Junge Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts vom Dorf in die Stadt zogen, hatten Angst vor Ausbeutung und vielen anderen Dingen, die ihnen widerfahren könnten. Um sie nicht alleine zu lassen, wurde 1928 der katholische Verband für Mädchensozialarbeit „In Via“ gegründet und trat in Krefeld an geeigneter Stelle auf den Plan: Am Bahnhof, dort, wo die jungen Frauen ankamen. Heute – in Zeiten der Gleichberechtigung – kümmern sich die Verantwortlichen im Verein längst auch um Männer. Das große Phänomen der heutigen Zeit lautet: Einsamkeit.
„In Via“ bedeutet: „Gemeinsam Wege finden“. Der Name ist Programm. „Unser Verein begrüßte die jungen Frauen einst an Gleis 1, das auch heute noch der Standort der Bahnhofsmission ist“, berichtet Geschäftsführerin Tamara Schubert. „Neben dieser Einrichtung unterhielt der Verband dann ein Heim für durchreisende und stellenlose Mädchen sowie eines für berufstätige und studierende Mädchen und junge Frauen.“
Die Aufgaben des bundesweit tätigen Vereins haben sich stark verändert. „Sie orientieren sich natürlich an den aktuellen Bedürfnissen der Menschen“, sagt die Geschäftsführerin. „So zieht sich die Einsamkeit durch alle Generationen. Es sind nicht nur ältere Menschen betroffen.“
Schülerinnen und Schüler vereinsamten trotz – oder gerade wegen – der digitalen Medien. Die Generation 60-plus sei nicht mehr im Beruf verankert und habe sich die sozialen Verbindungen nicht erhalten, berichtet sie weiter. „Sie sehen keinen Sinn mehr im Leben und vereinsamen zusehends. Sie kommen alleine nicht aus der Misere heraus.“
Da ist der 60-jährige alleinstehende Dialysepatient ohne Arbeit, der viel Zeit im Krankenhaus verbringt. Er verliert seinen Freundeskreis, weil er kaum noch Zeit hat, und auch der soziale Status sinkt. Schubert: „In solchen Fällen machen wir Hausbesuche, wollen da sein. Wenn wir einmal wöchentlich kommen, ist dies das Highlight. Die Menschen bedanken sich bei uns, weil wir da sind, weil wir Wege finden.“
Der große Wunsch von „In Via“ für die Region Krefeld: „Wir möchten ein barrierefreies Haus für von Einsamkeit und sozialen Schwierigkeiten bedrohte Menschen, am liebsten für Frauen, finden und mieten. Ihre Armut ist besonders groß.“ Seitdem der Verein Kirchensteuermittel bekommt, wird die Arbeit leichter.
Oftmals übernehmen die zehn bei „In Via“ tätigen Frauen auch Lotsenfunktionen, verweisen die hilfesuchenden Menschen an Fachleute. So ist es auch bei großer Verschuldung. „Hier geben wir an die Schuldnerberatung des Sozialdienstes katholischer Männer oder Frauen oder die Krisenhelfer der Stadt Krefeld weiter.“
Die Anforderungen an Mütter und Väter sind erheblich gestiegen. Durch die Mehrfachbelastung in Familie und Beruf leiden immer mehr Eltern unter Erschöpfungssyndromen. „Gezielte Kuren helfen ihnen, sich zu erholen und den Anforderungen mit neuer Energie zu begegnen. Nach den Richtlinien des Müttergenesungswerks bieten wir Kurberatung für Mutter/Vater-Kind-Kuren, Mütterkuren und für pflegende Angehörige an.“
Schubert: „Die Kurberatung bedeutet nicht nur Erholung an einem anderen Ort, sondern auch Hoffnung und Zuversicht schenken, dass Hilfe nahe ist, wenn wir ans Telefon gehen. Denn es gibt derzeit kaum Plätze, die Kapazitäten in den Kurhäusern sind fast erschöpft.“
In Zahlen: 2023 hat der Verein in der Region Krefeld 13 Frauen bei der Antragstellung und Vermittlung in ein Kurhaus begleitet. 63 Mutter-Kind-Kur-Anfragen wurden an die Kurberatung Digital in Trägerschaft des Diözesan-Caritasverbandes Aachen verwiesen.
Als ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld stellt sich die schulbezogene Jugendsozialarbeit von „In Via“ dar. „Da ist beispielsweise der Achtjährige, der seit zwei Wochen die Schule nicht mehr besucht“, schildert die Geschäftsführerin einen Fall. Der Grund: „In der Familie gibt es soziale Schwierigkeiten dahingehend, dass die Eltern aufgrund der Coronapandemie kein Vertrauen in Schule haben und das ganze System in Frage stellen. Dem Kind könnte in der Schule ja etwas passieren.“ Da versuchen die Mitarbeiterinnen aufzuklären.