Revolution oder Exodus?“, so bewusst provokant hatte der Initiativkreis „St. Marien aktiv“ seine Podiumsdiskussion zur Zukunft der Kirche vor Ort überschrieben. Viele Leute spürten diese Zuspitzung („Es muss sich etwas ändern, sonst gehen wir“), wie KiZ-Chefredakteur und Moderator Thomas Hohenschue, unterstrich. So trat auch im Pfarrsaal von St. Marien die Frage, wie es dennoch gelingt, heute gemeinsam Kirche zu sein, ein wenig zurück hinter der nach Hierarchie und der Rolle der Frauen in Kirche.
Auf die Suche nach Antworten macht sich in unserem Bistum unter anderem der Prozess „Heute bei dir“. Gleich zwei Gäste auf dem Podium hatten dazu etwas sagen sollen, doch Pfarrer Thorsten Aymanns, Mitglied der Lenkungsgruppe und zweiter stellvertretender Generalvikar, hatte erkrankt passen müssen. So fiel dieser Part Hannokarl Weishaupt zu, Pfarrer in der Pfarrei „Heilig Geist“ in Eschweiler (zu der auch St. Marien gehört) und Regionalvikar in Aachen-Land.
Die Fragen, vor denen Kirche aktuell stehe, seien nicht neu. Seit 30 Jahren sei das Bistum Aachen da dran, doch weder der Weggemeinschaften-Hirtenbrief noch die Bistumstage hätten bislang so richtig gegriffen. So sei die Frage, wie sich die Botschaft Jesu und der Glaube weitertragen lassen, heute drängender denn je, der Veränderungsprozess ein neuer Versuch, dazu mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
„Es ist wichtig, auf das Wesentliche zu schauen, dass wir eine evangelisierende und sympathische Kirche werden“, erklärte Hannokarl Weishaupt. Um das zu erreichen, müsste über bestimmte Themen intensiv gesprochen werden: Was erwarten, was wünschen sich junge Menschen von Kirche? Da müsse es dann zum Beispiel um Partnerschaft und Sexualität gehen. Die Sexualmoral der Kirche spiele für sie keine Rolle mehr, weshalb diese neue Antworten brauche, wie sich Sexualität verantwortlich leben lasse.
Wie kann es gelingen, die Charismen von Menschen in Kirche zu nutzen? Angesichts immer weniger (und älter) werdender Hauptamtlicher und mit Blick auf eine gerechtere Teilhabe aller Getauften, beinhaltet das auch die Frage, wie Gemeindeleitung in Zukunft aussehen kann. Die nur auf den Pfarrer hin zu denken, werde nicht funktionieren. Weishaupt macht dies am Beispiel Eschweiler deutlich, wo es mittelfristig nur noch Pfarrer Michael Datené und ihn geben werde. Neues Denken und neue Modelle seien nötig, auch mit Blick auf die Diskussion über Frauen in Ämtern und im Dienst in Kirche. Bislang entscheide der Pfarrer fast alles, dafür müssten neue Entscheidungswege gefunden werden. „Macht und Gewaltenteilung müssen auf die Tagesordnung.“
Wichtig ist für ihn auch der interreligiöse Dialog, zum Beispiel mit dem Judentum, „unseren älteren Geschwistern“, da müsse drauf geschaut werden. Kirche müsse auch politisch sein. „Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, dann hat das Auswirkungen. Da muss Kirche deutlicher werden.“
Herauszufinden, was der richtige Weg für unsere Kirche sei, sei eine Herausforderung und spannend. „Der Heilige Geist wirkt und wird Wege weisen. Er verändert, dauert das manchmal auch lange“, erklärt er mit Überzeugung und einem Lächeln. Wie es konkret im Bistum Aachen und bei „Heute bei dir“ weitergeht, sei noch etwas unklar, aber das Reden sei nun beendet, Handlungsperspektiven formuliert und bis Ostern werde die Lenkungsgruppe nun überlegen, wie es weitergeht. „Ein kluger Bischof würde ja nie gegen die große Mehrheit entscheiden“, ist Hannokarl Weishaupt zuversichtlich.
Wie lassen sich Menschen erreichen und für Kirche begeistern? Wie funktioniert lebendige Gemeinde vor Ort? Fragen, die nicht rein katholisch sind, sondern auch die evangelische Kirche umtreiben. Weshalb Pfarrer Armin Drack, Leiter der evangelischen Innenstadtgemeinden in Aachen und Mitglied der Ökumenekommission, gerade gespannt auf das schaut, was sich in der katholischen Kirche und im Bistum Aachen tut. Besonders unter der Überschrift „synodal“. Die ja von ihnen „geklaut“ sei. Das Besondere bei ihnen sei, dass Theologen in allen Gremien in der Minderheit sein müssten und daher jederzeit vom „Volk Gottes“ überstimmt werden könnten. Insofern verstehe die katholischen Kirche Synodalität anders. Aus ihrer evangelischer Sicht sei das „Etikettenschwindel“ und der Synodale Weg eine „Bischofskonferenz mit Beratern von außen“. Es dürften zwar alle mitdiskutieren, aber am Ende entscheide der Bischof/Papst.
Auch zu „Gemeindeleben gestalten“ bot Armin Drack einen Blick über den glaubensgeschwisterlichen Tellerrand. Sie hätten sich in ihren Gemeinden davon verabschiedet, überall alles anzubieten. Stattdessen fragten sie: „Was willst du machen? – Dann mach!“ und stellten dafür begleitendes Personal, Raum und Geld zur Verfügung. Regelmäßig erscheine ein „Börsenbrief“ mit allen Angeboten, aus denen die Gemeindemitglieder auswählen könnten. Fest in priesterlicher Hand sei alles, „was mit Glaube und Glaubens-Basics“ zu tun hat, weil es einfacher sei, nicht weil sie das als Pfarrer ausdrücklich so wollten.
An den Frauen führt derzeit in der Diskussion um die Zukunft von Kirche wenig vorbei, mag man nun ein Fan von „Maria 2.0“ sein oder nicht. Die MHG-Studie und die damit verbundene Auseinandersetzung mit den Hierarchien in Kirche, die den Missbrauch begünstigt haben, hat die Frage nach einer geschlechtergerechten Kirche neu befördert. Auch hierüber werde schon lange innerhalb der Kirche gestritten, wie Marie-Theres Jung, Diözesanvorsitzende der KFD und der einzige Laie auf dem Podium, deutlich machte. Die aktuelle Entwicklung habe viele Frauen bestätigt, „da müssen wir ran“, Machtstrukturen und Hierarchien aufbrechen. Dabei geht es den Frauen nicht alleine um das Priesteramt, sondern um alle Dienste und Ämter in Kirche, die immer noch männlich besetzt werden. Für viele sei das so desillusionierend, dass sie sich zurückzögen.
„Es braucht gar keine Revolution, sondern ein Umdenken von dem, was in den Köpfen drin ist an hierarchischem Denken.“ Als kleines Beispiel verwies Marie-Theres Jung dazu auf die Einladung für den Abend: „Erst die Pfarrer, dann die Frau“. Das zeige, wie tief dieses Denken noch verwurzelt ist und unbewusst angewendet wird. Seit 40 Jahren forderten die Frauen in ihrem Verband das Diakonat der Frau. Eine theologische Erklärung, warum das nicht gehe, fehle immer noch. Das sei eine kirchenrechtliche Frage, die von Männern entschieden werde.
Immer wieder kam auch das Publikum zu Wort, sei es mit konkreten Nachfragen zum besseren Verständnis der ein oder anderen Ausführung, sei es als eigenständige Diskussionsbeiträge. Was in ihrer Kirche aktuell geschieht, welche Konsequenzen das hat und wie die Zukunft aussehen und von allen Gläubigen mitgestaltet werden kann, das bewegt Christen. Sie mögen zwar immer weniger werden, doch für alle, die sich immer noch interessieren und engagieren, sind Kirche und Glaube ein Herzensanliegen.
Evangelisierende Kirche sein, wie geht das? Indem, wer an Gott glaubt, seine ganz persönlichen Glaubens- und Gotteserfahrungen teile und sie weitergebe, wie ein Zuhörer erklärte. Die Bibel sei das eine, der lebendige Glaube, dessen Beispiel ansteckend sei, das andere. Eine Kirche, die glaubhaft sei, sei auch für junge Menschen atraktiv, so eine weitere Wortmeldung. Das beinhalte auch, nicht das eine zu sagen und dann das andere zu tun. Zum Beispiel „Nehmet und esset/trinket alle daraus“.
Immer wieder ging es bei den Publikumsbeiträgen um Hierarchie- bzw. Amtsverständnis und um Beteiligung, nicht nur, aber besonders auch der Frauen. Ob es nicht klüger sei, es mit kleinen Schritten zu versuchen, nach dem Prinzip „Steter Tropfen...“, merkte eine Zuhörerin an. Dafür fehle die Zeit, seit Jahrzehnten warteten sie auf das Diakonat, sollten Frauen noch weitere 120 Jahre auf das Weiheamt warten, merkte Marie-Theres Jung an.
„Dann gibt es die Kirche, so wie sich das heute darstellt, nicht mehr.“ An historisch-biologisch schlüssigen Argumenten gegen das Weiheamt für Frauen mangelt es ebenso wie an theologischen. Das bringe nicht weiter. Ebenso wenig, wie dieses Thema weiter aufzuschieben. Es könnte, so die Ansicht auf dem Podium wie im Publikum, sonst eine Zerreißprobe für Kirche sein, die sie nicht besteht. Auch Nicht-Handeln sei eine Entscheidung, wie eine Zuhörerin erklärte, gegen Menschen und gegen Frauen.
Alle die, die sich mit der katholischen Kirche an diesem und anderen Punkten schwer tun, an die evangelische Kirche zu verweisen, sei auch keine Lösung, stellte Pfarrer Armin Drack klar. Für echte „in der Wolle gefärbte“ Katholiken würde seine Kirche eher fremd bleiben. Zumal sie das gleiche Problem mit dem Rückgang von Priestern hätten, obwohl ihre heiraten dürften und Frauen erlaubt seien. Viel wichtiger sei, ökumenisch voneinander zu lernen, gemeinsam auf dem Weg zu sein und sich gegenseitig zu stärken. Auch für seinen katholischen Kollegen Hannokarl Weishaupt ist das Konvertieren nicht die Antwort. „Wir müssen unsere Probleme in unserer Kirchenfamilie lösen.“
Dazu und zu anderen Themen gebe es derzeit viele verschiedene Positionen innerhalb der Kirche, erklärte er. Über die müsse miteinander gestritten und geredet werden. Wichtig sei zu reden, egal, wo man in Kirche stehe. So bot der Abend in Eschweiler nicht unbedingt Antworten, aber machte deutlich, an welchen Punkten Amtskirche und Kirchenvolk im Gespräch bleiben müssen. Exodus, das sei ja nicht nur Auszug, sondern auch Aufbruch, wie der Moderator des Abends abschließend festhielt.