Tobias Haberl ist gläubiger Katholik. „Früher war das eine Selbstverständlichkeit, heute muss ich mich dafür rechtfertigen“, schreibt er in seinem Buch „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bleibe“. Im Gespräch mit der Kirchenzeitung erklärt er, warum Kirche mehr ist als Missbrauchsskandale, welche Rolle christliches Engagement spielt und was das 21. Jahrhundert von gläubigen Menschen lernen kann.
Die Kirche steckt in der Krise. Brauchte die Welt ein modernes Glaubensbekenntnis?
Tobias Haberl: Die Welt wird sich auch ohne dieses Buch weiterdrehen. Als ich beschlossen habe, es zu schreiben, gab es keine genau definierte Absicht, ich hatte kein Ziel formuliert. Es war vielmehr ein schwieriger Prozess, sich gegen die eigenen Zweifel durchzusetzen. Es gibt unfassbar viele Bücher über Glauben, Gott und Religion. Warum sollte ich noch eines schreiben? Ich bin weder Theologe noch ein übermäßig frommer Mensch.
Warum also dennoch Sie?
Haberl: Es gab einen Vorläufer, ein Essay von mir im SZ-Magazin über das Gefühl, als gläubiger Mensch von weiten Teilen der Gesellschaft nicht mehr verstanden zu werden. Wenige Tage nach der Veröffentlichung quoll mein Postfach über. Ich hatte offenbar einen Nerv getroffen. Es kamen 500 Leserbriefe, sehr persönlich, voller Dankbarkeit, viele handgeschrieben und mehrere Seiten lang. Ich habe das als Auftrag verstanden.
Ein einsamer Rufer in der Medienwelt?
Haberl: Vielleicht gibt es Christen unter uns, denen es vorkommt, als lebten sie in einer Wüste; die danach dürsten, dass jemand sagt: Ich glaube an Gott – und die Kirche ist nicht nur schlecht.
Warum wurde Ihr Buch zum großen Erfolg?
Haberl: Ich habe nach und nach gemerkt, dass es damit zu tun hat, dass ich keiner der üblichen Verdächtigen bin. Kein Priester, kein Theologe, kein Religionslehrer, sondern ein ganz normaler Christ, der bekennt: Ich glaube an Gott und finde die Kirche – trotz ihrer Fehler und Sünden – kostbar. Ich schreibe über meine Erfahrungen, Zweifel, Ängste und auch über die Freude an einem christlichen Leben. Ich habe eine andere Sprache, ein anderes Charisma, lebe in einem weltoffenen, liberalen Milieu – das hat viele überrascht und darin liegt scheinbar eine Glaubwürdigkeit.
Sprechen Sie auch im privaten Umkreis über Ihren Glauben?
Haberl: Seit diesem Buch verstärkt, weil ich oft darauf angesprochen werde – vorher selten, weil das Thema kaum aufkam. Die meisten Menschen, mit denen ich jeden Tag zu tun habe, stehen religiösen Fragen gleichgültig gegenüber.
Werden Sie schräg angeschaut, wenn Sie mit den Themen Kirche und Glaube um die Ecke kommen?
Haberl: Es bleibt oft bei Schlagworten, meist bei negativen. Niemand redet über karitatives Engagement oder über die Liebe, den Trost, die Schönheit, die Hoffnung, die im Evangelium liegen. Alle arbeiten sich an Fehlern der Institution ab und sprechen über die Kirche, als handle es sich um eine Partei oder einen Verein, der schleunigst zeitgemäß werden muss. Die Kirche steht für alles, was die zeitgenössische Gesellschaft über den Haufen werfen will. Das finde ich zu kurz gedacht. Ich glaube, dass die westliche Gesellschaft ein falsches Verständnis von Freiheit hat: Freiheit ohne Verantwortung. Freiheit als Möglichkeit, zu jeder Zeit tun und lassen zu können, wonach einem gerade ist. Dabei führt dieser Ansatz gerade nicht zur Freiheit, sondern in die Unordnung, ins Chaos.
Klingt das jetzt reaktionär?
Haberl: Reaktionär ist so ein Totschlag-Argument geworden, aber vielleicht können wir uns darauf einigen, dass nicht alles Neue gut und nicht alles Alte schlecht ist. Es interessiert mich nicht, ob etwas zeitgemäß ist, sondern ob es gut ist für meine Seele. Ich möchte nicht zurück ins Mittelalter, ich lebe gern im 21. Jahrhundert. Trotzdem plädiere ich für einen differenzierten Blick. Mir fallen viele Dinge ein, die außerordentlich zeitgemäß, aber sehr schädlich sind – für unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit, unsere Seelen. Auch ich bin zu viel am Handy und führe ein digitales Leben, aber ich schaue genau hin und ahne, dass wir Menschen manchmal auch vor uns selbst und unseren Fähigkeiten und Sehnsüchten geschützt werden müssen. Da kann der Glaube, da kann auch die Kirche helfen. Ich empfinde die christlichen Botschaften nicht als altmodisch. Sie sind zeitlos, überpersönlich, überweltlich.
Was macht Christ-sein für Sie aus?
Haberl: Ich glaube an Gott, ich glaube an das ewige Leben und versuche, so zu leben, wie Jesus Christus es vorgemacht hat. Sein Leben bietet Orientierung, wie man durch einen immer schnelleren und komplizierteren Alltag kommen kann, wie Beziehungen gelingen. Ich habe das Gefühl, dass gerade die Stunde der Laien geschlagen hat, was die Verkündigung der Frohbotschaft betrifft. Die Kirche hat – Stichwort Missbrauchsskandal – zurecht viel Vertrauen verloren. Viele winken ab, sobald ein Pfarrer oder Bischof den Mund aufmacht. Sobald aber ein Laie spricht, diese Erfahrung mache ich gerade, werden manche Menschen neugierig und hören zu. Darin liegt eine Chance.
Welches Ziel verfolgen Sie?
Haberl: Keines. Ich hatte einfach das Bedürfnis, ein paar Dinge aufzuschreiben und klarzustellen. Es handelt sich um ein öffentliches Glaubenszeugnis. Und Zeugnis geben ist das, wodurch das Christentum erst groß geworden ist. Die Apostel sind hinaus in die Welt und haben von Jesus Christus erzählt, das ist der Kern, der die Leute seit 2000 Jahren fasziniert. Heute geht es in der Kirche oft um Politik, zu wenig um das Entscheidende.
Sind Sie schon immer für Ihren Glauben eingetreten?
Haberl: Nach einer katholischen Erziehung war mir mein Glaube lange gar nicht so wichtig. Ich habe mich immer als Christ bezeichnet und auch an Gott geglaubt, aber meinen Glauben kaum praktiziert. Erst vor einigen Jahren haben Begegnungen mit gläubigen Menschen wieder die Lust in mir geweckt, mich mit Gott und der Kirche auseinanderzusetzen. Ich habe auch gemerkt, dass mir etwas fehlt im Leben, da war eine Lücke, eine Leerstelle.
Was fehlte Ihnen?
Haberl: Mir fehlte der Rhythmus eines gläubigen Lebens, der Rhythmus des Tuns, das grundsätzliche Vertrauen, die Hoffnung über das irdische Leben hinaus, ein übergeordnetes Ziel, ein letzter Grund. Diese Komponente ist in meinem Leben plötzlich wieder wichtiger geworden. Ich bin zum Beispiel fasziniert von monastischem Leben abseits des Pomps der katholischen Kirche. Ein Kloster ist ein besonderer Ort der Gottesnähe, ein Ort der vollkommenen Hinwendung zu Gott.
Was suchen die Menschen im Jetzt?
Haberl: Ich glaube, dass im Prinzip alle Menschen auf der Suche nach Gott sind, die meisten wissen es nur nicht. Wenn der Glaube funktioniert, ist es das Ende der Angst, das Gefühl, angenommen zu sein, geliebt zu werden, und zwar bedingungslos, die Sicherheit, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Opium fürs Volk?
Haberl: Chesterton hat mal geschrieben: „Wenn Menschen aufhören an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“ Er hat recht. Dieses Gefühl der bedingungslosen Liebe und Geborgenheit suchen Menschen heute an allen möglichen Orten, nur nicht in Kirche. Vielleicht, weil dort auch etwas gefordert wird. Verbote und Pflichten möchte der moderne Mensch nicht haben. Er erkennt keine Autoritäten an, schon gar keinen Gott, den man nicht beweisen kann.
Katholizismus trendet nicht?
Haberl: Die Schönheit, auch die Vorteile eines gläubigen Lebens kann man schwer erklären, man muss sie erfahren. Vertrauen ohne Garantie, das können viele Menschen nicht. Weg vom Ego, Kontrolle abgeben, leiser werden, kleiner werden – dahinter steht eine andere, aber tiefe Art von Freiheit. Denn wir Menschen sind nicht frei, wir sind permanent am Handy, unterwerfen uns unseren Reflexen und im Grunde ein paar Tech-Milliardären. Es fühlt sich nur nach Freiheit an. Tatsächlich tun wir uns schwer damit, Stille auszuhalten, in echte Nähe zu kommen. Gleichzeitig ist da diese Sehnsucht.
Wir amüsieren uns zu Tode?
Haberl: Das funktioniert jahrelang. Aber wenn Krisen kommen, ein Abschied oder Verlust, dann erscheint der Glaube plötzlich nicht mehr so absurd, dann können Entertainment und Konsum nicht mehr tragen.
Welche Rolle spielt christliches Engagement in der Welt?
Haberl: Millionen Menschen machen unsere Welt im Namen Jesu Christi besser und wärmer, sie kümmern sich um Kranke, Einsame, Sterbende. Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, weil ich zum Beispiel in keiner Gemeinde aktiv bin; aber dafür habe ich dieses Buch geschrieben, diskutiere mit den Menschen und erzähle von meinem Glauben, das ist doch auch was – oder?!
Tobias Haberl, aufgewachsen im Schwarzwald, lebt in München und ist Autor beim Magazin der Süddeutschen Zeitung. Das Katechetische Institut Aachen hatte den 50-Jährigen zu Lesung und Gespräch eingeladen. Die Taschenbuchausgabe von „Unter Heiden. Warum ich dennoch Christ bleibe“ erscheint am 12. November im btb-Verlag.