Es gilt einiges nachzuarbeiten

Betriebliche Improvisationen wegen Corona gehören nun an den Verhandlungstisch der Dienstgemeinschaft

In den ersten Monaten der Pandemie mussten viele Entscheidungen unter hohem Zeitdruck gefällt werden, auch in kirchlichen Einrichtungen. Längst nicht immer wurden Mitarbeitervertreter angemessen beteiligt. (c) www.pixabay.com
In den ersten Monaten der Pandemie mussten viele Entscheidungen unter hohem Zeitdruck gefällt werden, auch in kirchlichen Einrichtungen. Längst nicht immer wurden Mitarbeitervertreter angemessen beteiligt.
Datum:
13. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 42/2020

Pi mal Daumen sind 40000 Frauen und Männer bei Kirche und Caritas im Bistum Aachen beschäftigt. Ein Teil von ihnen darf auf die Unterstützung durch Mitarbeitervertretungen (MAV) zählen. 220 gibt es davon, und ihr Engagement ist in Zeiten von Corona nicht unwichtiger geworden. Rechtsanwältin Ruth Hochgürtel, die Seminare für MAV im Bistum Aachen hält, fasst im KiZ-Gespräch einige Punkte zusammen.

Rechtsanwältin Ruth Hochgürtel und Fachbereichsleiter Rainer Rißmayer im Nell-Breuning-Haus. (c) Thomas Hohenschue
Rechtsanwältin Ruth Hochgürtel und Fachbereichsleiter Rainer Rißmayer im Nell-Breuning-Haus.

Wie haben sich aus Ihrer Sicht die ersten Monate der Pandemie in kirchlichen Einrichtungen mit dem Blick der Beschäftigten und ihrer Vertretungen gestaltet?

Kirche und Caritas sind da nicht anders unterwegs gewesen als andere. Die Krise legt glasklar offen, wo es gut läuft und wo nicht. Das heißt in diesem Fall: Wo es eine Dienstgemeinschaft gibt, die diesen Namen verdient, hat sie ihre Stärken ausspielen können. Wo sie nur auf dem Papier steht, gibt es große Probleme, Mängel, Konflikte. Alle Beteiligten standen zu Beginn der Pandemie unter großem Stress. Sie hatten in unglaublich kurzer Zeit unglaublich viel zu organisieren, damit der Betrieb unter den Bedingungen des Infektionsschutzes fortgeführt werden konnte. Ob sie die Herausforderung gemeinsam, im partnerschaftlichen Geist, geschultert und getragen haben, hängt von den handelnden Personen und der Kultur in der Einrichtung zusammen. Leider muss man sagen: Vielerorts überwiegen problematische Konstellationen. 

 

Womit hängt das zusammen?

Viele Einrichtungsleitungen haben immer noch nicht die Chancen in der Dienstgemeinschaft entdeckt, sondern nutzen ihre Spielräume im kirchlichen Recht einseitig. Und der ein oder andere überschreitet dabei auch Grenzen, was nicht okay ist. In diesem Fall ist es sehr wichtig für die Mitarbeitervertretungen, ihre Möglichkeiten und Rechte zu kennen. Nur was sie kennen, können sie im Interesse der Kolleginnen und Kollegen auch gegenüber der Geschäftsleitung durchsetzen. Eine fundierte Fortbildung in diesen Fragen ist unerlässlich, aber kämpft mit denselben Problemen wie die Vertretungsarbeit insgesamt.


Welche Probleme meinen Sie?

Die Arbeit in den Mitarbeitervertretungen genießt oftmals nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Manche MAVen müssen, zugespitzt gesagt, um jedes Blatt Papier und jeden Kuli kämpfen, mit dem sie arbeiten können. Hinzu kommt, dass in Einrichtungen wie Krankenhäusern, Altenheimen oder auch Kitas die Personaldecke dünn ist, und somit jeder, der sich in der MAV engagiert, auch Gefahr läuft, von Kolleginnen und Kollegen schräg angesehen zu werden. Es wird nicht als strukturelles Problem betrachtet, dass es zuwenig Personal gibt, sondern es wird denjenigen angelastet, die sich dafür einsetzen, dass sich die Situation verbessert. Dringend nötige Freistellungen kommen so nur schwer zustande, die Vertretungsarbeit wird in eine Grauzone geschoben, die in unbezahlte Mehrarbeit mündet.

 

Sie sagten eben, dass bei der Krisenbewältigung teilweise Grenzen überschritten wurden. Woran denken Sie?

Viele Mitarbeitervertretungen berichten, dass es Schwierigkeiten bei der Frage gibt, wie die angeordnete Abwesenheit vom Arbeitsplatz bewertet wird. Viele Einrichtungen mussten aus Gründen des Infektionsschutzes erst einmal die Mitarbeiter nach Hause schicken. Bei manchen gab es später Kurzarbeiterregelungen, bei anderen ging die Arbeit in der ein oder anderen Form wieder weiter. Nun gibt es den Konflikt, dass manche Einrichtungsleitungen meinen, dass die betroffenen Beschäftigten Minusstunden aufgebaut haben. Dabei sieht das Gesetz vor: Wer seine Mitarbeiter nach Hause schickt, weil es zu wenig Arbeit gibt, muss sie trotzdem weiter bezahlen. Das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten abzuwälzen, ist nicht okay. Die Betroffenen müssten nun, wo es wieder so etwas wie einen neuen Regelbetrieb gibt, diese vermeintlichen Minusstunden durch einen Berg von Mehrarbeit kompensieren. 

 

Was kann eine Mitarbeitervertretung in diesem Fall tun?

Sie kann und muss diesen Annahmeverzug, wie die betriebliche Situation genannt wird, thematisieren und seine Auflösung durchsetzen. Die Beschäftigten hätten schließlich gearbeitet, wenn sie gedurft hätten. Die Mitarbeitervertretung hat das Recht, dies einzufordern, denn solche tiefgreifenden Maßnahmen erfordern ihre Information und Mitbestimmung. Das ist häufig ausgeblieben. Bei dieser Gelegenheit gilt es, die betrieblichen Vereinbarungen rund um die Arbeitszeiten zu prüfen, ob sie den betrieblichen Erfordernissen auch aus Sicht der Beschäftigten entsprechen.

 

Gibt es noch andere Beispiele für rasch getroffene Entscheidungen, in denen nachgearbeitet werden muss?

Ein ganz großes Thema ist der ganze Komplex der Telearbeit. So richtig die Entscheidung war, Beschäftigte erst einmal von zu Hause mitarbeiten zu lassen, so sehr auch einige Vorteile darin liegen, etwa mit Blick auf die Vereinbarkeit des Berufes mit der Familie, so dringend muss man nun die Dinge regeln. Unter dem Zeitdruck des Frühjahrs ist da erst einmal improvisiert worden, aber jetzt gilt es, die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Blick zu rücken. 

 

Woran denken Sie?

Auch hier sind Fragen der Arbeitszeit wichtig. Eine Erreichbarkeit rund um die Uhr darf zum Beispiel nicht vorausgesetzt werden. Und dann sind da noch die vielen Anforderungen rund um das, was faktisch entstanden ist: das Büro zu Hause. Das fängt an bei der Frage, wer die benötigte Infrastruktur finanziert. Es gibt Fragen rund um Datenschutz. Und dann das große Feld des Arbeitsschutzes. Jede Arbeitsstätte unterliegt in Deutschland gesetzlichen Schutzvorschriften, die der Gesundheit des Arbeitnehmers dienen. Warum soll das zu Hause anders sein? Viel Arbeit für Mitarbeitervertretungen – ihre Aufgabe ist wichtiger denn je.

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.