Fit für den Ganztag werden

Der SKF und das Sozialwerk Dürener Christen vermitteln Grundlagenwissen. Gute Chancen für Quereinsteiger

Karina Siebertz (Sozialwerk), Stephanie Heinrichs (SKF) und Claudia Geich (Sozialwerk, v. l.) stellten die Weiterbildung zur Fachkräftegewinnung vor. (c) Stephan Johnen
Karina Siebertz (Sozialwerk), Stephanie Heinrichs (SKF) und Claudia Geich (Sozialwerk, v. l.) stellten die Weiterbildung zur Fachkräftegewinnung vor.
Datum:
27. Juni 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2024 | Stephan Johnen

In zwei Jahren starten die ersten Grundschulkinder ihre Schullaufbahn mit einem Rechtsanspruch auf einen Platz in der Offene Ganztagsschule (OGS). Klingt zunächst nach keiner großen Veränderung, doch Zahlen der Bertelsmann-Stiftung lassen erahnen, vor welchen Herausforderungen die OGS-Träger stehen. 

Der erste Kurs startete im Frühjahr, weitere sind in Planung. (c) Stephan Johnen
Der erste Kurs startete im Frühjahr, weitere sind in Planung.

Bei 75 Prozent der Grundschulkinder im ländlichen Raum würden demnach Eltern das Recht auf einen OGS-Platz in Anspruch nehmen, im städtischen Raum sind es 80 bis 85 Prozent. „Vor anderthalb Jahren hatten wir 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im OGS-Bereich. Ab August 2029, wenn jedes Grundschulkind einen Anspruch auf ganztägige Betreuung hat, benötigen wir 1000 Mitarbeitende – ganz konservativ gerechnet“, erklärt Fachbereichsleiterin Stephanie Heinrichs vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) in Düren. In den Gruppenräumen mag es enger werden, die Personaldecke ist bereits heute schon eher dünn.

Der SKF betreut 26 OGS-Standorte mit 700 Kindern und gehört damit zu den größten Trägern im Kreis Düren; ab dem kommenden Schuljahr kommt ein weiterer Standort hinzu. Aus aktuell rund 700 betreuten Kindern werden bis 2029 perspektivisch 3000. „Wir brauchen daher heute schon Leute, die sich mit uns auf den Weg machen“, sagt Stephanie Heinrichs. Eine klassische Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher dauert mindestens zwei Jahre plus Anerkennungsjahr, die sogenannte praxisintegrierte Ausbildung ist weniger verbreitet als erhofft – und auch in den Kindertagesstätten sind Fachkräfte rar und daher auf dem Markt stark umworben.

Das Zukunftswerk des Sozialwerks Dürener Christen hat daher auf Anfrage des SKF einen Qualifizierungskurs konzipiert, um Quereinsteiger und Menschen, die etwa als Ergänzungskräfte im sozialen und erzieherischen Bereich tätig sind, „Fit für den Ganztag“ zu machen. In dem gleichnamigen Qualifizierungskurs wird in fünf Modulen das Grundlagenwissen für Mitarbeitende in der OGS vermittelt. Der erste Kurs startete im Frühjahr für SKF-Mitarbeitende, der zweite beginnt Ende August und steht auch allen anderen Trägern und Interessierten offen (siehe unten).

„Unser Zukunftswerk ist ein anerkannter Bildungsträger, wir decken ein breites Spektrum ab und bieten Workshops, Fortbildungen und Coachings an – sowohl für Schüler und Auszubildende als auch für pädagogische Fachkräfte und Ausbilder“, sagt Sozialwerk-Geschäftsführerin Karina Siebertz. Die Anfrage des SKF, ob das Zukunftswerk ein Angebot für OGS-Kräfte entwickeln kann, wurde mit einem klaren Ja beantwortet, zumal Projektleiterin Claudia Geich vom Team Zukunftswerk auch als Fachberatung für den OGS-Bereich Erfahrung sammelte. Die Unterrichtsmodule wurden in enger Kooperation mit den eigenen Pädagogen, aber auch mit Psychologen und der Fachberatung des SKF entwickelt. Im ersten Modul werden die Grundlagen von Bildung, Erziehung und Betreuung vermittelt, dann folgen vertiefende Informationen zu Entwicklung, Erziehung und Gruppenprozessen. Kommunikation und Konfliktbewältigung sind Lernstoff, ebenso Konzepte für Bewegung, Spiel und Freizeit (-Angebote). Geplant ist, das LVR-Gütesiegel „OGS-Fachkraft“ zu beantragen, damit die Weiterbildung bei möglichst vielen Trägern Anerkennung findet.
„Wir sehen im Alltag, dass wir bereits heute viele Kräfte haben, die als Ergänzungskraft unterwegs sind und ganz klar ein Händchen für Kinder haben“, sieht Stephanie Heinrichs ein bis dato nicht voll ausgeschöpftes Potenzial. Die nun mit dem Sozialwerk initiierte Weiterbildung ermögliche eine fundierte Qualifizierung pädagogischer Quereinsteiger. „Wir werden den Fachkräftemangel nicht anders lösen können“, ist Stephanie Heinrichs überzeugt. Viel Potenzial gebe es auch im Bereich der Menschen mit Migrationsgeschichte, die beispielsweise in ihrem Herkunftsland als Erzieherin und Erzieher oder Grundschullehrerin und -lehrer gearbeitet haben, deren Abschlüsse aber nicht anerkannt werden.

„Das bisherige Feedback ist überragend. Wir merken die Effekte bereits in den Gruppen“, bilanziert Stephanie Heinrichs. Die Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten für Pädagogik und Psychologie habe den Blick der bisherigen Ergänzungskräfte geweitet, neue Perspektiven eröffnet. „Wir wollen unsere Methoden und Inhalte vermitteln, aber gleichzeitig auch selbst lernen. Dieser Austausch funktioniert wunderbar“, spricht Projektleiterin Claudia Geich von einem „lernenden Modell“. Sollte weiterer Bedarf vorhanden sein, kann sich der Bildungsträger vorstellen, das Angebot auch auszubauen. Mit Blick auf das Thema Fachkräftegewinnung wird in der Region Düren ohnehin ausgelotet, welche weiteren Kräfte sich sinnvoll bündeln lassen (siehe „Nachgefragt“).

Neuer Kurs

Die nächste Weiterbildung „Fit für den Ganztag“ startet am Dienstag, 27. August, beim Sozialwerk in Düren. Die 26 Termine finden immer dienstags von 8.30 bis 12.30 Uhr statt. Bildungsschecks können geltend gemacht werden. Mehr Infos zur Anmeldung und zu den Kosten unter www.zukunftswerk-dueren.de.

„Leute am Start, die sich etwas trauen“

(c) Bistum Aachen/Andreas Steindl

Der Fachkräftemangel macht auch vor den Sozial,- Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegeberufen keinen Halt. Im Gespräch mit der KirchenZeitung skizziert Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens, wie ein Zusammenschluss aller Akteure regional eine Qualifizierungsoffensive starten könnte.

Herr Jentgens, der Sozialdienst katholischer Frauen und das Sozialwerk Dürener Christen haben eine Kooperation gestartet, um Mitarbeitenden in den Offenen Ganztagsschulen Grundlagenwissen zu vermitteln. Ist dies der erste Schritt auf dem Weg zur Gründung eines eigenen Bildungsträgers?

Jentgens: Wir unterstützen als Diöze-sancaritasverband solche ersten Schritte und haben in der Region Düren jüngst zu einer Art Initialtreffen eingeladen. Wir sind noch lange nicht in der Phase, in der wir sagen: Wir gründen einen Bildungsträger. Aber wir wollen mit ganz unterschiedlichen kirchlichen Trägern in der Region Düren, die als Arbeitgeber zunehmend nach Fach- und Assistenzkräften fragen, gemeinsam eruieren, ob es einen Bedarf gibt an beruflichen Quereinsteigenden. Am Tisch saßen neben Vertretern der Bildungsträger auch Träger aus der Erziehungs- und Sozialwirtschaft sowie Häuser der Pflege- und Gesundheitsbranche, die zum Teil über eigene Pflegeschulen verfügen.  

 

Wie hoch schätzen Sie das Potenzial ein, Quereinsteigende zu finden, die sich beruflich weiterentwickeln möchten?
Jentgens: Mit den richtigen Angeboten grundsätzlich sehr hoch! Es gibt viele Menschen, die unübliche Lebensbiografien haben oder die aus einem anderen Kulturkreis kommen und bei denen die ein oder andere schulische Voraussetzung fehlt, die bei den klassischen Aus- und Weiterbildungen aber formal relevant sind. Gerade im Sozialbereich erleben wir dies sehr oft. Wir können aber dennoch allen Menschen, die Freude an dieser Form der Arbeit haben, die über Empathie, Reflexionsfähigkeit und Lebenserfahrung verfügen, einen guten Weg bereiten. Auf-seiten der Arbeitgeber setzt dies ein gewisses Maß an Experimentier- und Innovationsfreude voraus.

 

Warum richtet sich der Blick nach Düren?

Jentgens: Weil dort viele interessierte Leute sind, die mit neuen Ideen vorankommen wollen. In Düren sind genau die Leute am Start, die sich etwas trauen und die gegen den Trend sagen: Wir müssen etwas investieren. Zudem paart sich diese Entschlossenheit mit den Überlegungen des Kreises Düren, stärker in den Bereich Bildung zu investieren. Gemeinsam mit dem Sozialdienst katholischer Frauen Düren suchen wir bereits neue Wege, wie Menschen für die Sozialwirtschaft gewonnen werden können. Wenn wir wollen, dass dies eine lohnenswerte Perspektive ist, bedarf es der Kraftanstrengung aller, einer Vernetzung, um Anschlüsse zu existierenden Bildungswegen zu ermöglichen und bei Lücken neue Angebote zu initiieren. Das erste Treffen hat stattgefunden, wir wollen uns weiter beraten und das gemeinsame Vorgehen koordinieren. Als Diöze-sancaritasverband engagieren wir uns gerne. Wir sehen es als unsere prägnanteste Aufgabe, diese Vernetzung herzustellen, einen Anschub zu geben, damit so etwas auf den Weg kommt.