Wie wächst ein Tier auf, dessen Fleisch im Laden das Label „Bio“ trägt? Was trägt zu einer nachhaltigen Produktion bei? Und leben die Tiere wirklich besser? Ein Besuch auf dem Stautenhof in Willich-Anrath. Hier wächst „Frieda“ auf, das Ferkel, dessen Leben wir von der Geburt bis zur Schlachtung begleiten.
Dass sich ein Fremdferkel unter ihre Kinderschar gemischt hat, macht der Sau offenbar nichts aus. Wenn man zwölf Kinder hat, kommt es auf eines mehr oder weniger auch nicht an. So drängeln sich 13 Mini-Schweine rund um das Muttertier und versuchen, einen Platz an den Zitzen zu bekommen. Mittendrin „Frieda“, die mit ihren Geschwistern rangelt. „Frieda“ hat die Hauptrolle im Projekt „Schwein haben“ des KAB-Diözesanverbands Aachen und der Katholikenräte der Regionen Heinsberg und Mönchengladbach. Noch weiß das kleine Ferkel nichts von seinem Schicksal und genießt sein Schweineleben auf dem Stautenhof in Willich-Anrath, wo es geboren wurde und wo es in gut sieben Monaten auch sterben wird.
Wer zum Stautenhof fährt, bekommt direkt romantische Gefühle vom Landleben. Gleich links von der Einfahrt kann man die Schweine sehen. Die Abferkelstation ist ganz vorne. Hier wuseln viele niedliche kleine Schweinchen umher, knabbern an den Eisenstangen der Zäune, schnüffeln über den Boden oder balgen sich mit anderen Ferkeln. Für das ungeübte Auge ist es ein großes Durcheinander. Für das Profiauge von Leonie Dreehsen aber hat hier alles seine Ordnung.
Dreehsen ist die Schweinefachfrau auf dem Stautenhof. Sie kümmert sich um die Tiere, die besamt werden sollen, und um die Sauen, die entweder kurz vorm Werfen stehen oder ihren Nachwuchs schon haben. Ein glückliches Leben wünschen sich viele Verbraucher für die Tiere, die als Kotelett, Wurst oder Schinken auf ihren Tellern landen. Der Wunsch nach Bio steht dem realen Konsumverhalten gegenüber: Nur ein Prozent der Fleischproduktion stammt von Biohöfen. Das liegt zum einen an den Preisen: Biofleisch ist wesentlich teurer als Fleisch aus konventioneller Produktion. Warum das so ist, kann man hier auf dem Stautenhof nachvollziehen.
Egal, ob Schwein, Rind, Pute, Huhn, Esel oder Ziege: Zwei- und Vierbeiner dürfen sich hier frei bewegen. Kein Tier ist fixiert. Jedes darf wühlen, scharren und hin und her laufen, wie es seinem Naturell entspricht. Das gilt vor allem für die Muttersauen, die für das Abferkeln einen speziellen Stall mit Buchten haben. „Jede Sau kann sich die Bucht selbst aussuchen“, sagt Dreehsen. Sobald sich das Tier für eine Bucht entschieden hat und das Stroh darin zu einem Nest schichtet, wird die Bucht geschlossen. So hat das Muttertier seine Ruhe.
Zwei Wochen bleibt die Sau mit ihren Ferkeln allein in der Bucht. Zum einen, weil hier alle ihre Ruhe haben, zum andere, weil die Ferkel ihr Immunsystem durch die Muttermilch stärken. Die Bucht ist so eingerichtet, dass sich das Muttertier darin frei bewegen kann. Gleichzeitig gibt es eine Schutzvorrichtung, die die Ferkel vor dem Erdrücken schützt, wenn sich das Muttertier hinlegt. Säugende Sauen werden morgens und abends in einem Extrabereich gefüttert. Das hat den Vorteil, dass die Mitarbeitenden des Stautenhofs die Tiere jeden Tag in Augenschein nehmen können, ob alles in Ordnung ist.
Dass „Frieda“ zehn Geschwister hat, ist auch auf dem Stautenhof nichts Ungewöhnliches. „Friedas“ Vater ist ein Duroc, die Mutter gehört zur Schweizer Landrasse. „Die Landrasse wirft immer elf bis zwölf Ferkel. Duroc gibt ein gutes Fleisch“, erklärt Dreehsen die Kombination. Und hier kommen wir auch schon an einen Punkt, an dem die Idylle auf dem Biohof nicht mehr ganz so idyllisch ist. Im Schnitt ist eine Sau hier 2,6 Mal pro Jahr tragend. Wenn ihre Ferkel groß genug sind, dass sie in den Vormaststall umziehen können, geht das Muttertier wieder in das Deckzentrum. Wenn es nicht mehr genug Ferkel wirft oder gar nicht mehr trägt, wartet der Schlachter.
Auch auf einem Biohof wachsen die Tiere, um geschlachtet zu werden. Anders als in der konventionellen Landwirtschaft aber wird in der hauseigenen Metzgerei nicht in Massen geschlachtet, sondern ausschließlich für den eigenen Verkauf: Bei den Rindern sind das zum Beispiel pro Woche ein bis zwei Tiere. Bis dahin aber leben die Tiere „glücklich“: Im Vergleich zu konventioneller Tierhaltung haben sie mehr Platz, bekommen natürliches Futter und frische Luft – im Sommer auf den Weiden und im Winter in offenen Ställen. Das erfordert mehr Einsatz der Landwirte, die Tiere wachsen langsamer bis zur Schlachtreife. Das spiegelt sich im höheren Preis für Biofleisch wider.