In den traditionellen Krippendarstellungen gehören sie fest zum Inventar: der Ochse und der Esel, die stillen Zeugen der Geburt Christi im Stall zu Betlehem. Doch weder das Lukasevangelium noch das Matthäusevangelium erwähnen sie. Wie also kommen diese beiden Tiere in die Krippe? Die KirchenZeitung sucht Antworten mit dem Theologen Ulrich Lüke aus Münster.
Wie kommen Ochs und Esel in die Krippe?
Ochs und Esel wurden mit einem „schriftlichen Viehtransport“ aus dem Alten Testament unter Umgehung des Neuen Testaments in die Krippenszene verbracht. Die erste Krippe gibt es wohl seit der Zeit des heiligen Franziskus, der so etwas 1223 im Wald von Greccio inszeniert hat.
Das Neue Testament erzählt wohl von Hirten bei ihren Herden. Dabei wird es sich vermutlich um Schafe oder Ziegen gehandelt haben, die daher ja auch in einer „anständigen Krippenlandschaft“ ihren Platz finden. Das Neue Testament berichtet hingegen nichts von Ochs und Esel, wohl aber das Alte Testament im Buch des Propheten Jesaja (Jes 1,3). Da heißt es: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“ Das Volk Gottes ist in der Erkenntnis Gottes, seines Herrn, oft dümmer als das Vieh, zumindest stellt es sich so an, sagt der Prophet Jesaja seinem Volk damals und auch uns heute.
Wie kam die theologische Brücke zur Textstelle im Buch Jesaja zustande und wie etablierte sich die Vorstellung im Christentum? Wie wurde sie weiter ausgebildet?
Möglicherweise war das Stichwort „Krippe“ bei Jesaja der Zündfunke für die Idee, an die Krippe, von der ja das Neue Testament als dem Geburtsort Jesu berichtet, den alttestamentlichen Esel zu platzieren und mit ihm den Ochsen, der wenigstens weiß, wer sein Herr ist. So stehen Ochs und Esel gewissermaßen als Mahnwache gegen die Blindheit des Gottesvolkes in der Krippenszene. Sie sagen uns: „Begreif endlich, hier in diesem Viehtrog liegt – als Wickelkind – dein Herr. Er ist der Herr der Welt. Es wäre schlimmer als eine Eselei, das nicht zu erahnen. Und sei nicht noch dämlicher als der Hornochse, der seinen Besitzer kennt. Gott selbst wird da Mensch, wo es Hornochsen, Esel und Schafsköpfe gibt und auch Unschuldslämmer, die nichts als Bockmist hinterlassen.“
Die Bibel greift oft auf Vergleiche mit Naturphänomenen und Tieren zurück, um menschliche Eigenschaften zu beschreiben. Auch Jesus tut das oft. Warum?
Die Menschen dadurch über sich selbst zu belehren, dass man ihnen Fabeln erzählt, in denen Tiere für menschliche Verhaltenseigenschaften stehen, das kannte man schon seit Aesop, dem griechischen Fabeldichter aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert. Dass Esel störrisch sein können, das erlebten die Zeitgenossen Jesu Tag für Tag; denn der Esel war ja das „Lastenfahrrad“ der Antike, mit dem man mehr oder weniger gut sich selbst und seine Waren oder Ernteerträge transportieren konnte. Und dass Ochsen begriffsstutzig sein können, auch das erlebten die Zeitgenossen Jesu Tag für Tag; denn der Ochse war der „Traktor“ der Antike, mit dem man den Pflug durch die harte, oft trockene Erde ziehen oder den Drehbrunnen betreiben konnte. Wenn selbst diese Viecher in der Krippe den Herrn erkennen, dann sollten wir nicht noch störrischer als der Esel und nicht noch begriffsstutziger als der Ochse sein.
Modernen Menschen erscheinen diese Zugänge oft fremd. Wie können wir das heute zeitgemäßer interpretieren?
Ich würde diese uralten kraftvollen Bilder nicht durch neue zu ersetzen versuchen, die möglicherweise nur eine geringere Aussagedichte und eine kürzere Lebenszeit aufweisen. Die Viecher bleiben uns, wenn wir sie nicht ausrotten. Ob Computer, Smartphones und anderes heute zeitgemäßes Gerümpel in hundert Jahren noch irgendeine bildhafte Aussagekraft hat, scheint mir höchst fraglich. Mir sagen die alten Bilder unendlich viel: Gott wird selbst und gerade da Mensch, wo es Menschen gibt, die wie Viecher behandelt werden, und andere, die sich so benehmen, dass ihre moralische Viecherei zum Himmel schreit und stinkt. Er landet beim Vieh in einem Trog – wie der Welt zum Fraß hingeworfen. Und in seinem späteren Leben sind es ja nicht wenige, die ihn am Liebsten gefressen hätten. Und die geradezu viehisch-brutale Inszenierung seiner Hinrichtung am Kreuz beendet, was mit seiner Geburt beim Vieh begann.
Unser Gott ist ein ziemlich heruntergekommener Gott, nämlich herunter gekommen bis auf den Boden irdischer Tatsachen. Die Krippe (und die teils etwas legendäre Viecherei drumherum) ist ein anschauliches Kapitel christlicher Gotteslehre, ist tief geerdete Theologie und himmelweit geöffnete Anthropologie. An Weihnachten wird der Anthropologie eine Sehnsucht nach dem Himmel und der Theologie die Liebe zur Erde eingepflanzt. Der Gott des Himmels bekundet seine Liebe zur Erde mit allem, was darauf „kreucht und fleucht“, damit der Mensch der Erde seine Liebe zum Himmel entdecke und darin Erfüllung seiner Sehnsucht finde.
Das Gespräch führte Kathrin Albrecht.