Etwas Schönes schaffen

Chorprojekt zur Solidaritätskollekte macht auf die Situation prekär beschäftigter Menschen aufmerksam

Gemeinsam singen – es steht sinnbildlich dafür, dass vieles in Gemeinschaft leichter geht. (c) Kathrin Albrecht
Gemeinsam singen – es steht sinnbildlich dafür, dass vieles in Gemeinschaft leichter geht.
Datum:
26. Mai 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 21/2022 | Kathrin Albrecht

Wer prekär beschäfitgt ist, ist oft auf sich allein gestellt, vereinzelt, vereinsamt. Eine Aktion zur diesjährigen Solidaritäts-Kollekte des Bistums Aachen nimmt Menschen in prekärer Beschäftigung in den Blick und möchte sie mit einem Chorprojekt ermutigen, aus dieser Isolation auszubrechen. 

Musik dringt aus der Aachener Citykirche hinaus in die Fußgängerzone. An diesem Vormittag haben sich rund 15 Sängerinnen eingefunden, um gemeinsam mit der österreichischen Jazzsängerin und Chorleiterin Tanja Raich zu proben. Die Sängerinnen sind Teil des Projekts „#gemeinsam – viele Stimmen, ein Klang“, das im Rahmen der diesjährigen Solidaritäts-Kollekte auf die Situation prekär beschäftigter Menschen aufmerksam macht.

Immer wieder stimmen sie einzelne Passagen an, das wechselt sich ab mit Stimm- und Bewegungsübungen – beim Singen arbeiten nicht nur die Stimmbänder. Die Freude am gemeinsamen Tun ist den Teilnehmerinnen anzusehen. Sie lassen sich ein auf die Übungen, gehen beim Gesang mit. Einige Passanten lassen sich spontan in die Kirche locken, um zuzuhören. „Es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam zu singen und auf diese Weise seine Solidarität zu zeigen“, bringt es Judith Birx auf den Punkt. Sie ist Referentin für Erwerbslosenarbeit im Bistum Aachen und am Nell-Breuning-Haus verortet. Ihr 
Wirkungsfeld ist der Koordinationkreis kirchlicher Arbeitsloseninitiativen im Bistum Aachen. Mehr als 30 Projekte und Initiativen für erwerbslose und prekär beschäftigte Menschen werden durch das Bistum Aachen koordiniert und aus den Mitteln des Solidaritätsfonds gefördert. Das Chorprojekt soll über das Soli-Kollektenwochenende hinaus eine nachhaltigere Resonanz hervorrufen, das Thema in den Köpfen länger wachhalten. Ausdrücklich sind alle Menschen zum Mitsingen eingeladen – ohne Beschäftigung, prekär beschäftigt, von Arbeitslosigkeit bedroht oder alle, die im wahrsten Wortsinn ihre Stimme für mehr Gerechtigkeit und Gemeinschaft in der Gesellschaft erheben wollen. Als prekäre Beschäftigung gelten Arbeits- oder Lohnverhältnisse, die unter dem Mindestlohnniveau liegen und keine Mindeststandards beim Arbeitsschutz und den Sozialabgaben einhalten.

In der Kirche St. Matthias Hohenbudberg probten die Krefelder Sängerinnen und Sänger. (c) Bistum Aachen/Jari Wieschmann
In der Kirche St. Matthias Hohenbudberg probten die Krefelder Sängerinnen und Sänger.

24 Sängerinnen und Sänger haben sich im Raum Aachen angemeldet, 21 weitere sind es in Krefeld. „Aus Mönchengladbach wünschen wir uns mehr Anmeldungen“, sagt Birx. Das Projekt läuft noch, Anmeldungen sind weiterhin möglich. Auch Probentermine gibt es im Juni noch, jeweils vormittags von 10.30 bis 12 Uhr. In Aachen wird das am 7. Juni in der Citykirche sein, in Krefeld am 9. Juni in St. Matthias Hohenbudberg. Am 14. Juni wird in Mönchengladbach beim Volksverein geprobt.

Gesungen wird nicht nur bei den gemeinsamen Proben. Tanja Raich hat jede Gesangsstimme eingesungen und als MP3-Datei zur Verfügung gestellt, sodass die Teilnehmenden ihren Part auch zu Hause üben können. Am Ende sollen alle Stimmen digital aufgenommen und zu einem Chor zusammengeführt werden. Das fertige Video ist dann online auf Youtube, der Homepage des Bistums und auf Facebook abrufbar. Bis zu den Sommerferien soll es soweit sein. Auch ein physisches Konzert ist geplant, doch die Corona-Pandemie ist in den Planungen immer noch eine unwägbare Unbekannte. 
Als Musikstück wurde der Song „High Hopes“ der US-amerikanischen Band „Panic! At the Disco“ ausgewählt. „Es ist ein sehr kämpferisches Lied, das sehr viele ermutigende Passagen enthält und die Botschaft vermittelt, niemals aufzugeben“, erläutert Kathrin Henneberger, Referentin für Fragen der Arbeitswelt und Betriebspastoral im Bistum Aachen.

Wer sich den Song auf Youtube einmal anhört, wird ihn so schnell nicht wieder los. „Ich wusste nicht wie, aber ich hatte immer das Gefühl, ich muss aus der Masse herausstechen“, heißt es im Refrain. „Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen vereinzeln oft sehr stark, können sich nicht organisieren und haben das Gefühl, in ihrer Situation gefangen zu sein“, erzählt Kathrin Henneberger weiter, „hier erleben sie, dass sie gemeinsam etwas Schönes schaffen können.“

Es sei ein durchaus anspruchsvolles Stück, ergänzt Tanja Raich, die als Vocal Coach derzeit am Aachener „Dasda-Theater“ arbeitet: „Es ist sehr rhythmisch und enthält viel Text.“ 
Für das Projekt konnte sie sich sofort begeistern: „Ich finde es super, dass man Menschen mit ins Boot holt, die sonst nicht so viel singen. In einer Gruppe zu singen, das macht etwas mit einem. Beim Singen im Chor wird zudem ein ‚Kuschelhormon‘ freigesetzt. Schon nach kurzer Zeit spüren wir, wie befreiend singen sein kann – egal, ob wir alle Töne treffen oder nicht.“ Vorkenntnisse sind beim Projekt daher nicht vonnöten: „Die erfahrenen Sängerinnen und Sänger ziehen diejenigen mit, die nicht so viel Erfahrung haben“, weiß Tanja Raich.

Nach anderthalb Stunden ist die Probe in der Citykirche beendet. Für die Chorleiterin gibt es von den Teilnehmerinnen Applaus. „Ich hätte nie gedacht, dass ich im Chor singen kann“, erzählt eine Teilnehmerin, „das wird bestimmt wunderschön.“ 

Wer noch beim Projektchor mitmachen möchte, kann sich per E-Mail bei Judith Birx: judith.birx@nbh.de anmelden. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.solidaritaetskollekte.de. Dort sind auch Informationen zu finden, wie sich die Erwerbs-losenarbeit im Bistum Aachen unterstützen lässt.