Gegen alle Konventionen

Eine neue Stadtführung folgt den Spuren der Ordensgründerin und Seligen Franziska Schervier durch Aachen

Die Gruppe vor dem Elternhaus, vielmehr dem davon noch übrig gebliebenen Torbogen in der Eilfschornsteinstraße. (c) Andrea Thomas
Die Gruppe vor dem Elternhaus, vielmehr dem davon noch übrig gebliebenen Torbogen in der Eilfschornsteinstraße.
Datum:
14. Mai 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2019 | Andrea Thomas

Vor genau 200 Jahren wurde Franziska Schervier in Aachen geboren, Tochter eines Nadelfabrikanten, Ordensgründerin, seit 1974 für ihren unermüdlichen Einsatz für Arme und Kranke Selige, Patronin der Aachener Innenstadtpfarrei „Franziska von Aachen“.Noch mehr über sie und ihre Zeit erzählt nun eine eigens konzipierte Führung durch ihre Heimatstadt.

Blick ins Arbeitszimmer von Franziska Schervier im Mutterhaus in der Elisabethstraße. (c) Andrea Thomas
Blick ins Arbeitszimmer von Franziska Schervier im Mutterhaus in der Elisabethstraße.

Der Andrang ist gut, 25 Interessierte haben sich an diesem Sonntagnachmittag trotz kühler, regnerischer Witterung an der Tourist-Info am Elisenbrunnen eingefunden. In seinem Schatten beginnt Stadtführerin Rosie Goebbels mit einem Einblick in die Zeit des Geburtsjahres von Franziska Schervier. Das Aachen um 1819 ist eines der Gegensätze: modernes Kurbad für die Reichen und Schönen auf der einen, wachsende Industriestadt auf der anderen Seite. Hier leben wohlhabende Fabrikantenfamilien wie die Scherviers in direkter Nachbarschaft zu den Nadel- und Tuchmachermanufakturen und den armen Familien der dort beschäftigten Arbeiter. Die einen feiern Feste und Bälle, die anderen haben kaum das Nötigste zum Leben. In diese Ambivalenz hinein wird Franziska am 3. Januar als sechstes von sieben Kindern von Johann Schervier und seiner Frau Marie Louise Victorie geboren. Ihr Pate wird niemand geringeres als Kaiser Franz I. von Österreich, der kurz vor ihrer Geburt am Rande des in Aachen stattfindenden Monarchenkongresses die Nadelfabrik ihrer Eltern besichtigt. Von ihrem Elternhaus an der Eilfschornsteinstraße, die die Gruppe im Laufe des Rundgangs ebenfalls besucht, steht nur noch der Torbogen. Auf dem Gelände des heutigen Kármán-Auditoriums lagen das Wohnhaus der Scherviers sowie Fabrik und Arbeiter-Unterkünfte.

Franziska, so berichtet Rosie Goebbels, besucht wie viele „höhere“ Töchter (darunter auch die im vergangenen Jahr selig gesprochene Clara Fey und Pauline von Mallinckrodt, die ebenfalls später eine eigene Ordensgemeinschaft gründen) die private katholische Mädchenschule St. Leonhard in der Nähe des Marschiertors. Prägend ist für sie und ihre Mitschülerinnen Lehrerin Luise Hensel, die sie mitnimmt in die Häuser der Fabrikarbeiter, wo sie ihnen die Sorge für Arme und Kranke vermittelt. „Was bei Franziskas Vater gar nicht gut ankam, der mit dafür sorgte, dass Luise Hensel gekündigt wurde“, erzählt Rosie Goebbels. Umsonst, in seiner Tochter ist bereits der Wunsch geweckt, entgegen der sozialen Stellung ihrer Familie und den Konventionen ihrer Zeit ihr Leben ganz im Sinne des heiligen Franziskus in den Dienst der Armen und Benachteiligten zu stellen. Nächste Station ist die ehemalige Klosterkirche der Franziskaner, St. Nikolaus, die heutige Citykirche, mit ihrem Franziskusaltar. Auf einem Wandgemälde, das die Krankensalbung zeigt, ist auch Franziska Schervier selbst in ihrem Ordenshabit zu sehen.

Von da geht es in die Pontstraße zum Geburtshaus Heinrich Hahns, einer weiteren für Franziska prägenden Persönlichkeit. Der Arzt und spätere Gründer des heutigen Missionswerks Missio, kümmert sich um Cholerakranke, bei deren Pflege Franziska ebenso wie Clara Fey helfen. Mit Johann Josef Istas, Kaplan an der Kirche St. Paul (einer weiteren Station der Führung), wo sie getauft und später die ersten Armen-Schwestern eingekleidet werden, richtet sie später außerdem eine Armenküche ein. Pfingsten 1845 gründet sie schließlich die „Ordensgemeinschaft der Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus“. In einem Brief schreibt Franziska Schervier „Ich erkannte so offenbar in den Armen und Leidenden meinen göttlichen Herrn, als hätte ich ihn in denselben mit leiblichen Augen gesehen.“ Dabei scheut sie sich nicht, sich auch für die einzusetzen, die von der Gesellschaft geächtet sind. Sie kümmert sich um Prostituierte und Gefangene und wacht mit zum Tode Verurteilten in der Nacht vor ihrer Hinrichtung. Ihre eigene angeschlagene Gesundheit schont die zierliche „Mutter der Armen“, wie die Aachener sie bald nennen, Zeit ihres Lebens dabei nicht.

Zunächst kommt die junge Ordensgemeinschaft an der Lütticher Straße unter, ehe sie in das alte Dominikanerkloster am Lindenplatz zieht, wo die Führung ebenfalls Halt macht. Den Schlusspunkt bildet der Besuch des Mutterhauses der Armen-Schwestern, das ehemalige Aachener Klarissenkloster an der Elisabethstraße. Hier empfängt Sr. Dolores Haas die Gruppe und gibt Einblicke in die Geschichte des Ordens und des Klosters. In Franziskas Arbeits- und Sterbezimmer erinnern unter anderem ihr Ordenshabit und das einzige Foto, das es von ihr gibt, an sie, deren Gebeine seit ihrer Seligsprechung durch Papst Paul VI. in der Klosterkapelle ihre letzte Ruhestätte haben.

Weitere Infos und Termine: www.schervier-orden.de