Es passierte auch hier

Kirchliche Initiativen pflegen die Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus

Pfarrer Rainer Gattys legt in Erinnerung an die Würselener Juden Steine auf den Altar. (c) Vladimir Shvemmer
Pfarrer Rainer Gattys legt in Erinnerung an die Würselener Juden Steine auf den Altar.
Datum:
22. Jan. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 04/2019 | Kathrin Albrecht
Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Allein 1,1 Millionen Menschen hatten in diesem Vernichtungslager den Tod gefunden.

Auschwitz steht seitdem stellvertretend für die Shoa, für Unmenschlichkeit und Brutalität und für das industriemäßige Auslöschen menschlichen Lebens.


Seit 1996 ist der 27. Januar auch in der Bundesrepublik ein offizieller Gedenktag. Eingeführt hatte ihn der damalige Bundespräsident Roman Herzog. Er verband damit die Hoffnung, „wir möchten gemeinsam Formen des Erinnerns finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken“. Im Bistum Aachen haben es sich kirchliche Gruppen zur Aufgabe gemacht, an die Gräuel der NS-Zeit zu erinnern. In ihren Veranstaltungen wird vor allem eines deutlich: Es passierte auch vor der eigenen Haustür.

Die Stele vor der katholischen Pfarrkirche St. Laurentius in Grefrath erinnert an einen Türrahmen. Der massive Block in seiner Mitte ist ein bisschen verrückt. Er soll nach der Vorstellung des Künstlers Manfred Messing die Situation der deutschen Juden darstellen, die in ihrer Geschichte mehrmals aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren. Auf dem Block sind die Namen der 35 Grefrather und Oedter Bürger jüdischen Glaubens eingraviert, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Auf einer anderen Seite ist das Gedicht „Und die Meinen haben es getan“ von Bischof Klaus Hemmerle sowie ein Vers aus Jesaja zu lesen. Für die Installation der Stele im Jahr 2004 hatte sich Irmgard Tophoven eingesetzt.

Seitdem organisiert sie zusammen mit der katholischen und evangelischen Gemeinde dort jährlich Gedenkveranstaltungen zum 9. November und zum 27. Januar. „Der Stein ist ein sichtbares Zeichen, ein Lernort, gerade für die jüngere Generation“, sagt die ehemalige Lehrerin für Deutsch und Geschichte. So ist es ihr auch wichtig, dass Firmlinge und Konfirmanden bei den Gedenkfeiern eine Rolle übernehmen. „Die Wurzeln des Christentums liegen im Judentum“, unterstreicht Tophoven. Trotzdem habe sich im Christentum eine anti-jüdische Haltung entwickelt, die das Verhältnis über Jahrhunderte prägte. Erst mit Papst Paul VI. habe ein Umdenken stattgefunden. Auch dies zu vermitteln, ist Irmgard Tophoven wichtig. „Es waren Christen, die Juden ausgegrenzt und weggesehen haben. Als Christen haben wir auch eine besondere Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.“

In Aachen organisieren die Seelsorge der Citykirche und die KFD jedes Jahr eine Erinnerungsfeier zum 27. Januar. Dass Antisemitismus und Rassismus mit dem Ende des NS-Regimes nicht verschwanden, weiß die KFD-Diözesanvorsitzende Marie-Theres Jung aus eigener Erfahrung. Der Vorsitzende der Kameradschaft Aachener Land lebte in ihrer Nachbarschaft: „ Fast täglich liefen junge Männer mit tätowierten Hakenkreuzen an meinem Fenster vorbei. “ Auf ihre Initiative hin arbeitete die KFD Langerwehe die Geschichte jüdischer Bürger in der NS-Zeit auf, Gedenksteine wurden verlegt. Die Kameradschaft ist zwar inzwischen verfassungsrechtlich verboten, doch völkisches Gedankengut und Rassismus hätten inzwischen die Mitte der Gesellschaft wieder erreicht, das belege auch die wachsende Zahl der AFD-Wähler.

Monika Schmitz, Mitglied im Vorstand des KFD-Diözesanverbandes, ist geprägt von einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz: „Weder vorher noch nachher hat mich etwas so elementar berührt wie dieser Ort. Scham, Wut und Trauer, unendliche Trauer, das waren die Gefühle, die die Tage in Auschwitz begleitet haben. Auschwitz vergisst man nie wieder.“ Ihre Überzeugung ist es, „dass es keine Ausgrenzung von Menschen geben darf, die anders glauben oder anders denken als wir. Auseinandersetzungen ja, aber die Würde des Menschen ist unantastbar. Es muss möglich sein, Kompromisse zu finden und gemeinsam leben zu können. Demokratie leben.“ Die Vergangenheit habe gezeigt, wie schnell ein Feuer entsteht, das nicht mehr zu löschen ist. Auch damals hatten die Menschen nicht geglaubt, dass das Volk von Goethe, Schiller und Bach diese Barbarei zulassen würde, und doch sei es geschehen. Gerade heute, wo es wieder beginne, dass ganze Völkergruppen verurteilt werden und auch die Politik weltweit zunehmend populistische Tendenzen zeige, müsse man wachsam bleiben. „Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen“, meint Monika Schmitz.

Diese Haltung vertreten auch Pfarrer Rainer Gatty, Rolf Rüland und Wolfgang Berthel vom jüdisch-christlichen Arbeitskreis in Würselen. Der Arbeitskreis organisiert seit 2003 Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht und zum Holocaustgedenktag. Sie erinnern dabei an die Menschen, die hier gelebt haben, aber auch an jene, die Widerstand geleistet und geholfen haben. Darüber hinaus veranstaltet die Gruppe Lesungen und setzte sich für die Verlegung von Gedenksteinen und für Gedenktafeln im Ort ein. „In Würselen gibt es Orte, wo sich diese Geschichte abgespielt hat“, betont Pfarrer Rainer Gattys. In Sichtweite stand das Haus der Familie Voss, die darin einen Tabakladen betrieb. Das Haus gibt es nicht mehr. Die Familie wurde vertrieben. Die Villa Buth in Kirchberg diente als Sammellager für jüdische Bürger aus der Umgebung, die von dort aus in das KZ Theresienstadt deportiert wurden.

Auch beim jüdisch-christlichen Arbeitskreis sieht man die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen mit Sorge. Dass die Sprache verrohe, jüdische Mitbürger beschimpft und geschlagen würden, zwölf Jahre NS-Regime zu einem „Vogelschiss“ reduziert würden. „Als Lehrer haben wir versucht, Schülern eine Haltung zu vermitteln, ich hoffe, dass das gelungen ist“, sagt Wolfgang Berthel. Rolf Rüland freut es, dass in jedem Jahr mehr Besucher zu den Veranstaltungen kommen und auch das Bedürfnis verspüren, im Anschluss noch über das Gehörte zu sprechen.  Wie wichtig das gerade in diesen Zeiten ist, verdeutlicht auch ein Satz des spanischen Philosophen George Santayana, der in Auschwitz in jedem Raum zu lesen ist: „Wer die Vergangenheit vergisst, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“

 

Termine

Aachen, 27. Januar:  15 Uhr Gedenkstunde in der Citykirche St. Nikolaus Aachen, 28. Januar: „Damals verfolgt – heute vergessen?“ 18 Uhr St.-Ursula-Gymnasium
Grefrath, 27. Januar: 11.30 Uhr ökumenische Gedenkstunde an der Stele vor der Kirche St. Laurentius
Hückelhoven, 27. Januar: 12 Uhr Gedenken im Brunnenhof des Gymnasiums
Mönchengladbach, 27. Januar: 15.30 Uhr Gedenkstunde im Christoffelhaus, Wilhelm-Strauß-Straße 34
Viersen, 27. Januar: 17 Uhr Gedenkveranstaltung in St. Remigius
Würselen, 27. Januar: 17 Uhr Gedenkstunde in St. Sebastian
Waldnieler Heide, 28, Januar: 9 Uhr Gedenkstunde in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt