Wenn diese Ausgabe der KirchenZeitung ausgeliefert wird, ist der Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel fünf Wochen her. Auch die alljährlichen Gedenkfeiern zum Pogrom am 9. November 1938 haben dann stattgefunden. Angesichts des zuverlässig jährlich bekräftigten „Nie wieder“ aber ist es sehr still. Laute Proteste und Kundgebungen gegen das Unrecht der Gegenwart sucht man in diesen Tagen vergeblich.
Der Himmel verdunkelt sich, der Wind pfeift über den Sonnenhausplatz mitten in Mönchengladbach. In einem Stuhlkreis sitzen weiße Teddys mit verbundenen Augen. Sie sind unterschiedlich groß, ihr Plüschfell ist weich. Jeder der 32 Teddybären steht für ein von der Terrororganisation Hamas entführtes Kind. Das jüngste ist neun Monate alt, das älteste 17 Jahre. Eine stille Mahnung der jüdischen Gemeinde – abgesichert von der Polizei.
„Es überrascht mich nicht, dass es so wenig Protest gibt“, sagt Leah Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach. „Die jüdische Gemeinde ist klein.“ Aber ernüchtert ist sie doch, wenn sie sich die Beteiligung an Demonstrationen ansieht, bei denen die Terroristen unterstützt werden. „17000 Teilnehmer in Düsseldorf“, sagt sie. „Als am Rhein 1400 Kerzen für die jüdischen Opfer angezündet wurden, waren 300 Leute da.“ Der FDP-Ortsverband hatte die Mahnwache organisiert. Zu den Teilnehmenden gehörten neben Vertretern der Stadt auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Geschäftsführerin des Katholischen Stadtdekanats Beate Plenkers-Schneider und Karnevalswagen-Bauer Jacques Tilly. Auch in Mönchengladbach war die Zahl der Teilnehmenden bei der Solidaritätskundgebung drei Tage nach dem Angriff auf Israel überschaubar.
„Wir erwarten, dass die Politiker etwas tun“, sagt Leah Floh. Damit meint sie keine Sonntagsreden, sondern Schutz für jüdische Menschen. Trotz aller Bekenntnisse des „Nie wieder“: Jüdinnen und Juden konnten sich in Deutschland noch nie sicher fühlen. Die stete Präsenz der Polizei vor Synagogen und jüdischen Einrichtungen ist ein Beleg dafür. Bei der jüdischen Gemeinde gingen in den vergangenen Jahren immer wieder Droh-Mails ein.
Heute flackert der Antisemitismus wieder offen auf. Auch wenn in Diskussionsrunden immer wieder vom „importierten Antisemitismus“ die Rede ist, der sich in den „Pro-Palästina“-Demonstrationen zeigt. In Deutschland war der Antisemitismus nie wirklich weg, wie sich jetzt offenbart. „Die Synagogen werden geschützt, aber da spielt sich nur ein sehr geringer Teil jüdischen Lebens ab“, sagte die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman in der Sendung „Markus Lanz“ am 1. November. So wie Christen besuchen Jüdinnen und Juden ihre Freunde und Familien, gehen ins Sportstudio, feiern in Clubs, treffen sich in Restaurants, gehen zur Schule und zur Arbeit. „Wer schützt uns da?“, fragt Feldman. Der Antisemitismus im Alltag sei nicht so offensichtlich. Er reicht von Bemerkungen bis hin zu tätlichen Übergriffen auf Juden.
Eine Schule plane für den nächsten Tag eine Schweigeminute für die getöteten palästinensischen Kinder, sagt Leah Floh. „Nicht für die jüdischen Kinder. Das ist ein Skandal.“ Getötete Kinder fordert der Krieg auf beiden Seiten: Jüdische Mütter beweinen ihre toten Kinder genauso wie die palästinensischen Mütter die ihren. Sie eint, dass sie Opfer eines Krieges sind, den eine Terrororganisation mit ihrem Überfall ausgelöst hat. Sie trennt, dass Israel versucht, seine Kinder zu schützen. Die Hamas dagegen schützt die palästinensischen Kinder nicht, sondern opfert sie. Mit eindrucksvollen Worten mahnte auch Deborah Feldman, die Opfer des Terrors auf beiden Seiten zu sehen.
Wie tief verwurzelt Antisemitismus in der Welt ist, zeigt derzeit die Ausstellung „1948 – wie der Staat Israel entstand“. Auf 32 Schautafeln wird gezeigt, wie es überhaupt zur Gründung von Israel kam. Die Geschichte beginnt nicht, wie es der Titel der Ausstellung vermuten lässt, 1948, sondern um 10000 vor der christlichen Zeitrechnung, als um Jericho erste urbane Siedlungen entstanden.
Dass die Christen die Kreuzigung Jesu den Juden statt den Römern anlasteten, hat bis heute Folgen. Seit seiner Gründung 1948 muss Israel für seine Existenz immer wieder kämpfen. Die Ausstellung ist noch bis Freitag, 17. November, dienstags bis samstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Das Thema verlangt Konzentration.
Wer die Tafeln nochmals in Ruhe lesen möchte, kann sie im Internet unter der Adresse www.1948-web.de abrufen.