Höhere Aufwendungen für Energie, Mieten und Einkäufe treffen nicht nur Menschen, die von Einkommensarmut bedroht sind. Roman Schlag, Fachreferent für Schuldnerberatung beim Caritasverband für das Bistum Aachen, erläutert, welche Rolle das Thema Inflation in den Schuldnerberatungsstellen spielt.
Herr Schlag, kommen in den Schuldnerberatungsstellen die Folgen der Inflation bereits an?
Normalerweise erleben wir in der Schuldnerberatung, dass Krisen wie die Finanzkrise oder die Pandemie erst ein bis zwei Jahre später aufschlagen. Aber das Thema Inflation spüren wir bereits jetzt. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Haushaltspläne, die die Beratungsstellen mit den Schuldnern erstellt haben, den steigenden Kosten entsprechend angepasst werden mussten.
Haushaltspläne sind also offenbar ein Instrument der Schuldnerberatung?
Ja, sogar ein sehr wichtiges Instrument in der Schuldnerberatung. Wir machen am Anfang die Haushaltspläne, um zwei Fragen zu klären: Wie entstehen die Schulden? Und warum kommen die Menschen immer weiter ins Minus? Dann werden die Haushaltspläne immer genauer angepasst. Und es wird geschaut, ob ein Budget vorhanden ist, mit dem die Menschen entschuldet werden können.
Wäre dann nicht ein Haushaltsplan auch ein gutes Instrument für alle?
Das können alle nutzen, weil es sehr gut veranschaulicht, wie viel Einnahmen jemand hat, wie seine Ausgaben aussehen, wo die betreffende Person einen finanziellen Puffer hat und was ihr noch übrig oder eben nicht übrig bleibt.
Sind Haushaltspläne ein Werkzeug, um Sparmöglichkeiten aufzuzeigen?
Ja, auch dafür nutzen wir sie. Wenn ich mir einen einzelnen Posten anschaue, kann ich
erkennen, dass ich mir da vielleicht noch eine Sparmöglichkeit erschließen kann. Einschränkend muss ich aber sagen: Leider haben wir viele Menschen, die momentan überhaupt keine Möglichkeit haben, mit ihrem Einsparpotenzial die deutlich steigenden Kosten irgendwie auszugleichen. Das ist eine sehr schwierige Situation, und die Leute sind auf Hilfe angewiesen.
In meiner Vorstellung kommen zu den Schuldnerberatungsstellen vor allem Menschen, die
finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, zum Beispiel Empfänger von staatlichen Unterstützungsleistungen. Trifft diese Einschätzung zu?
Grundsätzlich ja. Ein Großteil der Beratenen ist auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. Aber immer mehr Menschen aus der gutbürgerlichen Schicht, also Normalverdiener, kommen bei uns in die Beratungsstellen. Durch die gestiegenen Kosten, die steigenden Mieten oder durch Kurzarbeit ist plötzlich ihr gesamter Finanzplan zusammengebrochen, und sie sind auf einmal in eine Überschuldung geraten.
Wie sieht es aus mit den Zugängen zur Schuldnerberatung? Sind die für alle möglich?
Das ist ein großes Problem. Gerade in Nordrhein-Westfalen haben wir einen riesigen Flickenteppich. Es gibt Kommunen, in denen alle Menschen die Möglichkeit haben, kostenfrei eine Schuldnerberatung zu bekommen. Aber es gibt auch sehr viele Kommunen, in denen dies nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich ist, in denen nur Menschen im Sozialleistungsbezug kostenlose Hilfe bekommen. Alle anderen haben dann keinen Anspruch auf eine Schuldnerberatung.
Das heißt, Sie fordern eigentlich das Recht auf einen Zugang zur Schuldnerberatung für alle?
Das ist eine Forderung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände und der Caritas. Wir sagen: Wir brauchen einen gesetzlich geregelten Rechtsanspruch in der Sozialgesetzgebung, dass jeder Mensch Zugang zur Schuldnerberatung hat.
Nehmen wir einmal an, es gäbe diese Möglichkeit: Sind denn die Schuldnerberatungsstellen überhaupt darauf vorbereitet, der steigenden Nachfrage nach Schuldnerberatung aufgrund zum Beispiel der Inflation zu begegnen?
Da müssen wir ehrlich sagen, dass sie nur bedingt vorbereitet sind. Natürlich lassen wir nach Möglichkeit keinen Menschen im Regen stehen, aber die Kapazitätsgrenzen sind bereits jetzt ausgeschöpft. Wir müssen sicherlich auch darüber nachdenken, dass aufgrund des höheren Bedarfs zusätzliche Kapazitäten in der Schuldnerberatung geschaffen werden.
Wenn Sie ein Politiker fragen würde, was die Politik tun solle, um die Folgen der Inflation abzufedern, was würden Sie ihm aus Ihrer Erfahrung im Kontakt mit den Schuldnerberatungsstellen empfehlen?
Als Erstes würde ich sagen: Die Unterstützungsmaßnahmen, die beschlossen worden sind – ich denke da vor allem an die Energiepreispauschale für alle –, sind Hilfen, die letztendlich verpuffen. Man müsste viel zielgenauer schauen, welche Menschen bedürftig sind, und starke Unterstützungsmaßnahmen für die Menschen mit knappen Einkommensressourcen schaffen. Gleichzeitig muss man sagen: Steuererleichterungen, die gleichzeitig wieder über Kostensteigerungen ausgeglichen werden, helfen auch nicht. Unter Umständen muss über Dinge wie den Mietpreisdeckel oder andere Deckelungen nachgedacht werden.
Das Interview führte Christian Heidrich.