Gewalt nimmt weiter zu

Zum dritten internationalen Tag gegen Hexenwahn stellen Missio und Katho eine neue Karte vor

Die Karte macht eindrücklich deutlich, wie weit  verbreitet Hexenwahn ist. Weitere Infos unter  www.missio-hilft.de/hexenwahn (c) Missio Aachen
Die Karte macht eindrücklich deutlich, wie weit verbreitet Hexenwahn ist. Weitere Infos unter www.missio-hilft.de/hexenwahn
Datum:
17. Aug. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 33/2022 | Kathrin Albrecht

Alles begann 2010: In der Provinz Ayarep auf Papua-Neuguinea wurden ungewöhnlich viele Schweine krank. Es ging das Gerücht um, dass eine „Saguma“, eine Hexe, daran schuld sei. Der Verdacht fiel auf Christina Pakuma. 

Sie selbst erzählt im Rückblick, dass die Gerüchte, sie könnte etwas damit zu tun haben, von der Frau ihres Halbbruders gestreut wurden. Sie verbreiteten sich in der Region, ohne dass Christina etwas davon mitbekam. Sie kümmerte sich in der Abwesenheit ihres weiteren Halbbruders Dominic Dia, der als Diplomat für die Regierung Papua-Neuguineas arbeitete, um sein Haus, die Autos und seine Schweine. Das Glück, dies tun zu dürfen, mutmaßt sie selbst, rief wohl Neider innerhalb der Familie auf den Plan. 
Es folgt eine monatelange Leidensgeschichte, entsetzliche Folter und stundenlange Verhöre, die Christina erdulden musste, teilweise unter den Augen der örtlichen Justiz. Durch einen Trick kann sie ihren Folterern entkommen und Zuflucht in der Mission Kumin finden.

 

Es gibt Parallelen zur Hexenverfolgung im Mitteleuropa des 17. Jahrhunderts

Anfang August erhielt Schwester Lorena eine Audienz bei Papst Franziskus, um ihr Projekt vorzustellen. Papst Franziskus signiert das Kampagnen-Foto, das sie und Christina zeigt. (c) Simone Risoluti/Vatican Media
Anfang August erhielt Schwester Lorena eine Audienz bei Papst Franziskus, um ihr Projekt vorzustellen. Papst Franziskus signiert das Kampagnen-Foto, das sie und Christina zeigt.

Christinas Geschichte erlangte als einer der ersten Fälle von Hexerei-Beschuldigung in den Southern Highlands traurige Berühmtheit. Ihre Geschichte ist auch Gegenstand einer Menschenrechtsstudie des katholischen Hilfswerks Missio, das vor drei Jahren den internationalen Tag gegen Hexenwahn ausgerufen hat.

Der Tag, der am 10. August begangen wird, macht auf ein Thema aufmerksam, das viele in einer anderen, dunkleren Zeit wähnen. Doch Hexenwahn ist hochaktuell und weit verbreitet, wie eine aktuelle Weltkarte des Hilfswerkes, die in Kooperation mit der Katholischen Hochschule NRW Abteilung Aachen (Katho) entstanden ist, sehr eindrucksvoll vor Augen führt. In 43 Ländern der Welt sind Fälle von Gewalt im Zusammenhang mit Hexerei-Beschuldigungen dokumentiert. Das sei, sagt Jörg Nowak von Missio, ein nochmaliger Anstieg im Vergleich zur Situation von vor drei Jahren mit 36 dokumentierten Ländern.

Für den Friedens- und Konfliktforscher Norbert Frieters-Reermann, Professor aus dem Fachbereich Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Katho Aachen, der federführend an der Weltkarte mitarbeitete, ist dies nicht überraschend. Denn die Mechanismen des Hexenwahns seien ein hochkomplexes Geflecht aus verschiedenen Gründen: „Aberglaube, Sexismus und Gewalt vermengen sich dabei auf gefährliche Art und Weise.“ Hier ließen sich Parallelen ziehen zu der europäischen Hexenverfolgung in Mitteleuropa, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte.

Die Opfer verlässlich schützen, statt die  Täter zu decken

Ähnlich wie in Europa treffe es vor allem Länder an der Schwelle von der Vormoderne zur Moderne und im langen Prozess der Dekolonialisierung. Kulturelle, gesellschaftliche und soziale Umbrüche führten auf der anderen Seite zu wachsender Unsicherheit bei den Menschen. Auch Schwester Lorena Jenal, die in der Region Mendi das „House of Hope“, ein Zentrum für die Frauen, die Opfer des Hexenwahns geworden sind, betreut, beobachtet, dass die Frauen oft zu Sündenböcken gemacht werden. Es treffe vor allem starke Frauen, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben und die sich nicht den Mund verbieten lassen wollen.

Derzeit ist Wahlkampf in Papua-Neuguinea. Parallel dazu haben die Hexerei-Vorwürfe sprunghaft zugenommen. Und auch das Leben von Schwester Lorena ist zunehmend in Gefahr. An der Verfolgung und Folter Beteiligte drohen ihr offen mit dem Tod. Für Missio eine besorgniserregende Entwicklung. Die Hoffnung ruht auf Justizminister Bryan Kramer, der bereits in der Provinz Mandang gegen Verbrechen im Zusammenhang mit Hexerei vorgegangen ist und dem House of Hope sehr aufgeschlossen gegenübersteht, wie Schwester Lorena sagt.

„Um der Hexenverfolgung zu begegnen, werden nicht nur Gesetze gegen Diskriminierung und das Schließen von Gesetzeslücken benötigt, sondern auch eine Justiz und Polizei, die die Opfer verlässlich schützt und nicht die Täter deckt“, unterstreicht Norbert Frieters-Reermann. Missio will vor Ort seine Projektpartner weiter im Kampf gegen den Hexenwahn unterstützen und dabei auch selbstkritisch die Rolle der Kirche hinterfragen. Diese spiele bezogen auf die europäische Hexenverfolgung eine ambivalente Rolle.

Inwieweit die Vorstellungen exportiert wurden, müsse genauer untersucht werden. Was sich vor Ort beobachten lässt, sei nach Worten von Schwester Lorena aber eine noch weit verbreitete „schlechte Theologie“: „Gott straft, und Frauen sind gefährlich.“ Oft sei auch das kirchliche Personal nicht gut ausgebildet. Das betreffe besonders die Freikirchen im Land.

Es brauche Experten und Botschafter, die das Thema auf ihrer Agenda haben, sagt Jörg Nowak, denn die Zahl der Länder, in denen Hexenverfolgung präsent ist, nehme nicht ab. Im Gegenteil: Weitere Länder stehen unter Beobachtung.