Der Sommer ist die Zeit des Urlaubs, der Erholung, des Durchatmens und des Entschleunigens. Da drängt sich der Gedanke auf, dass gerade jetzt die ideale Zeit für Exerzitien ist. Doch wer glaubt, Exerzitienarbeit wären unbeschwerte Ferien für die Seele, irrt. Dass in dem Begriff das Wort „Arbeit“ steckt, hat seinen Grund.
Vortragsexerzitien, Einzelexerzitien,Impulsexerzitien, Straßenexerzitien, Ignatianische Exerzitien, Exerzitien im Alltag, in der Fastenzeit oder im Schweigen: Wer den neuen Kalender der Fachstelle für Exerzitienarbeit durchblättert, stößt auf eine Reihe unterschiedlicher Formen. Als Tagesangebot oder für eine Woche versprechen sie eine Auszeit vom hektischen Alltag. Auch die Orte, zu denen bekannte Klosteranlagen gehören, klingen wie ein Versprechen stressfreien Ausspannens. Sind Exerzitien da nicht die ideale Urlaubserholung?
Die Antwort von Patrick Wirges, Leiter der Fachstelle für Exerzitienarbeit, ist da ganz klar: „Exerzitien sind keine Wellnessgeschichte“, sagt er. „Es geht um Entscheidungen, um tiefere Prozesse.“ Exerzitien sind geistliche Übungen. Wirges nennt sie auch „Trainingslager“. Die Übungen helfen, wichtige und größere Lebensentscheidungen zu treffen. Im Alltag unterstützen sie dabei, sich auf sich selbst und seine Beziehung zu Gott zu besinnen.
Entsprechend sind die Fragestellungen: Wer bin ich? Wo will ich hin? Während der Exerzitien ist man mit sich und Gott allein – schweigend. Meditation, Gebet, die Bibel und die Erforschung des eigenen Gewissens stehen auf der Tagesordnung. Man ist auf sich selbst zurückgeworfen. Weil diese Auseinandersetzung mit sich selbst mitunter schwierig werden kann, ist eine Begleitung wichtig. Das gilt vor allem für große Exerzitien über mehrere Tage oder einen Monat. „Wenn es um Übung geht, dann geht es immer darum, etwas zu lernen und sich weiterzuentwickeln“, sagt Wirges. Entsprechend anstrengend können Exerzitien werden. „Das kann auch mal schweißtreibend sein.“
Weil es um tiefe Lebensfragen geht, muss man besonders für große Exerzitien psychisch gefestigt sein. Denn sie können an den Grundfesten rütteln. „Das ist nur etwas, wenn man stabil ist“, stellt Wirges klar. „Bei psychischen Problemen darf man das nicht machen.“
Aber auch wer stabil ist und sich auf diese Erfahrung einlässt, sollte beachten, dass die Exerzitien professionell begleitet werden. Begleitpersonen geben Impulse und Hinweise – ohne die begleitete Person in eine Richtung zu drängen. Denn die Antworten auf seine Fragestellungen und den Weg zu seinen Lebensentscheidungen muss man selbst finden. Auch wenn die Reise kein unbeschwerter Urlaub ist: Wer sich dieser Arbeit stellt, kann am Ende durchaus ein Gefühl der Leichtigkeit und des Durchatmens haben.
Das kann auch schon bei kleineren Exerzitien-Formen klappen. Bei Exerzitien im Alltag bekommen die Teilnehmenden jeden Tag einen Impuls von den Begleitenden. Zwar setzt man sich auch hier mit seinen Lebensfragen selbst auseinander. Allein ist man allerdings nicht. „Man ist immer mit anderen unterwegs“, sagt Wirges. „Die Erfahrungen werden ausgetauscht, und man trifft sich in der Regel einmal in der Woche mit den anderen Teilnehmenden.“ Im Austausch achtet die Begleitung darauf, dass die Rückmeldungen der Teilnehmenden nicht wertend oder belehrend sind.
Exerzitien gehen auf Ignatius von Loyola zurück. Im 16. Jahrhundert lebte der Priester, der seinen Glauben auf dem Krankenbett fand. Als Ritter kurierte er eine Verletzung aus. Dabei soll er sich der Lektüre der Heiligen Schrift zugewandt haben. Die Zeit veränderte den ehemaligen Lebemann: Aus ihm wurde ein tief gläubiger Mensch, der später den Jesuitenorden gründete.
Aus dem Alltag aussteigen, in die Stille gehen, allein mit der Bibel und betend Gott suchen: Das Konzept des Ignatius von Loyola besteht bis heute. Auch wenn es zu seiner Zeit üblich war, für 30 Tage in die Exerzitien zu gehen. Neue Formen bieten die Möglichkeit, sich auch im Alltag auf das Wesentliche im eigenen Leben zu besinnen.
Dabei wird auch mit ganz neuen Formen experimentiert. Zu den Heiligtumsfahrten hat die Fachstelle für Exerzitienarbeit Straßenexerzitien in Mönchengladbach und Aachen angeboten. Die Teilnehmenden sind für drei Stunden in das Stadtgeschehen eingetaucht – ohne Geld, ohne Smartphone, ohne Plan. Aufmerksam für andere haben sie sich vom Leben einladen lassen, neue Erfahrungen zu machen.
Auch die digitale Welt wird in die Exerzitienarbeit mit eingebunden. Zum ersten Mal bietet die Fachstelle einen Onlin-Kurs zum Beten an. Das sind keine Exerzitien im klassischen Sinn, sondern ein spiritueller Kurs. Die digitale Welt wirft neue Lebensfragen auf.
Wer’s ausprobieren möchte: Gerade ist der neue Exerzitienkalender erschienen. Online ist er zu finden unter www.exerzitienarbeit-bistum-aachen.de Das gedruckte Heft ist bei der Fachstelle für Exerzitienarbeit bestellbar.
Kontakt: Bettrather Straße 22, 41061 Mönchengladbach, Telefon 0 21 61/57 64 98 85
Ganz neu ist der Online-Kurs Beten, der im August und September per Zoom stattfindet. „Die digitale Vernetzung schafft ganz neue Möglichkeiten“, sagt Patrick Wirges.