Geborgenheit im Leben und im Tod

Die Krefelder Grabeskirche als Anlaufstelle für Suchende

Die Lebenslinie zeigt, wie nah sich das Leben und der Tod sind. (c) Ann-Katrin Roschek
Die Lebenslinie zeigt, wie nah sich das Leben und der Tod sind.
Datum:
9. Apr. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 15/2019 | An-Katrin Roschek
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Ps 90,12). Ein Bibelvers, der uns fast schon ermahnt, darauf vorbereitet zu sein, dass irgendwann der Tod naht. Was bedeutet es aber, sich darauf vorzubereiten, dass das Leben endlich ist?
Pfarrer Klaus Stephan Gerndt holte die Grabeskirche nach Krefeld. Er selbst hat hier bereits eine eigene Grabstätte reserviert. (c) Ann-Katrin Roschek
Pfarrer Klaus Stephan Gerndt holte die Grabeskirche nach Krefeld. Er selbst hat hier bereits eine eigene Grabstätte reserviert.

Noch vor wenigen Jahren war der Tod in vielen Haushalten ein Tabuthema. Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Als Pfarrer der Krefelder Grabeskirche trifft Klaus Stephan Gerndt viele Menschen, die kurz vor der Rente stehen oder die Pensionierung gerade hinter sich haben, um mit ihnen über den Tod und die gewünschte Bestattungsform zu sprechen. „Die Welt ist schneller geworden und bringt mehr Möglichkeiten mit sich“, erklärt er. „Oft leben Angehörige in weit entfernten Städten oder sogar in anderen Ländern. Viele Menschen sterben allein. Sie möchten ihren Angehörigen nicht zur Last fallen.“ Eine Gesellschaft wächst heran, die anonymer wird. Früher machten es sich Geschwistergruppen zur Aufgabe, das Grab der Eltern zu pflegen. Es war eine Tradition, die Verbundenheit und Nähe schaffte. Heute ist es oft eine lästige Pflicht oder ein schneller Griff zum Telefonhörer, um Grabpflege beim Friedhofsgärtner zu beauftragen.

„Das ist der Grund, warum die Feuerbestattung inzwischen in Deutschland die beliebteste Bestattungsform ist“, erklärt der Pfarrer. Und das, obwohl das Heilige Offizium der Kremierung erst im Jahr 1963 stattgegeben hat. Seitdem erleben Grabeskirchen vor allem in den letzten Jahren in Deutschland einen Boom. Ein zusätzlicher Grund dafür seien auch die sich verändernden Ängste der Menschen, sagt Gerndt. „Das Bild davon, dass der eigene, tote Körper in einem Sarg unter der Erde etlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und von Würmern angefressen wird, fürchtet heute.“ Früher, so führt er aus, wäre die Feuerbestattung mit den Erlebnissen im Krieg in Verbindung gebracht worden. „Da war der tote Körper im Feuer die Angst. Jetzt ist es eher das Gefühl, nicht geborgen zu sein.“ Pfarrer Gerndt hatte sich maßgeblich dafür eingesetzt, eine Grabeskirche nach Krefeld zu holen. Denn dort, wo ein Ort für Trauer sei, sagt er, sei auch Raum für Leben und damit für Geborgenheit. Im Bistum Aachen stellt St. Elisabeth von Thüringen die achte Grabeskirche dar. „Wir denken an die Verstorbenen. Wir binden sie mit in unsere Gebete ein“, erklärt der Pfarrer. „Die Toten werden nicht vergessen.“ Jeden Tag ist die Kirche offen zugänglich, ehrenamtliche Seelsorger sind ansprechbar, und neben den Trauergottesdiensten finden auch klassische Gottesdienste statt. Am 30. Dezember besuchte im Rahmen der heiligen Messe vor dem Jahreswechsel Gerndt gemeinsam mit den Kirchgängern zum Beispiel jedes schon belegte Urnengrab, um hier eine Segnung für das anstehende Jahr auszusprechen. Ein Konzept, das viele Menschen anspricht: 717 Einzelgrabstätten und 298 Doppelgrabstätten sind in schlichtem Stil in St. Elisabeth von Thüringen geschaffen worden.

Bereits vor der Eröffnung im Juli waren fast 400 davon reserviert worden. Auch jetzt bleibt der Zulauf groß. Dazu trägt auch die einzigartige Gestaltung der Kirche bei: Nachdem 2014 im Rahmen der Zusammenlegung der Gemeinden St. Elisabeth mit St. Anna und St. Thomas Morus zur Pfarrei Heiligste Dreifaltigkeit beschlossen wurde, die Räume an der Hülser Straße umzugestalten, gewann Architekt Willi Thelen die Ausschreibung. Vom Fingerspitzengefühl des Architekten zeugt zum Beispiel eine Messinglinie, die sich ihren Weg vom Taufbecken zwischen den Urnengräbern entlang zum Kruzifix am Raumende sucht. „Die Lebenslinie zeigt, dass Leben und Tod nicht nur miteinander verbunden , sondern sich auch sehr nah sind“, erklärt Klaus Stephan Gerndt. „Sie werden viele Symbole dieser Art in unseren Räumlichkeiten finden.“ Mit der Gestaltung der Kirche möchte der Pfarrer Möglichkeiten schaffen: Möglichkeiten zu trauern, Möglichkeiten, seine Trauer zu ordnen, und Möglichkeiten, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. „In einer Welt, die vor Impulsen strotzt, müssen wir Menschen einen Grund dafür geben, in die Kirche zu kommen“, sagt er.

Und Gründe gibt es in St. Elisabeth von Thüringen viele: Im seitlich liegenden Kreuzgang ist in Zusammenarbeit mit Glaskünstler Jochem Poensgen ein Weg entstanden, der mit farblich unterschiedlich gestalteten Fenstern und aufgesetzten Steintafeln dazu einlädt, von Station zu Station zu wandern. „Ich gehe hier jeden Tag entlang, berühre die Steintafeln und denke an jeder Tafel an einen anderen verstorbenen Menschen“, schildert der Pfarrer. „Manchmal lasse ich aber auch einfach nur von Schritt zu Schritt Sorgen los.“ Auch an der interaktiven Gedenktafel, die am Eingang des Kreuzganges an der Wand angebracht ist, fließen Leben (in Form von Aktivität) und Tod (in Form von Gedenken) ineinander. Über und über ist die Tafel mit kleinen gelben Zetteln versehen. „Lieber Gott, hilf mir, mit meiner Trauer fertig zu werden“, schreibt Norbert. „Gerne stelle ich mir vor, dass du jetzt da oben sitzt und auf uns herabschaust und immer an allem teilnimmst, was wir machen“, hat eine ältere Dame aufgeschrieben. „Lass sie zusammen Schach spielen!“, ist in großen Buchstaben zu lesen, und „Danke, dass du hier Schutz findest“, schreibt Elisabeth. Schutz zu finden über den Tod hinaus, das ist ein großes Thema in der Grabeskirche. Auch der 61-jährige Pfarrer Gerndt hat sich schon jetzt für eine Bestattungsform entschieden. Wenn der liebe Gott ihn irgendwann zu sich holt, wird auch er in der Grabeskirche bestattet werden. Von der Empore in der ersten Etage aus zeigt er auf eines der Urnengräber. „Das ist für mich reserviert. Mir gefällt der Gedanke, an diesem hellen, sicheren Ort, der in seiner Schlichtheit wunderschön ist, zu ruhen“, sagt der Pfarrer. „Im Tod werde ich mich hier behütet fühlen.“

Die Grabeskirche ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Es stehen zu jeder Zeit Ansprechpartner im Kirchenraum zur Verfügung. Weitere Informationen zu Gottesdiensten und Angeboten unter: www.grabeskirche-krefeld.de. Grabeskirche St. Elisabeth von Thüringen, Hülser Straße 574 in Krefeld