Glauben kreativ

Schwester Bernade ist die Letzte ihrer Art. Sie ist Gefängnisseelsorgerin in der JVA Willich

Über das Basteln bekommen die Frauen einen Zugang zur Seelsorge. Sie schöpfen Vertrauen. (c) Ann-Katrin Roscheck
Über das Basteln bekommen die Frauen einen Zugang zur Seelsorge. Sie schöpfen Vertrauen.
Datum:
8. Dez. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 49/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Mit 78 Jahren ist Schwester Bernade als Gefängnisseelsorgerin die letzte Dominikanerin von Bethanien in Deutschland, die der alten Tradition des Ordensgründers Pater Lataste folgt. Sie ist in der JVA Willich im Einsatz.

In der Bastelgruppe entsteht eine außergewöhnliche Atmosphäre, in der sich die Teilnehmerinnen an die eigene Vergangenheit erinnern. (c) Ann-Katrin Roscheck
In der Bastelgruppe entsteht eine außergewöhnliche Atmosphäre, in der sich die Teilnehmerinnen an die eigene Vergangenheit erinnern.

Hibbelig kommt Nele (Name von der Redaktion geändert) am Dienstagnachmittag in den Bastelraum des Frauengefängnisses. Nervös knetet sie ihre Finger, während sie vor einem leeren Joghurtbecher, einem Pinsel und einigen bunten Servietten Platz nimmt. In den letzten Jahren hat sich die 36-Jährige an die dicken Stäbe vor den Fenstern gewöhnt, auch die schweren Türen machen ihr keine Angst mehr. An manchen Tagen aber nimmt die innere Unruhe doch Überhand.

Kein Wunder, denn Nele ist seit sechs Jahren in der JVA Willich II inhaftiert. Fast genauso lange kennt sie Schwester Bernade nun. Mehrmals in der Woche kommt die Dominikanerin von Bethanien aus Schwalmtal in das Frauengefängnis, um Buntstifte und Malblöcke in die Zellen auszuteilen, um mit den Frauen zu sprechen, aber auch um einen Bastelkurs zu geben. Auch Nele darf nun endlich an dem Kurs teilnehmen. Auch wenn sie vor ihrer Inhaftierung nie einen Draht zu Gott hatte, genießt sie die Nähe zur Schwester. Seit 21 Jahren wirkt Schwester Bernade in unterschiedlichen Frauengefängnissen im Ruhrgebiet und am Niederrhein. Weil die Ordensschwestern inzwischen ein hohes Alter erreicht haben, ist sie die Letzte ihrer Art.

Basteln als Türöffner für Gespräche –  kleine geschützte Insel im Gefängnisalltag 

„Ich habe schon immer gerne gebastelt, und irgendwann fragte mich Schwester Bonifatia, die inzwischen verstorben ist, ob ich nicht einen Bastelkurs in der JVA in Essen geben wolle“, erinnert sich die Schwester. „Ich lebte damals in Bergisch Gladbach und sah zu Beginn gar keinen Sinn, so eine lange Wegstrecke aufzunehmen. Schnell aber begriff ich, dass das Basteln nur ein Türöffner ist.“ Denn über das Ausschneiden von Motiven, über das Verzieren von Tassen oder über die Serviettentechnik kommen die Frauen ins Gespräch.

Wie auf einer kleinen, geschützten Insel im Gefängnisalltag erzählen sie plötzlich von Erfahrungen, von Sorgen und Ängsten. „Anders als die Therapeuten unterliege ich der Schweigepflicht. Ich muss auch keinen Bericht über die Bastelgruppe schreiben“, erklärt die Dominikanerin. „All das, was hier passiert, bleibt auch hier. Das schafft eine außergewöhnliche Atmosphäre.“ Oft beginnt ein Gespräch mit den Erinnerungen an die eigenen Kinder. Die Frauen erzählen, wie sie Laternen für die Schule gemeinsam entwarfen oder wann sie die letzte selbstgemachte Geburtstagskarte verschenkten. Darauf folgen Eingeständnisse, die mit Sehnsucht und Trauer geschwängert sind.

Die Frauen nicht zu verurteilen, gehört zum Werteverständnis von Schwester Bernade

Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Schwester Bernade in unterschiedlichen Frauengefängnissen. (c) Ann-Katrin Roscheck
Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Schwester Bernade in unterschiedlichen Frauengefängnissen.

Die meisten der Frauen sehen ihre Kinder nicht aufwachsen, sind mit Langzeithaftstrafen hier in Willich untergebracht. „Ich möchte nicht wissen, warum die Frauen hier sind“, sagt Schwester Bernade energisch. „Das gehört zu unserer Ordensphilosophie, aber auch zu meinem christlichen Werteverständnis. Das, was sie gemacht haben, spielt für mich keine Rolle.“ Die Dominikanerin glaubt daran, so schildert sie mit ruhiger Stimme, dass „da oben“ einer ist, der die Frauen nicht verurteilt. „Und wenn er es nicht tut, dann habe ich auch nicht das Recht, es zu machen“, sagt sie.

Und doch nimmt Schwester Bernade die Frauen immer wieder in Gedanken mit nach Hause. Wenn sie in das kleine rote Auto der Schwesternschaft steigt und die 45 Minuten nach Schwalmtal über die Autobahn fährt, sind ihre Gedanken bei ihnen. Oft geht sie anschließend in die Hauskapelle und schließt sie in ihre Gebete ein. Vor allem denkt sie dann an die Frauen, denen sie in Einzelgesprächen begegnet ist. Immer wieder sprechen die Gefangenen die Schwester nach der Bastelstunde auf ein Wort an. Darüber hinaus können alle Inhaftierten Seelsorge beantragen. Manchmal geht es dabei um die Sehnsucht nach der Familie, manchmal einfach darum, vom Gefängnisalltag zu erzählen, und manchmal legen die Frauen vor der Ordensschwester auch eine Art Beichte ab. „Ich könnte das ohne meinen eigenen Glauben nicht leisten“, erklärt die Dominikanerin, „aber ich bin dann am Ende doch irgendwie getragen von Gott.“

Auch für die Bediensteten, die die Akten der Frauen kennen, ist Schwester Bernade da. Ähnlich wie die Inhaftierten aber erzählen sie nicht nur von ihrem Alltag in der Haftanstalt, sondern kommen auch mit persönlichen Anliegen zur Dominikanerin. Wenn ein Familienmitglied erkrankt ist, ein lieber Mensch gestorben oder es unerfüllte Sehnsüchte in Familien gibt, hört die Schwester zu. „Ich weiß, dass das, was ich hier mache, den Menschen hilft“, erklärt sie. „Ich würde mir sehr wünschen, dass wir im Orden dafür eine Nachfolge finden. Eigentlich wollte ich ja mit 70 Jahren aufhören.“

Hätte sie das getan, hätte sie Nele nicht kennengelernt. Auch die 36-Jährige hat inzwischen Seelsorge beantragt. Aktuell besucht Schwester Bernade die junge Frau einmal im Monat in ihrer Zelle zum Gespräch. Gemeinsam mit ihr hat Nele auch zum ersten Mal gebetet. „Das ist niemals ein Muss“, erklärt die Dominikanerin von Bethanien. „Manchmal aber kann ein Gebet Gewicht abwerfen.“

Eindrücke aus Schwester Bernades Bastelgruppe

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