Glaube als Energiequelle

Wer seine Berufung im Dienste der Menschen lebt, schöpft auch aus dem „Geben“ große Kraft

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Datum:
30. Nov. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 48/2022

Energie ist wertvoll und sorgt für Wärme. Das gilt für jene, die für den Betrieb der Heizung dient, als auch jene, die Menschen in ihrem Tun antreibt. Das trifft besonders auf Engagierte zu, die sich für Menschen in Grenzsituationen einsetzen und dann auch noch dem Gegenüber Kraft geben.Wie das gelingt, ohne aus der Balance zu kommen, ist in vier ausgewählten Beispielen zu erfahren. 

 Eberhard Boekers, 65,  Ehrenamtler in Sant‘Egidio

„Aus dem Vollen“ schöpft Eberhard Boekers für Menschen in sozialer Not. (c) Garnet Manecke
„Aus dem Vollen“ schöpft Eberhard Boekers für Menschen in sozialer Not.

Von Garnet Manecke

Rund 50 Personen sind heute zum Franziskustisch von Sant‘Egidio gekommen. Hier gibt es eine kostenlose warme Mahlzeit für Menschen, die in sozialen Notlagen sind. Flucht, Altersarmut, Obdachlosigkeit, Krankheit: Die Gründe, warum die Gäste hier am Tisch Platz nehmen oder sich das Essen abholen, sind unterschiedlich. Eberhard Boekers ist einer der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die hier jeden Samstag den Menschen das Essen servieren.

„Der Blickwinkel auf die Menschen ist hier anders“, sagt der 65-Jährige. „Das sind hier keine Kunden oder Klienten, sondern Freunde. Und die behandelt man anders“, sagt der ehemalige Bankkaufmann. „Man unterhält sich mit den Leuten, fragt, wie es ihnen geht, was sie erlebt haben. Das sind Mitmenschen, so wie ich auch. Deshalb macht es mir Freude.“

Ehrenamtlich engagiert hat er sich schon als Jugendlicher mit 17 Jahren. Zuerst politisch, später in der Schützenbruderschaft, bei den Matthias-Pilgern, im Katholiken- und im GdG-Rat. Als er mit 61 Jahren in den Ruhestand ging, suchte er eine sinnvolle Aufgabe. 2019 hat er beim Weihnachtsessen von Sant‘Egidio in der Citykirche Mönchengladbach mitgeholfen. Als Corona kam, hat er begonnen, sich um Obdachlose zu kümmern, und ist darüber ganz zu Sant‘Egidio gekommen.

Auch bei der Essensausgabe der Caritas für Obdachlose engagiert er sich. „Das ist ganz anders als beim Franziskustisch“, sagt er. „Weil da auch Leute kommen, die Alkohol oder Drogen konsumiert haben.“ Wie hält er es aus, mit all diesen Schicksalen konfrontiert zu werden? Rückhalt bekommt er von seiner Frau und einem klar strukturierten Alltag. Der Tag beginnt für ihn mit Bibellesen. Wenn er danach mit dem Hund eine Runde gedreht hat, widmet er sich seinen Aufgaben. Sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen, sei wichtig, um wieder Energie zu bekommen.

Auch aus seinem Engagement zieht er viel Kraft. „Das ist ja keine Einbahnstraße“, sagt Boekers. „Was man den Menschen gibt, bekommt man zurück.“ Dazu komme die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung unter den Ehrenamtlichen. Und dann sind da auch die neuen Erfahrungen, die Boekers hier macht. Bei Sant‘Egidio sind Christen, Juden, Muslime und andere Religionen gleichermaßen willkommen und sitzen friedlich zusammen. Das interreligiöse Miteinander lernen schon die Kinder in der Regenbogenschule. „Das finde ich ganz toll“, sagt Boekers. „Ich habe das vorher nicht für möglich gehalten.“

 Jolanthe Kocurek,  Koordinatorin im Hospizdienst

Kraft schöpfen aus der Hoffnung, die sie verschenkt, ist das Credo von Jolanthe Kocurek. (c) Andrea Thomas
Kraft schöpfen aus der Hoffnung, die sie verschenkt, ist das Credo von Jolanthe Kocurek.

Von Andrea Thomas

Wer in der Hospizbegleitung tätig ist, egal ob ehrenamtlich oder von Berufs wegen, hat eine Aufgabe übernommen, die nicht unberührt lässt. Menschen auf dem letzten Stück ihres Lebensweges begleiten zu dürfen, empfinden die meisten als bereichernd und als ein Geschenk. Aber es ist auch kein Dienst, den man so einfach zurücklassen kann, wenn man zurückkehrt ins eigene private Leben. Manches Erlebte gehe ihr auch nach Feierabend noch nach, sagt Jolanthe Kocurek. Die gelernte Altenpflegerin arbeitet als Koordinatorin für den ambulanten Hospizdienst der Stiftung Marienhospital am Seniorenzentrum St. Severin in Aachen-Eilendorf. Weil es ihr ein Herzensanliegen ist, Menschen auch seelsorglich begleiten zu können, beginnt sie zum Jahresanfang die Ausbildung zur Seelsorgerin für Senioren im Bistum Aachen über den Caritasverband.

Menschen Energie zu schenken, den Menschen, die sie betreut, und auch deren Angehörigen, heißt für sie in erster Linie, da zu sein und zuzuhören. „Wenn Menschen noch kommunizieren können, so frage ich nach Wünschen und auch nach ihrem Glauben. Ich versuche, die Wünsche auch zu erfüllen. Wenn eine Kommunikation nicht mehr möglich ist oder gewünscht ist, dann ist die Anwesenheit von Bedeutung. Da zu sein und gemeinsam zu schweigen“, beschreibt sie es. Wer Energie spendet, der muss auch selbst immer wieder für sich „Energie tanken“.

„Die Energie schöpfe ich aus meinem Glauben und aus der Liebe zu den Mitmenschen“, sagt Jolanthe Kocurek. „Im Epheserbrief 1,18 heißt es: ‚Und er gebe euch erleuchtende Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid.‘ Das zu wissen, dass ich zu der Hoffnung für andere werden kann, gibt mir viel Energie. Wenn ich mit Mitmenschen zu tun habe, die sich in einer Notsituation befinden, so möchte ich ihnen etwas von dieser Hoffnung schenken. Somit erhalte ich meine Energie durch die frohe Botschaft, denn im ersten Brief an die Thessalonicher steht geschrieben: ,Darum tröstet euch unter-einander, und einer baue den anderen‘„ (1 Thess 5,11).

 Jan Nienkerke, Pfarrer und Vizeoffizial 

Für Pfarrer Jan Nienkerke ist es wichtig, kleine Inseln im Alltag einzuplanen, die ihm Energie  geben. (c) Kathrin Albrecht
Für Pfarrer Jan Nienkerke ist es wichtig, kleine Inseln im Alltag einzuplanen, die ihm Energie geben.

Von Kathrin Albrecht


Viel Energie braucht Pfarrer Jan Nienkerke: Er leitet die GdG Viersen-Dülken, ist seit 2005 beim Offizialat des Bistums Aachen, zuerst als Diözesanrichter, aktuell als Vizeoffizial. Seit Januar dieses Jahres ist er außerdem Regionalvikar in der Region Kempen-Viersen. 
„Diese Aufgaben sind mir aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen zugewachsen“, sagt er. Was helfe, die Aufgaben unter einen Hut zu bringen, sei ein gewisses Selbstmaß an Organisation. „Ich versuche, meinen Tagesablauf so zu planen, dass es keine Ausreißer gibt.“ Wichtig sei, Zeit für sich dabei fest einzuplanen – „sonst gibt es die auch nicht“. 
Diese Inseln im Alltag sind für ihn kurze Gebete, Meditationen oder Zeit zum Nachdenken. Auch regelmäßige Exerzitien sind ihm wichtig.

Die Energie, die Pfarrer Jan Nienkerke dabei sammelt, gibt er an andere vor allem in der seelsorgerischen Arbeit weiter: „Zu versuchen, eine gewisse Ruhe auszustrahlen, ist die Möglichkeit, die Kraft weiterzugeben.“ Oft, sagt er, sei er eine Art Blitzableiter für Dinge, die eigentlich nicht die Gemeinde betreffen. 
Viele Katholiken haben der Kirche in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt – Gründe dafür sind neben anderen sicher auch die durch den Missbrauch verursachte Vertrauenskrise und die zum Teil zögerliche und sehr unterschiedliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in einigen deutschen Diözesen. Auch dass der Synodale Weg der deutschen Bistümer auf Bundesebene anscheinend auf der Stelle tritt, gebe bei einigen den Anlass zum Austritt. „Das schmerzt, weil sie sich eigentlich in der Gemeinde selbst wohl gefühlt haben“, sagt Nienkerke.

Die Austritte schmerzten die Gemeinde auch ganz konkret, erklärt er weiter, denn weniger Katholiken in den Gemeinden bedeuteten auch weniger Schlüsselzuweisungen und damit weniger Mittel für das Engagement in der Gemeinde. „Die positiven Dinge dringen nicht mehr durch, die Kirche wird in der Gesellschaft eher als krisengeschüttelte Institution wahrgenommen.“

Pfarrer Nienkerke ist es wichtig, dass Menschen Kirche als Ort erfahren, wo Zuversicht vermittelt wird. „Das ist kein Plazebo“, unterstreicht er, „die christliche Botschaft trägt auch in Krisenzeiten.“ Das habe er gerade während Corona gemerkt. Im ersten Lockdown hatte die Pfarrei begonnen, Videos zu drehen und auch Gottesdienste online zu stellen. „Ich bekam Rückmeldungen von Menschen, von denen ich das nie erwartet hätte“, blickt Nienkerke zurück. Zum Beispiel eine 80-jährige Seniorin, die ihm sagte, dass es ihr sehr geholfen habe, in diesen Zeiten die vertrauten Stimmen aus dem vertrauten Kirchenraum zu hören und zu sehen. Das leiste kein Fernseh- oder Hörfunkgottesdienst. Auch das gebe Energie zurück. 

Manfred Kappertz, Diakon, Polizeiseelsorger und Fachberater für Psychotraumatologie 

Seit sieben Jahren ist Diakon Manfred Kappertz an der Seite der Polizei in Aachen und Düren. (c) Dorothée Schenk
Seit sieben Jahren ist Diakon Manfred Kappertz an der Seite der Polizei in Aachen und Düren.

Von Dorothée Schenk 


Am Allerheiligentag assistierte Diakon Manfred Kappertz in der morgendlichen Messe und hatte „symbolisch alles Belastende auf den Altar gelegt“, wie er erzählt. Kaum zu Hause eingetroffen, klingelt das Telefon, und er wird als Seelsorger zu einem Einsatzort gerufen. Eine Gewalttat mit Schusswaffe. „Meine Aufgabe war es dann, mit den Beamten ein Gespräch zu führen – ihre Eindrücke, ihre Bilder zu benennen, ihnen Ruhe und Distanz zu verschaffen.“ Auf der Fahrt nach Hause kommt Manfred Kappertz an einer Unfallstelle vorbei, bei der es ein Todesopfer gegeben hat. Erneute Gespräche mit den Polizeibeamten im Einsatz. „Mit diesen vielen Eindrücken war ich dann mit meiner Frau auf dem Friedhof – die Andacht haben wir verpasst – ein Lämpchen haben wir aber angezündet. Ein Licht, das stellvertretend für diese Geschichten leuchtete.“ 


Immer online mit Gott und der Begegnung
mit Christus im Menschen

Seit sieben Jahren übt Manfred Kappertz  seinen Dienst als Polizeiseelsorger aus – an zwei Schreibtischen, denn einer steht im Polizeidezernat in Aachen, ein zweiter bei der Dürener Kreispolizei. Arbeitszeiten im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. „Ich muss immer damit rechnen, dass irgendwas passiert und ich gerufen werde“, sagt er. Und wie verkraftet das die eigene Seele? „Das werde ich oft gefragt“, räumt er ein. Wichtig sei, dass man das Erlebte dort lasse, wo es geschehen ist. „Man muss sich abgrenzen können.“ Das ist ein Teil der Wahrheit, der spirituelle ist die Heilung in der Begegnung mit den Menschen. „Jede Begegnung kann die sein, in der ich Christus in dem anderen begegne.“ Das könne der Supervisor sein oder der Polizeidekan, der Priester ist, ebenso wie die Nachbarin, die ihm über den Gartenzaun einen Apfel schenkt. Er schenkt ihr dafür Zeit, Aufmerksamkeit, ein Gespräch. „Sie schenkt mir etwas und ich schenke ihr etwas – da wird wieder Energie aufgeladen. Da wird der Schenkende zum Beschenkten“, beschreibt Diakon Kappertz seine Erfahrungen.

Und ein Gleichnis erzählt er, das sehr eindrücklich ist: „Mein Handy begleitet mich fast Tag und Nacht. Wenn Sie so wollen, ist es mein ständiger Begleiter. Ich telefoniere damit, ich empfange, lese und sende Mails und genauso auch meine Whats-apps. Ich fotografiere damit – fast jeden Tag. In stillen Momenten schaue ich mir die Fotos an. Mein Handy ist auch zu meinem Terminkalender und zu meiner Uhr geworden. Auf meinem Handy befindet sich mein Schrittzähler – jeden Tag will ich mindestens 5000 Schritte laufen. 
Und jetzt noch die wichtigste App – das Stundenbuch. In meiner gelebten Mobilität kann ich jederzeit und überall mein Stundengebet – Laudes und Vesper, so wie ich es versprochen habe – beten. Ob zu Hause, im Büro, im Zug oder auch auf einer Parkbank – immer online mit dem lieben Gott.

Dies alles kann aber nur funktionieren, wenn ich den Akku meines Handys regelmäßig auflade. Im Grunde jeden Tag. Dazu gibt es Aufladekabel oder auch Stationen und Powerbanks. Ich kann es zu Hause, im Büro oder auch im Auto aufladen. Aber ohne Strom, ohne Energie funktioniert es nicht.

Manchmal kann ich mein Handy nicht laden, und der Akku-Stand kommt in den roten Bereich. Es lädt nicht. Irgendwas verhindert es – vielleicht eine Staubflocke? Vorsichtig muss ich es dann reinigen – bis es wieder lädt-


Auch der Seelen-Akku muss regelmäßig aufgeladen werden

So ist das auch mit meinem Seelen-Akku! Auch meine Seele braucht regelmäßig Nahrung – Energie. Manchmal kommt auch sie in den roten Bereich und braucht dann eine Reinigung. Sie signalisiert mir, dass sie leer ist, dass zurzeit nichts mehr geht. Und dieses Leersein hat etwas damit zu tun, wie ich mit ihr (mit mir) umgehe. Mit dem, was ich geladen, gesehen, gehört, gespürt habe. Die vielen Gespräche, in denen ich versucht habe, den Verarbeitungsprozess der „aufgeladenen“ Bilder anzustoßen. Meine Seele zeigt mir an, was zu viel ist oder war. Dann muss ich innehalten in der Hektik des Alltags – dann brauche ich Zeit zur Reflexion, für ein Gespräch. Ich glaube, die wichtigste Medizin für die Seele ist ein anderer Mensch. Dann wird mein Seelenakku wieder aufgeladen.“

Das Lächeln des Diakons lässt keinen Zweifel daran, dass es sich so verhält wie beschrieben. Anders ist es sicher auch nicht zu erklären, wie er neben der Polizeiseelsorge auch noch in der GdG Titz aktiv sein kann. 50 Taufen hat er in diesem Jahr gespendet – und bis zum Frühjahr ist der Kalender schon wieder gut gefüllt.