Ganz besonders normal

Gründungsidee der Bischöflichen Montessori-Grundschule war Inklusion – als es den Begriff noch nicht gab

Auch Hausaufgaben müssen sein. (c) Dorothée Schenk
Auch Hausaufgaben müssen sein.
Datum:
5. Juni 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2019 | Dorothée Schenk

Nicht nur einmal im Jahr heißt es an der Bischöflichen Montessori-Grundschule in Krefeld „#MissionInklusion – Die Zukunft beginnt mit dir“, wie sie die Aktion Mensch zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung dieses Jahr ausgerufen hat. Seit der Gründung vor 45 Jahren wird dieses Motto an jedem Unterrichtstag gelebt. Schon 1973 wurden das Miteinanderlernen von Kindern mit und ohne Handicap zum Grundprinzip erhoben und eigens dafür der barrierefreie Neubau anlegt. Ein Schulbesuch.

Jonas und Jonas haben nicht nur den gleichen Vornamen, sie sind Freunde. An diesem Morgen lernen sie in der Freiarbeitsphase zusammen Mathe, erklären sich die Welt, ohne – wie Vater Moritz Thevissen mit Schmunzeln sagt – „dass ein Lehrer dazwischengrätscht“. Jonas und Jonas mögen Fußball, Eishockey und „zocken“ natürlich gerne, vor allem Fortnite und Fifa; ganz normale Jungs eben. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Der eine ist „Rolli-Fahrer“ und stark eingeschränkt, der andere sein gesunder Klassenkamerad. Vor zwei Jahren ist Jonas von einer Förderschule an die Bischöfliche Montessori-Grundschule gewechselt. „Der Inklusionsgedanke war uns gar nicht so wichtig“, betont Moritz Thevissen, der an diesem Morgen den erkrankten Inklusionshelfer seines Sohnes vertritt. Wichtig war, dass „Jonas in seinen Fähigkeiten, aber auch seinen Beschränkungen wahrgenommen wird, und auch versucht wird, herauszukitzeln, was da ist, ohne ihn zu überfordern. Das schafft die Schule richtig gut.“ Eine Regelschule kam nicht in Frage, weil die Eltern nicht wollten, dass ihr Sohn immer ein Sonderling unter gesunden Kindern wäre. An der Krefelder Schule am Minkweg 28–30 ist jedes Kind „besonders“, und das ist ganz normal.

Bundesweit einmaliges Bildungs-Verbundsystem für Montessori-Pädagogik

„Bei dem einen ist das Anderssein in einer Behinderung begründet, bei einem anderen in der Statur, weil er groß ist oder zierlich, laut und temperamentvoll oder zurückhaltend“, vermittelt Mechthild Blasel-Kaneko, seit 2001 eine von 29 Lehrkräften, den Grundgedanken an der Bischöflichen Montessori-Grundschule. „Die Kinder profitieren enorm voneinander.“ Es sind die Herausforderungen intellektueller und sozialer Art, die sie mit- und aneinander wachsen lassen. Und so übt Benjamin mit Unterstützung eines Bufdis schreiben am Laptop, „weil ich nicht viel Druck habe, um mit der Hand zu schreiben“, während Emma eine Geschichte mit der Hand schreibt. Wölkchen sind zu sehen und Katzen, „weil ich und Justus eine Katze haben wollen“. An der Bischöflichen MontessoriGrundschule heißt das Prinzip „zielgleicher Unterricht“. Für alle Kinder gelten die Lehrrichtlinien der Grundschule vom Einmaleins bis zum Lesen-Lernen und den Umgang mit Texten und Sachverhalten. „Nach diesem Gesichtspunkt werden die Kinder auch eingeschult“, erläutert Schulleiter Joachim Cuypers. Das Ziel ist es, danach einen Wechsel an eine „normale“ weiterführende Schule zu ermöglichen. „Das erreichen wir nicht zu 100 Prozent, weil man die Entwicklung nicht immer vorhersehen kann“, räumt Cuypers ein, aber zu einem überzeugend großen Teil. Verantwortlich macht er dafür auch, dass die Grundschule Teil des „Montessori-Zentrums“ ist, zu dem außerdem das (Vorschul-) Kinderhaus mit rund 100 Plätzen und die Bischöfliche MontessoriGesamtschule mit rund 1000 Schülern gehören. „Diese Kompaktheit, was Montessori-Pädagogik angeht, ist bundesweit einmalig.“

 

Mechthild Blasel-Kaneko

Die Kinder profitieren enorm voneinander. 

Alle Einrichtungen folgen dem Prinzip der drei Säulen: Es sind katholische Einrichtungen, die Montessori-Pädagogik steht im Mittelpunkt, und Inklusion wird gelebt. Das ist sicht- und spürbar und schon beim ersten Betreten des Schulgebäudes klar: Ein großes Kreuz begrüßt die Gäste, davor die brennende Osterkerze, und ein Gebet steht in einem Glasrahmen daneben. Wie übrigens in jedem Klassenraum eine Kerze brennt und eine besondere Atmosphäre erzeugt, als wäre in diesen Räumen eine besondere Achtsamkeit zu Hause. Derzeit haben von rund 430 Kindern 22 eine anerkannte Behinderung. Innerhalb der letzten zehn Jahre hätten sich die Anmeldungen halbiert. Die Zahl ist entscheidend für den Schüler-LehrerSchlüssel: Am Minkweg 28–30 sind neben Grundschullehrern auch Sonder- und Sozialpädagogen im Einsatz, ergänzt um Bundesfreiwillige oder Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres. Der Grund für den Rückgang ist die von Deutschland unterzeichnete UN-Konvention, die ab 2011 inklusives Lernen an Regelschulen „auf den Stundenplan“ gebracht hat. 

 

Besonderes Augenmerk gilt der Lernumgebung für die Kinder

Differenziert betrachtet Cuypers diese Entwicklung für die Inklusionskinder. Das Einzugsgebiet seiner Schule umfasst einen 25-Kilometer-Radius. Kinder müssen einen bis zu 45-minütigen Schulweg in Kauf nehmen. Verständnis hat Cuypers daher für Eltern, die (grund-)schulnah wohnen und ihren Kindern diesen Weg ersparen möchten und die Kontakte zu Gleichaltrigen vor Ort fördern wollen. „Aber nicht für alle Kinder ist Inklusion die richtige Schulform.“ Und die Entwicklung innerhalb der vier Grundschuljahre ist zu betrachten. Eine gute Kooperation pflegt die Montessori-Schule daher zur Gerd-Jansen-Förderschule. Über- und Unterforderung werden im Blick behalten.

Die individuelle Begleitung gemeinsamen Lernens in der 45 Jahre langen Tradition und Erfahrung ist sicher besonders. Es geht nicht nur um die Vermittlung von Lerninhalten. Mechthild Blasel-Kaneko, die nach dem Studium zur Grundschullehrerin die Sonderpädagogik draufsattelte, trägt unter anderem Sorge dafür, dass die Lernumgebung für die Kinder gut ist. Die Fragestellungen: Brauchen sie Unterstützung, ist der Sitzplatz in Ordnung, sind andere Reize notwendig? Werden sie entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert? „Ich fühle mich verantwortlich, dass sie nicht nur ihr eigenes Arbeitsfeld gut beackern, sondern auch mit den anderen Kindern in Kontakt sind – dass es gute Verbindungen gibt.“ Dafür ist es wichtig, dass die Kinder möglichst im Klassenverband bleiben, außer wenn eine Überforderung vorliegt, eine Bewegungseinheit nötig ist oder eine Sitzposition für einen Rollstuhlfahrer geändert werden muss. „Man kann den Sonderstatus nie ganz aufheben. Wir wollen die Behinderung ja nicht wegreden“, sagt Mechthild Blasel-Kaneko.

Die Schule sucht noch junge Leute für das Freiwillige Soziale Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst. Kontakt unter https://bmmgrund.de.

Lernen an der Bischöflichen Montessori-Grundschule

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