Gesunde Erde - gesunde Menschen

Eckart von Hirschhausen über Digitalisierung, Menschsein, Künstliche Intelligenz und Klimawandel

Über den Klimawandel reden? Nein! Eckart von Hirschhausen forderte in der Digitalchurch einen sofortigen Aufbruch. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Über den Klimawandel reden? Nein! Eckart von Hirschhausen forderte in der Digitalchurch einen sofortigen Aufbruch.
Datum:
21. Sept. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 38/2023 |Stephan Johnen

Eigentlich, sagt Eckart von Hirschhausen, wollte er einmal Pfarrer werden. Es kam  anders. Und dennoch: „Dass ich einmal in einer Kirche sprechen darf, hätte ich mir nie träumen lassen“, startete er seinen ganz eigenen Blick auf die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Big Data auf der Digitalkonferenz Digital-Summit in Aachen.  

„Religion kommt von religare, das bedeutet verbunden sein.“

Vor rund 400 Köpfen aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung stellte er die Frage, welche Rolle die Digitalisierung für eine enkeltaugliche Zukunft hat. Dass er dies in der Digitalchurch tat, der ehemaligen Kirche St. Elisabeth in Aachen, lieferte eine Steilvorlage für den Einstieg: „Die Kirche wurde entwidmet – und woran glauben wir heute?“

So, wie Digitalisierung nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern Server benötigt, jede Menge Strom verbraucht, so existiert auch der Mensch nicht isoliert in der Welt. „Religion kommt von religare, das bedeutet verbunden sein“, regte Hirschhausen an, trotz all der großartigen Aspekte der Digitalisierung nicht zu vergessen, dass wir aus Fleisch und Blut sind: „Wir brauchen eine Rückkopplung zur realen Welt.“

Warum also scheint digitales Gerede oft wichtiger als Kommunikation? Warum hören wir anderen nicht mehr zu und starren lieber aufs Mobiltelefon? Warum versuchen wir, mit einem digitalen Gerät einen erinnerungswürdigen Moment einzufangen, den wir in diesem Augenblick verlieren? „Den Moment digital festzuhalten, entfernt uns vom realen Leben“, bilanzierte der Gastredner des Digitalgipfels, der durchaus (selbst-)kritische Töne zum digitalen Konsum und zu digitalen Nutzungsmöglichkeiten anschlug, aber sicherlich nicht als analoges Artefakt verstanden werden möchte.  

Digitalisierung ist nicht per se schlecht. Aber sie dürfe uns nicht entmenschlichen, forderte Eckart von Hirschhausen. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Digitalisierung ist nicht per se schlecht. Aber sie dürfe uns nicht entmenschlichen, forderte Eckart von Hirschhausen.

Erst recht nicht als düsterer Zukunftsprophet, der eine Welt nahen sieht, in der die Künstliche Intelligenz die größte Gefahr für den Fortbestand der Zivilisation eliminiert – also den Menschen.

Der Film zu diesem Aspekt von KI heißt „Terminator“, galt 1984 noch als Science-Fiction-Dystopie und hat den Schauspieler Arnold Schwarzenegger unsterblich gemacht. Zwei Jahrzehnte und mehrere Fortsetzungen später bezeichnete der Terminator als Gouverneur von Kalifornien den Kampf gegen den Klimawandel als wichtigste Tätigkeit seines Lebens.

Digitalisierung, Menschsein, Künstliche Intelligenz und Klimawandel: Langsam schließt sich der Kreis und sind wir mitten drin im Themenuniversum des Arztes, Wissenschaftsjournalisten und Stiftungsgründers Eckart von Hirschhausen, dessen Botschaft sich mit dem Namen seiner Stiftung wiedergeben lässt: „Gesunde Erde – gesunde Menschen“.

Der Therapievorschlag: Anstatt uns weiter zu Tode zu amüsieren, weiterzuschalten und auszublenden wird es Zeit, die Frage zu stellen, wie wir die Welt wieder ins Gleichgewicht bekommen, was wir selbst tun können – und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen und Normen wir bei allen Fortschritten der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz anlegen müssen, damit Technik der Menschheit dient.
Wer die Erde retten möchte, muss die Menschen retten, unsere Lebensgrundlagen und unseren gesunden Menschenverstand. 

Digitaler Fortschritt kann dabei helfen, muss es aber nicht zwangsläufig. Der komplexeste Hochleistungsrechner der Welt steht schließlich nicht in einem Forschungslabor: Jeder Mensch hat über sein Gehirn Zugriff auf unfassbare Rechenpower. „Aus wenigen Daten Sinn zu generieren, ist die Königsdisziplin unseres Gehirns“, warnte Hirschhausen davor, bei aller Digitalisierung zu vergessen, wie wir selbst funktionieren.

Je mehr digital abgelegt und abgespeichert wird, desto weniger merkt sich das Gehirn. Je mehr wir analog lesen und umblättern, desto besser funktioniert das Gedächtnis. Unabhängig von Google sichert dies auch bei einem Stromausfall noch abrufbares Wissen. 

Wissen allein schützt aber weder vor Dummheit noch vor Missbrauch. Die Idee, das gesamte Wissen der Welt zu liberalisieren und digitalisiert frei zugänglich zu machen, wäre in einer idealen Welt sicher eine gute.

Doch ob es wirklich die Demokratie stärkt, wenn alle Forschungsergebnisse, alle Entscheidungen online abrufbar sind, sei zumindest „schwer zu beantworten“, meint Eckart von Hirschhausen: „Es ist schwer, eine Demokratie zu verteidigen, wenn man den Feinden vollen Zugriff auf alle Informationen gibt.“

Zumal Desinformationskampagnen im Internet unter Beweis  gestellt hätten, dass sie „ziemlich unheilvolle Dinge beeinflussen“ können.
Es sei nur eine Frage der Zeit, bis mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz beispielsweise die Stimme von Prominenten nachgebaut werden könne – oder gleich eine perfekte digitale Kopie erstellt wird. 

„Es hilft nichts, depressiv zu werden. Wir schaffen es nur mit guter Laune oder gar nicht.“

Für frisch gebackene Eltern hatte der Gastgeber ein motivierendes Geschenk zur Hand. Es gibt noch Hoffnung! (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Für frisch gebackene Eltern hatte der Gastgeber ein motivierendes Geschenk zur Hand. Es gibt noch Hoffnung!

Angesichts des bereits zusammengetragenen Wissens stehe generell die Frage im Raum, was wir mit unserem Schatz anfangen. Beispielsweise um etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen. „Nur durch die Anhäufung von mehr Wissen werden wir nicht schlauer und auch nicht bessere Entscheidungen treffen“, forderte Eckart von Hirschhausen mehr Taten statt aufschiebender Worte.

„Wir haben eine Jahrhundertaufgabe in zehn Jahren zu lösen“, brachte er es auf den Punkt. Doch so lange die zentrale Frage laute, „Was kostet uns der Umweltschutz?“, sei nicht mit Fortschritten zu rechnen. Denn die eigentlich existenzielle Frage stelle kaum jemand: „Was kostet es uns, wenn wir weitermachen wie bisher?“

Dass es anders geht, hätten die Menschen übrigens schon bewiesen: Das Ozononloch schließt sich, weil sich die UN-Mitgliedsstaaten auf ein Ende der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verständigt haben. Das war 1987.

Heute kehren die Tropenkrankheiten wieder zurück, die Erde nähert sich dem Hitzschlag, in Europa gab es im vergangenen Jahr 60000 Hitzetote, Allergien sind ebenso auf dem Vormarsch wie Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden.
Und was tun die Menschen dagegen? Sich gesünder ernähren? Die Massentierhaltung beenden? Den Flächenverbrauch reduzieren? „Worauf können wir einmal zurückblicken und stolz sein?“, fragte Hirschhausen, der sich als Fan der Idee vom Fegefeuer outete: „Da kamst du nur raus, wenn deine Enkel für dich gebetet haben.“

Die Chance, von der Letzten Generation ins Nachtgebet eingeschlossen zu werden, dürfte eher gering sein. Auch eine weitere Idee, die der Religion zuzuschreiben sei, habe keine Konjunktur mehr: Mäßigung. „Früher haben Fischer bei schlechten Fängen beschlossen, lieber heute Fische im Wasser zu lassen, damit es morgen noch welche gibt. Heute bauen wir ein zweites Boot mit größeren Netzen.“

Wachstum ohne Rücksicht auf Ressourcen habe in der Medizin einen Namen: Krebs.  Und jetzt? Was tun? „Wir alle haben die Macht, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen“, forderte Hirschhausen ein sofortiges Handeln, eine Veränderung der Rahmenbedingungen.

Ob Kerosinbesteuerung oder Umbau der Landwirtschaft: „Wir haben keine Zeit mehr, neue Organisationen aufzubauen, sondern müssen jetzt loslegen und mit den Organisationen arbeiten, die da sind. Es hilft nichts, depressiv zu werden. Wir schaffen es nur mit guter Laune oder gar nicht.“