringen um eine neue katholische Sicht auf Beziehung und Sexualität als zentrale Zukunftsfrage. Entsprechend wenig Verständnis zeigte er für die römische Note. Hier hätte die Glaubenskongregation versucht, einen Blattschuss auf den deutschen Verständigungsprozess zu setzen. Aber, so verdeutlichte der Aachener Bischof: Der Schuss werde den eröffneten kollegialen und synodalen Diskurs nicht erlegen.


Eine wichtige Zumutung, die Morallehre auf einen aktuellen Stand zu heben

Die Sexualmoral müsse sich verheutigen, Sexualität neu bewertet werden, sagte seine Mitstreiterin Birgit Mock. Sie brachten gemeinsam ihre Sicht bei einer Tagung ein, die ein Bündnis kirchlicher Organisationen und Institutionen im Bistum Aachen organisiert hatte. In nahezu prophetischer Vorassicht hatten die Veranstalter die Online-Tagung programmatisch betitelt: „Kirche und Sexualität – eine gestörte Beziehung“. Als hätte es noch einen Beleg dafür gebraucht, verlieh die römische Intervention der Online-Tagung eine ungeahnte Aktualität und kirchenpolitische Brisanz.

Der Bonner Moraltheologe Joachim Sautermeister arbeitete die Knackpunkte heraus, an denen die kirchliche Beziehung zur Sexualität immer stärker leide. Die tradierte Sexualmoral hebe zu stark auf die Dimension der Weitergabe des Lebens ab, auf die Fortpflanzung. Sie missachte so die anderen Dimensionen von Sexualität, etwa in ihrer Bedeutung für die persönliche Identität und Vitalität sowie für die Qualität und Tiefe der Paarbeziehung. Und sie sei zudem auf eine heterosexuelle Sicht verengt.

Dabei lasse das Lehramt außer Acht, was die Humanwissenschaften an Erkenntnissen beigesteuert habe, sagte Sautermeister. Es sei eben keine Frage der Wahl und der Moral, wie sich ein Mensch sexuell orientiert, sondern diese Orientierung sei faktisch einem Menschen als Veranlagung mitgegeben. Diese Erkenntnis nehme immer stärker Einfluss auf unser Zusammenleben und unsere staatlichen Gesetze. Nur die Kirche tue fälschlicherweise noch so, als könnte und als müsste sie die sexuelle Orientierung über ihre sakramentale, rituelle und pastorale Praxis steuern.

Bischof Dieser bekräftigte seinen Willen, zu einer Morallehre zu kommen, die humanwissenschaftliche Erkenntnisse integriere. Es brauche diese Zumutung und Anstrengung, um das Evangelium in Deutschland und Europa neu zu inkulturieren, griff er ein zentrales Anliegen von Papst Franziskus auf. Birgit Mock verstärkte diese Absicht mit dem Hinweis, dass die Glaubwürdigkeit und Relevanz der Kirche massiv zusammenbrechen und daher für Korrekturen nur noch wenig Zeit bleibe. „Wir können nicht stehenbleiben“, bekräftigte Bischof Dieser den Willen zu substanziellen Verbesserungen.