Etwas, das wachsen muss

Was heißt heute: Glauben weitergeben?

Zwei kluge Köpfe, welche die Leidenschaft teilen,  Glauben und Leben zusammenzubringen: Benno Groten (l.) und Rainer Oberthür. (c) Thomas Hohenschue
Zwei kluge Köpfe, welche die Leidenschaft teilen, Glauben und Leben zusammenzubringen: Benno Groten (l.) und Rainer Oberthür.
Datum:
24. Juli 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2018

Bischof Helmut Dieser hat einen Prozess ausgerufen, der ausloten soll, wie der Glaube an Gott heute gelebt werden kann. Einen Beitrag dazu können 3000 Religionslehrerinnen und -lehrer leisten, die mit bischöflicher Sendung ihren Dienst an Schulen im Bistum Aachen tun. Benno Groten und Rainer Oberthür vom Katechetischen Institut erklären im KiZ-Interview, warum und wie.

Der Bischof möchte mit „Heute bei dir“ ausdrücklich die Menschen erreichen, die sich im Moment nicht von der Kirche angesprochen fühlen. Welche Verbindung sehen Sie da zum Religionsunterricht?

Benno Groten   Das, was Bischof Dieser methodisch anstrebt, ist das, dem wir Religionspädagogen tagtäglich ausgesetzt sind. Wir arbeiten jeden Tag mit Kindern und Jugendlichen, die ganz im Hier und Jetzt leben. Ihre Familien haben häufig wenig oder gar nichts mit der Kirche zu tun. Gleichgültigkeit prägt das Bild oder sogar Ablehnung. Aber große Lebensfragen gibt es in diesen Familien und bei den Kindern und Jugendlichen genauso, und diese führen auch irgendwann zu den Fragen des Glaubens. In diesem säkularen Umfeld müssen Religionslehrer überzeugen, durch ihre Haltung, durch ihre Sprache, durch einen authentischen Zugang. Ansonsten bestehen sie den schulischen Alltag nicht und sie verfehlen ihren Auftrag.

 

Häufig wird ja dieser Auftrag als „Weitergabe des Glaubens“ beschrieben. Wie würden Sie selbst ihn beschreiben?

Rainer Oberthür   Ich bin ganz ehrlich: Wenn es heißt, der Glaube muss weitergegeben werden, hege ich eine gewisse Skepsis. „Weitergabe“ kann schnell unterstellen, dass auf beiden Seiten etwas Fertiges da steht, das nur gelehrt und erlernt werden muss. Aber ich erfahre tagtäglich: Es geht um die Entwicklung eines Glaubens. Jeder geht seinen ganz persönlichen Weg, über Höhen und Tiefen. Krisen gehören dazu, sonst ist ein Glaube selten auf Dauer tragfähig. Als Religionspädagogen geben wir Impulse, diesen Weg zu gehen. Mit Wissen allein im formalen Sinn ist es nicht getan. Es geht um eine persönliche Aneignung.

 

Stößt dieser offene Ansatz überall auf uneingeschränkte Zustimmung?

Benno Groten   Es gibt auch die Gegenstimmen, die mit Vermittlung des Glaubens die Vermittlung von Dogmen meinen. Wir glauben, dass wir mit so einem Ansatz ins Abseits gerieten und wirkungslos würden. Und doch tun wir alles andere, als die tradierten Glaubensinhalte zu verraten. Wir übersetzen sie immer in die Sprache der Zeit. Und wir bieten sie an, als mögliche Antworten auf Lebensfragen, auf Fragen nach Sinn, auf Fragen nach Gott. Unter diesen Vorzeichen ermöglichen wir auch eine Begegnung mit der Bibel, die anschlussfähig ist. Wir verstehen uns als Teil von Kirche, die in der pluralen Gesellschaft wertvolle Botschaften für die Gemeinschaft und für jeden Einzelnen bereithält.

 

Worum geht es also letzten Endes bei diesem Verständnis von Religionsunterricht?

Rainer Oberthür   Es geht darum, dass sich die Kinder und Jugendlichen selbst Perspektiven für ein sinnvolles, glückliches Leben erschließen. Das halten wir für eine nachhaltige Form, ihnen als Teil von Kirche zu begegnen. Das höre ich immer wieder von jungen Menschen: Der Religionsunterricht ist für sie gut, weil sie soviel selbst herausfinden müssen. Ihnen wird nichts Starres und Fertiges vorgesetzt. Diese Erfahrung ist für die meisten befreiend, denn sie kennen das Andere zu Genüge aus anderen Situationen, aus der Familie, aus der Schule – und leider auch von der Kirche.

 

Welche Erfahrungen machen Sie in dieser Art, Ihre Arbeit zu tun?

Rainer Oberthür   Wenn den Schülerinnen und Schülern klar ist, dass es nicht um formalen Lernstoff geht, kommen wirklich spannende Gespräche in Gang. Bei dem komplexen Thema Trinität stoßen auch wir Erwachsene an Grenzen, das Geheimnis zu verstehen. Aber dass Gott sich so kleingemacht hat, indem er Jesus als seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, der dann auch für uns Menschen gelitten hat und gestorben ist – das ist etwas, worüber wir intensiv reden. Oder nehmen wir das Vaterunser. Dieses Gebet erschließt sich am besten über die Fragen, die das Leben an uns und an Gott stellt. Die Kinder und Jugendlichen bergen alles in sich, um über diese tiefen Glaubensfragen zu reden und sie als wichtig für sich selbst anzunehmen.

Benno Groten   Es ist oft verblüffend, was im Religionsunterricht geschieht, zum Beispiel wenn eine Erzählung über Jesus Zeit erhält, zu wirken. In dieser Situation wird das Leben zum Klingen gebracht, in einer enormen Dichte von Gedanken und Gefühlen. Ich empfinde das als eine spirituelle Erfahrung. Wir machen sie möglich, indem wir authentisch sind, in dem, wie wir Lehrkräfte auftreten und wie wir unser Angebot unterbreiten. Wir haben Werte, ja, aber wir wissen auch, dass wir diese Werte in einer pluralen Gesellschaft einladend anbieten müssen. Denn wir haben das ganze Spektrum vor uns sitzen.

 

Was kann vor diesem Hintergrund die Kirche vom Religionsunterricht lernen?

Rainer Oberthür   Es braucht eine Haltung, die das Christliche sichtbar macht. Unsere Werte zu verstehen und zu erleben, schätzen auch atheistisch geprägte Menschen und Andersgläubige. Aber wer glaubt, hat eher mehr Fragen als Antworten. Mit diesem suchenden Selbstverständnis sollte die Kirche den Menschen begegnen. Sie hat sich über Jahrzehnte zu wenig getraut, sie im Glauben erwachsen werden zu lassen. Wir meinen, im Religionsunterricht üben wir ein, die Menschen in ihrem heutigen Leben wahrzunehmen und auf sie zu hören. Sie bringen alles mit, was sie für ein gelingendes Leben brauchen, das im besten Fall auch eine enge Beziehung zu Gott aufbaut. Dafür wollen sie aber ernst genommen werden. In einer guten Unterrichtsstunde geschieht eine ehrliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem, was die Menschen an Themen mitbringen. Dabei wird der Glaube befragt, bekannt und begründet.

Benno Groten   Es braucht ein Verständnis von Glauben, das vor der Vernunft verantwortet ist, aber das Herz nicht ausblendet. In diesem Sinne sollte die Haltung der Kirche die des Religionsunter- richtes sein: die Menschen im Glauben wachsen lassen, ihnen Krisen zugestehen, und dadurch auch im Glauben erwachsen werden lassen. Das Leben stellt an jeden von uns genügend Fragen, die gute Antworten brauchen. Mit einem naiven Glauben aber komme ich nicht dahin.

 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.