Es bleibt noch viel zu tun

Ein Buch begibt sich auf Spurensuche im Bistum Aachen zu Zeiten des Nationalsozialismus

Viele Puzzleteile waren nötig, um ein Gesamtbild für das Buch zu  ergeben. (c) Kathrin Albrecht
Viele Puzzleteile waren nötig, um ein Gesamtbild für das Buch zu ergeben.
Datum:
31. Jan. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 05/2023 | Kathrin Albrecht

Wie haben sich Katholikinnen und Katholiken im und zum Nationalsozialismus verhalten? Es ist eine Frage, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges mitunter kontrovers diskutiert wird. Gemeinsam mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gingen die Historiker Helmut Rönz und Keywan Klaus Münster beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) auf Spurensuche im Bistum Aachen. 

Das Ergebnis „Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus. Eine Spurensuche in Biographien und Ereignissen“ zeigt ein vielschichtiges Bild und macht deutlich: Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Für das Buch, das auch eng mit der 2019 eröffneten gleichnamigen Ausstellung auf Vogelsang verknüpft ist, trugen die Wissenschaftler Bekanntes zusammen, gewannen aber auch neue Erkenntnisse und Perspektiven, die in 30 Texten zu Biographien und Ereignissen aus der Geschichte des 1930 wieder errichteten Bistums eingeflossen sind.

Dabei war ein Buch ursprünglich gar nicht vorgesehen, erklärt Helmut Rönz bei der Präsentation im Bischöflichen Diözesanarchiv Aachen. Gemeinsam mit dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte ist es Mitherausgeber des Bandes. Rönz war als Experte angefragt worden, als die Nationalparkseelsorge auf der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang Räume bezog. Dieser Täterort, an dem das NS-Regime seinen Nachwuchs ausbildete, böte den Raum für das Bistum, sich auch mit seiner eigenen Vergangenheit in dieser Zeit auseinanderzusetzen.

Doch die Forschungen zur Ausstellung zeigten bald, dass sie allein nicht ausreichen würden, um der Geschichte gerecht zu werden. Für das Buch rückte vor allem auch die Frage in den Mittelpunkt, wie sich Laien und Geistliche vor Ort verhalten haben. Der Mechernicher Bäckermeister Andreas Girkens hielt zu seinen jüdischen Freunden. Er wurde verhaftet und starb im KZ-Außenlager Köln-Deutz an den Folgen der Folter. Beispiele liefert das Buch auch für Laien, die sich von ihren kichlichen Bindungen verabschiedeten, und sich der NS-Ideologie verschrieben, wie der erste Kommandant der Ordensburg, Franz Bins.

Bischof Joseph Vogt und sein langjähriger Wegbegleiter Hermann Joseph Sträter, undatiert. (c) Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen
Bischof Joseph Vogt und sein langjähriger Wegbegleiter Hermann Joseph Sträter, undatiert.

„Die beschriebenen Beispiele sensibilisieren für die Grautöne“, unterstreicht Keywan Klaus Münster. Wohl in keinem Beispiel wird das so deutlich wie in den Texten zu den Priestern Heinrich Prinz und Alexander Heinrich Alef. Der Sievernicher Pfarrer versuchte immer wieder, die Vereinnahmung der Jugend durch das NS-Regime zu verhindern. Dadurch geriet er in Konflikt mit den Nationalsozialisten. Er wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er im Februar 1945 verstarb. Der spätere Heinsberger Pfarrer Heinrich Prinz arbeitete ab 1940 als V-Mann für die Gestapo. Er gab auch Auskunft über den Aufenthaltsort seines Mitbruders Pfarrer Alef, der daraufhin festgenommen wurde.

Thema des Buches ist auch die Haltung der damaligen Bischöfe Joseph Vogt und Johannes Joseph van der Velden sowie des Apostolischen Administrators des Bistums Hermann Joseph Sträter, die sich um den Erhalt des katholischen Glaubenslebens und um politisches Fingerspitzengefühl im Umgang mit den nationalsozialistischen Machthabern bemühten, ohne ihre Überzeugungen zu verraten.

Aus vielen verschiedenen Teilen setzte sich dabei langsam das Puzzle zusammen, erläutert Beate Sophie Fleck, Leiterin des Diözesanarchivs, am Beispiel des Priesters Theodor Brasse, der sich stark in der Jugendarbeit engagierte und so ebenfalls in das Visier des NS-Regimes geriet: „In den Ortsakten haben wir verschiedene kurze Hinweise, dass er oft den Einsatzort gewechselt hat. Allerdings finden sich dazu keine weiteren Angaben. Im Zusammenspiel mit anderen Akten aus Landes- und Bundes- archiven lassen sich Zusammenhänge erkennen.“ Aufschluss gab auch ein Brief des Priesters, den er 1945 an Bischof van der Velden schrieb und der im Diözesanarchiv aufbewahrt wird.

Dass viele Katholiken als „gut geölte Räder“ in der Maschinerie des NS-Regimes fungierten, zeigt das Beispiel des Dürener Landrates Theodor Beaucamp. Zwar galt er aus NS-Perspektive als „politisch unzuverlässig“, weil er fest in seinem katholischen Glauben verankert war, andererseits war er in seiner Position an Arisierungen, Deportationen, politischer Verfolgung und der kommunalen Kriegswirtschaft beteiligt.

Ausdrücklich hebt Helmut Rönz die Offenheit des Bistums und die gute Zusammenarbeit an dem Projekt hervor: „Es war deutlich spürbar, dass echtes Interesse an der Geschichte dahinter steht.“ Ein erster Anfang sei gemacht, aber es bleibe noch viel zu tun, unterstreicht er. Arbeiten zu den Pfarrern Theodor Brasse und Alexander Heinrich Alef seien in Planung, erklärt Beate Sophie Fleck. 

INFO

(c) Einhard Verlag

Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus. Eine Spurensuche in Biographien und Ereignissen, bearb. v. Helmut Rönz/Keywan Klaus Münster (Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen, Bd. 52); 
Einhard-Verlag, Aachen 2022, 29,80 Euro.