Gold- und Silberglanz in Düren

Die historische Goldschmiedekunst und ihr Erbe in Kirchen

Der Gekreuzigte auf dem Deckel des Ziboriums (Detail der Hostienmonstranz von 1815). (c) Andreas Drouve
Der Gekreuzigte auf dem Deckel des Ziboriums (Detail der Hostienmonstranz von 1815).
Datum:
23. März 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2022 | Andreas Drouve

Welch eine sagenhafte, detailverliebte Fülle von Gold- und Silberarbeiten! Da zieren Blüten, Akanthusblätter und Engelsköpfe ein Ziborium der Binsfelder Kirche St. Gertrud. Da ist der Deckel des Weinkännchens der Gürzenicher Kirche St. Johannes mit einer auf Weinlaub liegenden Traube versehen, jener des Wasserkännchens mit einem Springbrunnen en miniature. Da schlägt auf einer Hostienmonstranz der Kirche St. Martin Drove ein Engel neben dem heiligen Martin zwei Kesselpauken, während ein anderer Engel Trompete bläst. 

Schätze wie diese gehen auf Dürener Goldschmiede zurück, die ein halbes Jahrtausend lang aktiv waren: vom Spätmittelalter, also der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als das Kunsthandwerk auslief. Früher als in anderen Städten des Rheinlands wurden die Erzeugnisse aus Düren „spätestens seit 1546“, wie Hans J. Domsta in seinem Grundlagenwerk „Dürener Silber“ (vgl. Buchbesprechung) schreibt, mit Garantiezeichen versehen, nämlich dem Meisterzeichen und dem Beschauzeichen der Stadt.

Obgleich ihre Zahl recht klein war und selten mehr als drei Meister gleichzeitig ihr Auskommen fanden, brauchten sich die Dürener Goldschmiede hinter nichts und niemandem zu verstecken. Sie belieferten Kirchen und Klöster der Stadt und des Umlands mit liturgischem Gerät; die Verbreitungsgebiete ihrer Geschäfte reichten bis in die Eifel und an den Niederrhein. Darüber hinaus kauften gut situierte Bürger und Adelige Tafelsilber, während Schützengesellschaften Ketten mit silbernen Vögeln und Schilde für ihre Könige orderten. Dass im Laufe der Geschichte viele Schätze verschwanden, steht auf einem anderen Blatt: ob durch die französische Besatzung, Kriegswirren, Diebstähle oder anderweitig. So schenkte man einen historischen Kelch des Kirchenschatzes von Pier einem südamerikanischen Geistlichen, während eine alte Monstranz aus Arnoldsweiler als Präsent an einen Bischof aus Rom ging. Unter diesen Vorzeichen ist es ein Glücksfall, dass sich von einem der frühesten Dürener Goldschmiede, dem 1568 verstorbenen Hans Jungh, zumindest fünf Arbeiten über die Zeiten gerettet haben. Die wichtigste und mit dem Meisterzeichen versehene ist der sogenannte Dürboslarer Kelch aus vergoldetem Silber.

Baldachine mit musizierenden Engeln  

Eine der beiden hängenden Hildesheimer Sedisvakanzmedaillen der Hostienmonstranz von 1815. (c) Andreas Drouve
Eine der beiden hängenden Hildesheimer Sedisvakanzmedaillen der Hostienmonstranz von 1815.

Laut Buchautor Domsta haben sich in den Kirchen der Dürener Innenstadt aus der Zeit vor 1802 lediglich fünf Stücke von lokalen Goldschmieden erhalten, darunter ein Abendmahlskelch in der evangelischen Christuskirche und ein silberner Christuskorpus in der Annakirche. Dieser wurde 1739 von den Dürener Jesuiten bei Bernhard Arnold Müller in Auftrag gegeben. Ein weiterer Schatz der Annakirche ist eine silberne Reliquienmonstranz zu Ehren von Sankt Martin. Dafür zeichnete Ende des 18. Jahrhunderts Gottfried Wolfgang Reuter verantwortlich, der sein Werk mit einem Strahlenkranz versah. Zugeschrieben werden Reuter auch zwei Reliquienmonstranzen der Oberzierer Kirche St. Martin.

Besonders kunstvoll gestaltete Reuter 1815 eine Hostienmonstranz für die Kirche St. Gangolf in Soller: mit einem Lamm Gottes, der gekrönten Maria, einem Glaszylinder zwischen vier gedrehten Säulen, Kirchenpatron Gangolf mit Lanze und Schild sowie Baldachinen mit musizierenden Engeln darauf; unter Maria und Gangolf hängen zwei Hildesheimer Sedisvakanzmedaillen. Die Kirche von Soller nennt überdies ein Ziborium von Reuter sowie ein ihm zugeschriebenes winziges Ölgefäß ihr eigen. Dem Deckel des Ziboriums sitzt ein Gekreuzigter auf, die Dekors aus Blatt- und Blütengehängen reichen bis an den Fuß des Kelches hinab.

Letzte Höhepunkte im Schaffen der Dürener Goldschmiede setzte Johann Peter Arning (1829–1881) mit Hostienmonstranzen, die sich in der Kirche St. Michael Echtz und im Niederauer Marienkloster der Cellitinnen befinden.

Voluminöses Standardwerk

(c) Verlag Schnell und Steiner

Von Andreas Drouve

Es ist ein buchstäblich starkes Stück, das Hans J. Domsta, der vormalige Leiter des Stadt- und Kreisarchivs Düren, vorgelegt hat: ein fünf Kilo schwerer Doppelband mit einem Umfang von insgesamt 1040 Seiten. Titel und Untertitel lauten: „Dürener Silber. Die Dürener Goldschmiede und ihre Werke vom späten Mittelalter bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts“.

Über Jahrzehnte hinweg hat Domsta Forschungsmaterial zusammengetragen, sich über Kirchen, Privatsammlungen und Schützengesellschaften ins Thema vertieft. Herausgekommen ist ein Standardwerk zu einem halben Jahrtausend Goldschmiedekunst in Düren. In chronologi- scher Folge führt Domsta 145 Goldschmiede mit ihren Werken auf, darunter Kelche, Ziborien, Ölgefäße, Weihrauchfässer, Reliquien- und Hostienmonstranzen.

Herausragend ist die Bebilderung. Über 2300 Schwarzweiß- und Farbfotos begleiten die kenntnisreichen Texte. Die Bilder gehen bis ins Detail von floraler und figürlicher Zier der Objekte. Die wenigsten der abfotografierten und beschriebenen Stücke sind allerdings öffentlich ausgestellt: entweder weil sie ohnehin in Privatbesitz sind oder aus berechtigter Furcht vor Diebstahl unter Verschluss gehalten werden.

Ein Verdienst des Verfassers liegt gleichwohl darin, die Blicke für die Schätze in der Heimat geschärft zu haben, denn: Sollte das ein oder andere Stück bei Gottesdiensten oder feierlichen Anlässen hervorgeholt werden, wird man es mit ganz anderen Augen sehen als bisher.

Hans J. Domsta: Dürener Silber (2 Bde.), 1044 Seiten, 2338 s/w- und Farbabb., 21 x 28 cm, Hardcover, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2021; Preis: 99,– Euro