Für Flüchtlinge ist Krieg immer nah

Andreas Funke mahnt, dass jetzt die Menschen nicht vergessen werden dürfen, die bereits als Geflüchtete im Bistum Aachen leben

In der Region Düren sind – wie vielerorts im  Bistum – die Menschen aus der Ukraine mit Bussen sicher eingetroffen. (c) Kreis Düren
In der Region Düren sind – wie vielerorts im Bistum – die Menschen aus der Ukraine mit Bussen sicher eingetroffen.
Datum:
16. März 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 11/2022 | Dorothée Schenk

Andreas Funke ist im Bistum Aachen zuständig für sogenannte „Migrationspastoral“. Er ist Seelsorger für Geflüchtete – nicht für Flüchtlinge, wie er betont. Denn die Menschen, die in Deutschland ankommen, sind nicht mehr auf der Flucht. Sie sind erst einmal in Sicherheit angekommen. 

Das gilt auch für die Menschen, die derzeit in allen Regionen des Bistums nach vielen Tagen der Angst und der Entbehrung aus dem Kriegsgebiet Ukraine empfangen werden. Bevor Zeit für die Seele ist, geht es den Menschen, die nach einer Flucht Krieg und Terror oft mit nicht viel mehr als dem nackten Leben und ein paar Habseligkeiten entkommen sind, zunächst um Lebenspraktisches: Wo findet sich Wohnraum und Essen? Wie stellt sich eine Versorgungssicherheit her? Und so ist Andreas Funke zum aktuellen Zeitpunkt mehr Organisator oder Kommunikator denn Seelsorger. Damit das Räderwerk ineinanderlaufen kann, verständigt sich der Seelsorger mit seinem 18-köpfigen Netzwerk aus Haupt- und Ehrenamtlichen in den Regionen.

Erinnerungen an 2015 werden wach

Das klingt in Summe auf das Bistum gerechnet nicht groß, garantiert aber Arbeitsfähigkeit, schmunzelt Andreas Funke. Aber natürlich sind diese 18 wieder die Koordinatoren des Netzwerks ihrer Regionen. Aktuell treffen sie sich alle zwei Wochen zur Videokonferenz „um gegenseitig voneinander zu hören und Unterstützung zu bekommen“. Grundsätzlich seien im Generalvikariat, in dem auch das Migrationspastoral seinen Stammsitz hat, viele Abteilungen vom Jugendreferat bis zur Kommunikationsabteilung in dem Thema verknüpft. Eine besondere Aufgabe kommt Wolfgang Huber, Referent für Fundraising im Bistum Aachen zu. Bei ihm, berichtet Funke, laufen auch viele Firmen auf, die Hilfsangebote machen.

Wer mit dem Thema „Hilfe für Flüchtlinge“ beschäftigt ist, dem kommen sofort Erinnerungen an 2015 hoch, als die syrische Bevölkerung vor den Bomben und der Willkür ihres Herrschers floh. Das hat aktuell den Vorteil, dass das Szenario bekannt ist, hier vor Ort schneller reagiert werden kann – und Fehler nicht wiederholt werden: „Wir hatten nicht so im Blick, was an Traumata und Retraumatisierung auf uns zukommt. Das haben wir diesmal durch die Erfahrungen, die wir leider schon 2015 sammeln mussten, viel mehr und können jetzt schon im Hinblick darauf versuchen, Angebote aufzustellen“, sagt Funke.

Die Konkurrenz von Geflüchteten

Ein großer Unterschied sei aber, dass es sich um Geflüchtete aus Europa handele und die Deutschen darum die Bedrohung eines Krieges selbst spürten, die sich vielfach in Hilfsbereitschaft zeigt. „Für die Flüchtlinge ist der Krieg immer nah, ob sie aus Syrien oder der Ukraine kommen“, sagt Andreas Funke und mahnt: „Wir dürfen aber nicht die Flüchtlinge aus den nicht-europäischen Ländern vergessen, die schon hier sind.“ Gerade aus den afrikanischen Ländern seien in den vergangenen Monaten verstärkt Menschen geflohen. Es würde nicht wahrgenommen, da Corona in der Nachrichtenlage alles überdecke – bis jetzt, da der Krieg in Europa das Thema Corona verdrängt habe.

Erst am Vortag hatte er, so erzählt Andreas Funke, den Anruf eines Geflüchteten erhalten, der sein Quartier in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) Wegberg für ukrainische Kriegsflüchtlinge verlassen musste. Seine Frage: „Sind wir jetzt Flüchtlinge 2. Klasse?“ Andreas Funke formuliert es ganz klar. „Diese Menschen werden miteinander konkurrieren: die einen, die im Asylverfahren sind, weil sie nicht aus Europa kommen, und warten müssen, bis sie einen Bescheid bekommen, um arbeiten zu dürfen. Und die anderen, die ukrainischen Flüchtlinge, die sofort arbeiten dürfen. Da müssen wir sehr aufpassen. Das ist unter anderem eine Aufgabe von Seelsorge, die Menschen da zu begleiten.“

Neben den europäischen Wurzeln teilen die Menschen aus der Ukraine mit ihrem derzeitigen Gastland auch den christlichen Glauben, wenn er auch eher der orthodoxen Richtung angehört. Andreas Funke knüpft schon jetzt Kontakt mit der katholisch-ukrainischen Gemeinde in Düsseldorf, um mittelfristig Seelsorge-Angebote machen zu können. Gleichzeitig wird überlegt, wie eine Aufnahme in die Gemeinden vor Ort im Bistum Aachen möglich ist oder wie die Geflüchteten nach ihren Riten Gottesdienste feiern können. „Das wird auch die Arbeit bei mir noch einmal verändern, weil wir feinfühlig mit diesem anders Christsein umgehen müssen und nicht unsere katholische Decken überstülpen, sondern hinhören müssen, was sie brauchen. Da müssen wir einfach gastfreundlich sein.“ Diese Aufgabe wird er nach und nach prüfen, wenn die Ersthilfe erfolgt ist. Eine erfüllende Tätigkeit, wie Andreas Funke trotz der anstrengenden Tage merken lässt. „In meiner Arbeit bin ich sehr nah am Evangelium: Was Du dem Nächsten tust, das hast Du mir getan. Das ist ein wichtiger Aspekt, warum ich diese Stelle und diese Arbeit auch mache.“