878 Menschen aus unterschiedlichen Nationen haben im vergangenen Jahr in Aachen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Ihre Einbürgerung feierten sie am letzten Samstag im August mit einer offiziellen Feier im Rathaus und einer langen Tafel der Vielfalt auf dem Katschhof.
2023 lud die Stadt zum ersten Mal zum Picknick auf den schönsten Platz Aachens ein, um mit allen Bürgerinnen und Bürgern die Vielfalt und Weltoffenheit der Stadt zu feiern. Aachenerinnen und Aachener, jung und alt, alteingesessen oder neu hinzugezogen, sind eingeladen, bei mitgebrachtem Essen und Getränken miteinander ins Gespräch zu kommen. Beim zweiten Termin, gut eine Woche nach dem Anschlag von Solingen und am Vorabend der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, sei es besonders wichtig, Position zu beziehen, betont Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen zur Eröffnung, gerade in Zeiten, in denen Vielfalt und Weltoffenheit in Frage gestellt würden.
Elisabeth Paul, die stellvertretende Städteregionsrätin, freute sich auf viele spannende Gespräche, das wolle man sich weder durch religiöse Extremisten, noch durch rechte Remigrationspläne kaputtmachen lassen. Paul unterstrich: „Hier wird die freie Gesellschaft gelebt.“ Die Teilnehmenden nehmen sie beim Wort, begleitet von einem bunten Bühnenprogramm, angefangen vom Stadtteilchor „InChorsiv“ Aachen-Ost/Rothe Erde über DJ-Sets und Tanzdarbietungen, nehmen an der gedeckten Tafel Platz und kommen bei bestem Wetter miteinander ins Gespräch.
Es ist locker und entspannt. Einige Zugänge sind mit Verkehrspylonen zugestellt, Ordnungsamt und Polizei sowie ein privater Sicherheitsdienst zeigen Präsenz. Eingangskontrollen gibt es keine, die Veranstaltung ist für alle frei zugänglich. Armin Bergstein, Leiter des Ordnungsamtes Aachen, erklärt, die Stadt wolle solche Veranstaltungen offen halten. Hier kämen Menschen zusammen, die friedlich miteinander feiern wollten. Das müsse auch in Zukunft möglich sein. Jedoch habe man das Personal, das auf der Veranstaltung Präsenz zeigt, etwas verstärkt.
„Ich freue mich, hier zu sein, das ist ein großes Glück für mich“, erzählt Natalia Popova. Sie ist vor zweieinhalb Jahren mit ihrer Mutter aus der Ukraine geflohen. Die Englischlehrerin hofft, dass ihr Diplom in Deutschland anerkannt wird, damit sie auch hier als Englischlehrerin arbeiten kann.
Auch Maryna Bets feiert an diesem Tag ihre Einbürgerung. Auch sie floh mit ihrem 13-jährigen Sohn vor dem Krieg in der Ukraine. In Deutschland ankommen, die Sprache zu lernen, das sei eine große Herausforderung, erzählt sie. Wie Natalia besucht auch sie vier Mal die Woche den Deutschkurs der Pfarrei Franziska von Aachen. In der Ukraine hat Maryna Bets im Bereich Marketing und PR gearbeitet, hat Musikfestivals und Kulturveranstaltungen organisiert. Das möchte sie auch hier machen. Einen ersten Schritt hat sie getan, sie macht ein Praktikum bei einer Event-agentur.
In Aachen haben beide Frauen hilfsbereite Menschen gefunden, unter anderem die ehrenamtlichen Dozentinnen und Dozenten eines Deutschkurses für Migrantinnen und Migranten, den die Pfarrei Franziska von Aachen organisiert. Vier Mal in der Woche treffen sich die Teilnehmenden, um Deutsch zu sprechen. „Es sind keine Anfänger mehr, die meisten haben schon einen Deutschkurs besucht. Das Schwierige ist aber, weiterhin aktiv Deutsch zu sprechen“, erzählt Ruth Hildebrandt. Die ehemalige Lehrerin gehört zum Team des Deutschkurses.
Zu Beginn waren die Gruppen heterogener, Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus Afghanistan, Syrien oder Eritrea. Aktuell nähmen vor allem Ukrainerinnen das Angebot wahr. Doch viele Teilnehmende hielten immer noch Kontakt. So wie Maher Dhhewee aus dem Irak. Er lebt seit vier Jahren in Aachen. Diese Zeit sei schwierig, denn während er auf die Anerkennung seines Status durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) warten musste, habe sein Leben praktisch angehalten. Den Bescheid habe er inzwischen, doch seine Familie warte noch auf ihre Bescheide.
Der Journalist ist noch auf Stellensuche. Auch das sei schwierig, erzählt er. Bürokratie und die Sprachbarriere seien Probleme, auch Diskriminierung. Da kämen viele Faktoren zusammen. „Die Europäer und auch die Deutschen stehen unter großem Druck“, beschreibt Dhhewee seinen Eindruck. Wirtschaftliche Probleme, nicht bewältigte Probleme mit der Zuwanderung, der Überfall Russlands auf die Ukraine, die instabile Lage im Nahen Osten, die seit dem 7. Oktober immer wieder zu eskalieren droht. Nicht zuletzt die Coronapandemie habe die Welt verändert: „Die Normalität ist bisher nicht zurückgekehrt, jeder ist noch für sich allein.“
Das Attentat von Solingen beschäftigt ihn: „Das ist inakzeptabel.“ Er hat jedoch das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen für etwas, für das er nicht verantwortlich ist. In der Nacht von Freitag auf Samstag verletzte in Siegen eine Frau in einem Bus mit einem Messer mehrere Fahrgäste, teils lebensgefährlich. Er sagt: „Das wird anders bewertet.“
Auch Ingeborg Heck-Böckler von der Save-me-Kampagne beschäftigen die jüngsten Ereignisse und die politische Instrumentaliserung des Attentats. Die Save-me-Kampagne begleitet Geflüchtete in der Region Aachen, schafft Begegnung und hilft bei der Integration. Heck-Böckler berichtet, dass ihr einige der Menschen, die die Kampagne betreut, spiegeln, dass sie seit Mannheim und Solingen anders angesehen werden. Gerade vor diesem Hintergrund sei die lange Tafel der Vielfalt ein wichtiges Zeichen: „Wir gehören zusammen.“