Frauen zeigen Gesicht

Ausstellung zur Interkulturellen Woche Krefeld gibt Einblicke in die Lebenswelten der Porträtierten

Schon lange war es der Wunsch der Künstlerin Mauga Houba-Hausherr, die selbst polnische Wurzeln hat, internationale Frauen in Krefeld zu zeichnen. (c) Ann-Katrin Roscheck
Schon lange war es der Wunsch der Künstlerin Mauga Houba-Hausherr, die selbst polnische Wurzeln hat, internationale Frauen in Krefeld zu zeichnen.
Datum:
4. Aug. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 31/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Tradition, Religion und Kultur – wenn wir darüber nachdenken, was uns als Mensch ausmacht, aber auch was uns voneinander unterscheidet, dann sind es diese drei Themenfelder, die uns immer wieder in den Sinn kommen. 

Mit reduzierten Pinselstrichen werden 30 internationale Frauen aus Krefeld zur Interkulturellen Woche gemalt. (c) Ann-Katrin Roscheck
Mit reduzierten Pinselstrichen werden 30 internationale Frauen aus Krefeld zur Interkulturellen Woche gemalt.

Dass diese aber nie klar voneinander zu trennen sind und nicht vereinzelt betrachtet werden können, zeigt ein besonderes Projekt der Künstlerin Mauga Houga-Hausherr und des Fachbereichs für Migration und Integration der Stadt Krefeld, mit dem am 25. September die Krefelder Interkulturelle Woche eröffnet werden wird.

Mit reduzierten Tuschezeichnungen werden unter dem Titel „Frauen zeigen Gesicht“ 30 Frauen internationaler Herkunft im Großformat dargestellt. Sie blicken frontal aus dem Bild heraus und vermitteln Selbstvertrauen. Sind – durch die reduzierte Zeichenart – weder durch Hautfarbe noch Augen- oder Haarfarbe zu identifizieren, geben durch individuelle Interviews Einblick in ihre Lebenswelten. Sie zeigen, wo die Stärke ihren individuellen Ursprung hat, beschreiben traditionelle, religiöse und kulturelle Unterschiede und erzählen darüber hinaus die persönlichen Einwanderungsgeschichten.

Auch Tagrid Yousef, die als Integrationsbeauftragte der Stadt das Projekt gemeinsam mit der Künstlerin initiiert hat, und Nil Cam, die in dritter Generation einer ehemaligen Gastfamilie aus der Türkei heute in Krefeld lebt, haben sich für das Projekt malen und interviewen lassen. „Kunst reißt Mauern ein und öffnet Menschen auf eine unkonventionelle und leichte Art“, bemerkt Yousef, die selbst als Kleinkind aus Palästina nach Deutschland kam. „Wir hatten immer wieder Frauen im Projekt, die aufgrund ihrer Herkunft Schwierigkeiten hatten, sich in den Fokus zu stellen. Hier begegnen wir Rollenbildern, die durch Generationen geprägt wurden.“ Und so werden einige Mitwirkende auch ohne Interview abgebildet – sie wehrten sich dagegen, öffentlich über ihre Geschichte zu sprechen. „Auch das müssen wir akzeptieren, denn es zeigt, wie unterschiedlich auch in Deutschland heute Frauen sind“, erklärt sie.

Nil Cam spricht ganz offen über ihre Herkunft, über Traditionen und Kultur und auch über die Religion, die sie seit ihrer Geburt vor 29 Jahren prägen. Cams Großeltern kamen als Gastarbeiter mit ihrer Tochter, Cams Mutter, nach Deutschland. Cams Vater zog für die Heirat ebenfalls aus der Türkei nach Krefeld. Die Familie lebt als Aleviten. Der Umzug nach Deutschland bedeutete für sie auch ein anderes Ausleben der eigenen Religion, denn in der Türkei werden Aleviten noch heute nicht akzeptiert und häufig sogar verfolgt. „Wir sind vor allem unter Strenggläubigen nicht anerkannt, weil wir nicht in die Moscheen gehen und unsere eigenen Gebetshäuser und Bräuche haben“, erklärt die junge Frau. „Es lebt immer eine unterschwellige Angst in uns.“ 1993 wurden bei einem Massaker in Sivas Menschen bei lebendigem Leib verbrannt, nur weil sie Aleviten waren. „Das ist nicht mal 30 Jahre her“, erinnert sie sich.

Werte sind prägend für den eigenen Weg

Nil Cam (li.), Alevitin, und Dr. Tagrid Yousef, Muslima, sind sicher, dass auch ihre Religion sie auf ihrem Weg zu einer starken Frauen geprägt hat - BIld AKR (1) (c) Ann-Katrin Roscheck
Nil Cam (li.), Alevitin, und Dr. Tagrid Yousef, Muslima, sind sicher, dass auch ihre Religion sie auf ihrem Weg zu einer starken Frauen geprägt hat - BIld AKR (1)

Den Ursprung hat diese Anfeindung in der Ausrichtung der Glaubenslehre. Aleviten berufen sich nicht auf eine heilige Schrift, sondern leben eine Religion, die sich am Menschen orientiert. Sie gelten als besonders tolerant im Glauben. „Gerade für meine Eltern muss das Leben in Deutschland mit vielen Unterschieden verbunden gewesen sein“, schildert Cam, die auch als Vorsitzende des Integrationsausschusses wirkt. „Mein Vater hat hier in Krefeld zum Beispiel den alevitischen Kulturverein mitgegründet. Ein offenes Bekenntnis zum Glauben wäre in der Türkei nicht wirklich möglich gewesen.“

Auch Tagrid Yousef, geborene Muslima, kennt die Diskrepanz zu den Traditionen, der Religion und der Kultur ihres Geburtslandes. Sie kam mit eineinhalb Jahren aus Palästina nach Deutschland, wuchs in einem traditionellen Elternhaus auf, erlebte aber gleichzeitig die Sozialisierung eines katholischen Kindergartens und einer kirchlichen Umgebung. Als sie älter wurde, hinterfragte sie immer wieder für sich selbst die eigene Religion und den eigenen Glaubensweg. Auf diesem hat sie sich zum Beispiel entschieden, im Alltag kein Kopftuch zu tragen. „Ich definiere Religion über mein Herz und darüber, dass ich etwas Gutes tue“, meint sie. „Ich brauche kein Kopftuch, um zu zeigen, dass ich religiös bin.“ Der Weg dahin war nicht immer einfach, denn gerade mit ihrem traditionellen Vater, der in 
Altenessen als Imam die erste Moschee gründete, stieß sie aufgrund ihrer unkonventionellen Art immer wieder zusammen.

„Für mich ist es wichtig, dass wir in den Blick nehmen, dass mein Vater nur die Werte weitergegeben hat, die er in seinem Land durch Tradition, Religion und Kultur erfahren hat“, bekräftigt sie. „Er hat es nicht besser gewusst. Für ihn war das der richtige Weg.“ Bildung diene da immer wieder als Möglichkeit, den Weg zu ändern. Yousef, die selbst promovierte Neurowissenschaftlerin ist, hat sich den Zugang zu Bildung selbst erkämpft. Ihre Mutter und Großmutter zum Beispiel hatten aber in der Heimat nur wenig Chancen. „Wie soll eine Frau, die nicht lesen oder schreiben kann, sich im Koran versichern, ob das, was sie von ihren Eltern oder von anderen Menschen der Gesellschaft über die Religion lernt, auch wirklich wahr ist?“, fragt sie in den Raum.

Sowohl für Nil Cam als auch für Tagrid Yousef sind die Werte, die an die kulturelle, religiöse und traditionelle Herkunft geknüpft sind, auch prägend für das ei-gene Verständnis als Frau. Die 30 im Kunstprojekt porträtierten Frauen haben auch die Fragen gestellt bekommen, worauf sie selbst stolz sind, und warum sie sich als stark verstehen. „Ich bin zum Beispiel stolz auf meinen unbändigen Gerechtigkeitssinn“, betont Cam. „Ich kann mir schon vorstellen, dass dieser vor allem auch dadurch geprägt wurde, dass das Schicksal und die Geschichte der Aleviten auch ein Teil meiner eigenen Geschichte sind. Meine persönlichen Erfahrungen haben mich bestärkt, mich auch politisch mehr für Frauen einzusetzen.“

Auch für Tagrid Yousef ist das eigene Bild einer starken Frau nicht von ihrer Herkunft zu trennen. „Ich kann mich an viele Situationen hier in Deutschland, aber auch bei Urlauben in Palästina erinnern, in denen ich als Frau für meine Art zu leben eintreten musste“, erklärt sie. „Am Ende hat mich jede dieser Begegnungen stärker gemacht.“
Die Ausstellung „Frauen zeigen Gesicht“ wird in der Interkulturellen Woche vom 25. September bis zum 3. Oktober im alten Schwimmbad auf der Gerberstraße 55 in Krefeld zu sehen sein.

Weitere Informationen zum Programm der Interkulturellen Woche sind online auf www.krefeld.de zu finden.